35 Jahre ist es her, da hätte Nelson Mandela mich beinahe den Arbeitsplatz gekostet. Außer für mich selbst wäre das vielleicht noch für Frau und Kinder von Bedeutung gewesen, sonst für niemanden. Trotzdem, alle, die schon einmal um ihren Job fürchten mussten, werden verstehen, dass mich die Nachricht vom Tod des wirkungsmächtigen Versöhnungspolitikers ins Persönliche abschweifen lässt.
Was war passiert? Ich hatte ein politisches Fettnäpfchen nicht beachtet und 1978 schwarzen Exil-Studenten aus Südafrika für ein Wochenendseminar Räume unserer Kirche zur Verfügung gestellt. Sie wollten an das furchtbare Massaker unter der protestierenden schwarzen Schuljugend im Schwarzen-Ghetto Soweto im Jahr 1976 erinnern.
Als ich die Gäste zusammen mit einem Journalisten willkommen heißen will, hängt an der Wand ein großes Poster mit dem bärtigen Portrait des politischen Gefangenen Nelson Mandela. Optisch ein bulliger Power-Typ, nicht zu verwechseln mit dem feingliedrigen alten Herrn, dessen Anblick die Welt kennt. Der Journalist hatte sein Fotomotiv. Am nächsten Morgen sehen die Zeitungsleser im nördlichen Ruhrgebiet den weltbekannten Terroristen Nelson Mandela, plakatiert in einem Haus der Kirche.
Damals reicht das, dass die Politik vom Arbeitgeber Kirche energisch und öffentlich die Entfernung des verantwortlichen Mitarbeiters verlangt. Mein Arbeitgeber hatte den Ärger. Aber er hat ihn nicht zu meinen Lasten bewältigt. Ich konnte bleiben.
Nur ein kleineres lokales Ereignis, eines unter Millionen, die der Lebensweg Nelson Mandela in aller Welt losgetreten hat. Banal, aber gut genug zum Staunen. Es ist gerade eine Generation her, da war es in der alten Bundesrepublik politische Mehrheitsmeinung, dass die Anti-Apartheidsbewegung in Südafrika und insbesondere ihre Führungsfigur Nelson Mandela gemeingefährliche Verbrecher wären. Immer wieder haben Stimmen aus Politik und Wirtschaft uns das gepredigt. Gegen den Hunger in der Welt durfte man schon 1978 etwas haben. Aber nicht gegen verbündete Regime, wie die weiße Apartheidsregierung, obwohl sie die große Mehrheit ihres Volkes der Armut bis hin zum Hunger auslieferte.
Zum guten Teil von aktiven Christinnen getragene Initiativen wie „Kauft keine Früchte aus Südafrika“ oder der Boykott von Krügerrand-Goldmünzen, brachten ihnen Beschimpfungen und die üble Nachrede als Wirtschaftsschädlinge ein. Zu so gut wie jeder Südafrika-Solidaritätsaktion in den Fußgängerzonen gehörten die wütenden Proteste „sachverständiger“ Bürger. Die hatten entweder einen Onkel in Südafrika, der ihnen die Lage genau erklärt hatte. Oder sie hatten auf ihrer preiswerten Urlaubsreise zum Kap nur glückliche Neger gesehen. Und Nelson Mandela? Das war der Schlimmste von allen. Heute müsste man urteilen: in einer Liga mit Osama bin Laden.
Heute mag ich den Hymnen auf den toten Vater des demokratischen Südafrika, den Sieger über Rachsucht und politischen Rassismus, den Meister der Versöhnung kaum noch eine eigene Strophe hinzufügen – in der Angst, das Maß des Menschlichen in der Summe zu überschreiten – und damit ein inspirierendes Leitbild zu zerkratzen.
Also lasse ich das und werfe meine Hoffnung statt dessen 35 Jahre in die Zukunft. Ich will hoffen, das die 35 Jahre bis zur Jahrhundertmitte ausreichen, um etwas zu bewerkstelligen, was heute so unwahrscheinlich erscheint, wie 1978, vor 35 Jahren, die Überwindung der rassistischen Staatsordnung in Südafrika samt ihrer verhängnisvollen Streuwirkung unter den für Rassismus anfälligen Bürgern und Politikern weltweit.
Oder können wir uns heute real und handfest schon einen globalen Konsens der politischen Vernunft vorstellen, der dem absolut lebensfeindlichen Klimawandel Grenzen setzt? Mit allen in unseren Alltag eingreifenden Regeln und Beschränkungen, ohne die es nicht gehen wird? Können wir uns Ende 2013 eine Menschheit vorstellen, die solange teilt, bis der Frieden auf Erden eine Geschäftsgrundlage hat? Alles: Einkommen, Rechte, Ernten, Ackerland, Energie? Das soll ich glauben, nach einer weiteren vertanen UNO-Klimakonferenz, jetzt in Warschau?
Die Lebensleistung von Nelson Mandela und seinesgleichen verankert solche Hoffnungen im wirklichen Leben. So, wie sich der Wandel in Südafrika im wirklichen Leben zugetragen hat.
Ich kann den Wandel in Sachen Klimaverantwortung nicht mehr erleben! Aber die ersten Schritte, die kann ich noch mit gehen.