Jogis Jungs werden ohne mich auskommen müssen. Das darf sie kalt lassen, völlig. Auch wenn von Sepp Herberger bis „Klinsi“ – der Ärmste – alle Bundestrainer auf mich zählen konnten; anfangs auf meine Leidenschaft, mit den Jahren dann doch eher auf mein mildes Interesse. Immerhin habe ich noch beim letzten FIFA-Turnier in einer unzumutbaren Zeitzone, dem von 2002 in Japan und Südkorea, meinen Tribünenplatz im Pantoffelkino regelmäßig eingenommen. Aber jetzt wird die Zeitverschiebung in die andere Himmelsrichtung doch zum zwingenden Grund, mich ordentlich abzumelden. Die Anstoßzeiten liegen so gemein zwischen meiner dem Alter geschuldeten Abendmüdigkeit und dem frühen Weckruf durch die Piepmätze vor unserem Fenster, dass ich Lust und Frust der Fußballnation wohl verschlafen werde. Und tags darauf irgendwelche Aufzeichnungen absitzen? Wo das Ergebnis vorzeitig durch x Nachrichtenkanäle in mein Hirn tropfen kann? Nee, nicht mein Fall!
Dabei waren diese bisherigen 15 WM-Spektakel meines Lebens eine runde Sache, über die Kickerei hinaus. Viele von uns alten Fans – selbst das Wort wartete in den Tagen von Bern noch im Schoß der Geschichte auf seine Invasion in die deutsche Sprache – können an den Stationen des FIFA-Zirkus bleibende Horizonterweiterungen ihres Weltbildes festmachen, spätestens im Rückblick.
Das „Wunder von Bern“ konnte meine von der Nazizeit zerknautschte Identität als Deutscher nicht so ausbeulen, wie das wohl bei vielen Erwachsenen der Fall war. Wer bei Kriegsende kaum schulpflichtig war, hatte da weniger mit sich abzumachen. Aber dass da, neudeutsch, etwas „abging“, habe ich doch gemerkt, so wahr Toni ein „Fußballgott“ war.
Anderthalb WMs später, so zwischen Schweden/Pele, 17 und Chile 1962, wurde der junge Uwe Seeler zu einem Thema in der Ethik-Vorlesung an der Theologischen Fakultät. Sein Verzicht auf einen lukrativen Italien-Transfer war Gottesgelehrten damals große Worte wert. Heute rührt mich, wenn ich den alten Herrn, etwas unbeholfen in Szene gesetzt, für irgend welche Baumarktprodukte Werbung machen sehe. Ich hoffe, er muss die paar Kröten nicht unbedingt mitnehmen.
Die England-WM 1966 trägt nie verwelkenden Lorbeer. Nicht etwa wegen des Wembley-Tores, zu dem alles gesagt ist. Auch nicht, weil wir der Welt damals nach Albrecht Dürer mit Franz Beckenbauer den nächsten Künstler von Weltgeltung geschenkt haben. Noch nicht einmal, weil acht Jahre nach dem Sieg von Bern auch eine Niederlage Größe verlieh. Nein, all das nicht: bleibender Lorbeer dieser WM, weil meine seit wenigen Tagen Angetraute damals im Bahnhofskino von Münster das einzige Fußballspiel ihres Lebens angeschaut hat!
1974 war´s während der WM-Tage nicht nur nass, sondern auch richtig schön kalt. Kalter Krieg BRD gegen DDR mit Jürgen Sparwasser, 66, inzwischen seit 25 Jahren Bundesbürger. Die Demutsübung der Niederlage gegen die Gänsestrich-DDR und schließlich doch der WM-Titel, man könnte es für eine perfekte Inszenierung halten.
2006 sollen wir der Welt dann einen neuen garantiert unschädlichen schwarz-rot-goldenen Fußball-Patriotismus präsentiert haben. Sei´s drum. Wenn wir dabei nicht aufhören, uns selbst und unserem Staat auf die Finger zu sehen, was seine Verträglichkeit für den Rest der Menschheit angeht.
1978 haben wir bei einer WM, der im Argentinien der Militärjunta, zum ersten mal systematisch „Menschenrechte“ geübt – so wie dann auch 1986 in Mexiko, 2002 in Südkorea.
Die Fußbälle selbst, die Schuhe, die Sportbekleidung sind im Focus der letzten vier bis fünf WMs Anknüpfungspunkte für Gerechtigkeitskampagnen geworden. Ausbeuterische Kinderarbeit beim Fußballnähen; Horror in den Weltmarktfabriken der Sportartikelindustrie. Wir lernen, WM für WM, nicht länger unter den Rasen zu kehren, was die Hoflieferanten der großen Show für Unrecht auf dem Kerbholz haben.
Aber wenn es etwas zu feiern gibt, jenseits des Spielfeldes, dann feiern wir auch. Millionen in Südafrika und in aller Welt war danach zumute, als der alte Nelson Mandela sich noch aufraffen konnte, der WM Strahlkraft zu verleihen, als Fan eines Regenbogenteams.
Meine 16. WM, die, deren Spiele ich wohl verschlafen werde, ist schon vor dem Anpiff atemberaubend. Wer hätte gedacht, dass Millionen, die den brasilianischen Delikatessenfußball lieben und praktizieren, trotzdem unbestechlich unterscheiden zwischen ihrer Sportbegeisterung und dem Vorrang für soziale Gerechtigkeit. Sich vom Schein der großen Show nicht einlullen lassen, diese Haltung weist weit über das Einzelereignis hinaus.
Dieser Tage war ein Foto von Horst Eckel, 82, zu sehen. Einer der beiden noch Lebenden aus dem Rudel der „Helden von Bern“, damals der Youngster. Ein Sportplatz-Foto, das Gesicht nicht im Detail zu erkennen. Er beobachtet einen Jüngeren beim Umgang mit dem Ball, gutmütig entspannt, will mir scheinen. Ob mittendrin wie er, oder als jemand, der eigentlich nur an den Kampagnen rund um den Fußball Teil hatte, wir haben erlebt – und die Jüngeren werden erleben – dass sich im Leben immer neue Türen auftun, durch die zu gehen sich lohnt – auch wenn das Leben für uns abläuft im Viervierteltakt der Fußball-WMs.