Es beginnt sich herumzusprechen unter uns Normalbürgern: ein mageres Jahr bleibt unseren Regierenden noch, bis sie im Advent 2015 in Paris liefern müssen: einen globalen völkerrechtlich verbindlichen Klimaschutzvertrag, der die Chance bewahrt, dass das Klima auf Erden vor Ende des Jahrhunderts nicht vollends aus den Fugen gerät. EU, China, USA, alle wählen sie im Advent 2014 bei der letzten großen Vorbereitungskonferenz in Lima/Perú die Tonart der Besorgnis und des guten Willens, wie der Medientross ein wenig überrascht berichtet.
Andererseits, über die vermaledeiten zwei Grad, die wir inzwischen fast alle im Kopf haben, gibt es in Lima wohl eine ganze Reihe von Wahrheiten zu hören: von „Vergesst es!“, über „Möglich, aber unbezahlbar!“ bis zu „Das packen wir!“. Wir klimatologischen Laien können uns dann hinter dem Banner sammeln, das unserer Stimmung und Meinung nahe kommt. Auch hinter einem inoffiziellen, ziemlich destruktiven, auf dem zu lesen ist: „Zu spät! Gönnt euch noch ein paar schöne Urlaubsflüge in die Karibik und plant einen stilvollen Abgang!“
Vieles von dem Klimalatein, das sich auch die Regierenden übersetzen lassen müssen, verstehe ich nicht. Eins allerdings verstehe ich: zwei Grad plus, das ist etwas völlig anderes, als mein Duschwasser durch Drehen am roten Wahlknopf etwas wohliger zu temperieren. Ich fürchte, dieser Irrtum, aus dem Badezimmer in unseren Lebensraum übertragen, hält viele von uns noch im Dämmerschlaf. Das Ökosystem Erde ist nun mal keine warme Dusche, unter der ein nackter homo sapiens lediglich Erfüllung für ein einziges seiner vielen Bedürfnisse sucht.
Zwei Grad oder mehr für alles, das greift dramatisch verändernd ein in ungezählte Kreisläufe, Abhängigkeiten, Lebensgemeinschaften, Wachstums- und Regenerationsprozesse. Ein Schachspiel ist nichts gegen die prozessualen Folgen, mit denen bei außer Rand und Band geratenen Temperaturentwicklungen zu rechnen ist.
Ich gestehe, dass mich die Moderatoren meines Frühstücksradios im zurück liegenden November gelegentlich schon genervt haben, wenn sie das Absinken der Tagestemperaturen unter die 20 Grad-Marke im Tonfall tiefsten Mitleids ankündigten. Gute Laune-Journalismus schön und gut; aber der Realitätssinn sollte dabei nicht flöten gehen.
Ich werde nicht mehr Zeitzeuge, Mitbetroffener dessen sein, was wir uns da zusammenbrauen. Warum mich das Klimadrama im achten Lebensjahrzehnt trotzdem aufwühlt, ist schnell gesagt: Erstens könnte man den albernen Ausdruck vom „Klimasünder“ auch ernsthaft gebrauchen. Denn Schöpfung bewahren und Vertrauen auf den schöpfungsverliebten Gott gehen in meinem Herzen zusammen. Und zweitens: welches Gefühl in uns ist denn selbstverständlicher, echter als die guten Wünsche für das Wohlergehen der Kinder von Familie und Menschheit?
Also gilt es für mich, das Jahr zwischen Lima und Paris zu nutzen, so gut ein Rentner in Deutschland das kann. Letzten Endes werden Regierungen ja alles, was unumgänglich ist, einer Mehrheit des Wahlvolkes vermitteln müssen; einer grummelnden Mehrheit wahrscheinlich, aber einer Mehrheit.
Da wird jede Bürgerin und jeder Bürger zum Experimentator und Meinungsmacher. Da werden wir alle zu Wünschelrutengängern auf der Suche nach neuer Lebensqualität. Leben ohne Lebensfreude geht ja auf die Dauer nicht. Nur muss sie aus anderen Quellen sprudeln, wenn dafür nur noch Bruchteil klimaschädlicher Gase in den Himmel gepustet werden darf. Zwei Tonnen Co 2, für mich ist das einerseits ziemlich unanschaulich. Zwei Zentner Briketts, die ich als Kind im Keller ordentlich aufstapeln musste, waren da erheblich handfester. Aber wenn die Zwei dafür steht, dass meine anteilige Hinterlassenschaft in der Erdatmosphäre auf ein Drittel oder gar ein Viertel des Ist-Standes sinken muss, dann verstehe ich doch – und kann mich auf den Weg machen.
Klimagerechtigkeit, noch so ein Kunstwort aus dem aktuellen Überlebensgerangel der Menschheit. Kein Wort für Poeten, aber eines für Realisten. Denn auf diesem lebendigen Raumschiff gibt es keine Transfair-Gelegenheiten, wenn´s wirklich kritisch wird, für niemanden. Den Rest kann man sich an fünf Fingern abzählen. Gegen eine globale „Meuterei auf der Bounty“ hilft nur annähende Gerechtigkeit. Den Preis dieser Gerechtigkeit herauszufinden, ist unser aller Job.