Es gibt ein paar Wächter über meinen Lebensstil, die lassen sich kaum hinters Licht führen. Dazu gehört etwa die Personenwaage im Badezimmer. Ein anderer ist die Stromrechnung, alle Jahre wieder. Mein Stromlieferant gehört zu den Guten. Er verschont uns mit Atomstrom und fossiler Kraftwerks-Feuerung. Aber auch bei ihm ist eine Kilowattstunde eine Kilowattstunde. Und selbst wenn ich die Verbrauchszahl unterm Strich ignorieren wollte, meine Frau würde mich mit der Nase drauf stoßen.
Also, die Wahrheit 2013/14 lautet: 1.172 Kw/h. Peinlich, peinlich, im Zeitalter des menschengemachten Klimawandels gehöre ich zu den Erwachsenen, die mit so einer wichtigen Kennzahl erst einmal nichts anfangen können. Ich kann der Abrechnung nur entnehmen, dass es bei der monatlichen Pauschale eine kleine Überzahlung gegeben hat, die jetzt zu unseren Gunsten verrechnet wird.
Aber ansonsten, wieviel sind 1.172 KW/h in einer fünf-Zimmer-Altbau- Mietwohnung? Ich frage die „Allwissende Müllhalde“, das Internet. Zuerst gerate ich an die Stadtwerke einer Großstadt, die das anpreisen, was wir seit Jahr und Tag schon nutzen: Ökostrom. Diese kommunalen Kaufleute gehen davon aus, dass wir zu zweit mit einem Jahresverbrauch vom 2.600 KW/h zu rechnen hätten. Darauf fußt ihre Modellrechnung. Da fällt mir wieder ein, dass meine Frau mal was von 1.600 KW/h gesagt hat, also glatten tausend weniger. Die hält unser Ökostrom-Lieferant im Zwei-Personen-Haushalt für erreichbar. Da müssen wir im Jahr des vierten WM-Sterns wohl ziemlich clever gewirtschaftet haben. Und das, obwohl unsere Stromnutzung so gut wie nichts mit einem mildem Winter und anderen Zufallsgeschenken zu tun hatte.
Aber das stolze Siegergefühl will sich nicht recht einstellen. Wann haben wir was richtig gemacht, dass wir angeblich sogar die Zielmarke des Ökostromhändlers klar unterbieten? Ich selbst bin ja eigentlich ein Genussmensch, der ungern zu kurz kommt, nur weil eine moralische Instanz Druck macht. Bis heute habe ich mir z.B. die große Wohnung nicht madig machen lassen, obwohl Quadratmeter-Luxus zu den Untugenden der Klimawandelzeit gehört.
Und jetzt soll ich ein auf großem Fuß lebender erfolgreicher Stromsparer sein? Wie das? Gut, Geschirrspülmaschine haben wir keine, seit 40 Jahren nicht mehr. Das Spülen nach Tisch dauert auch kaum länger als das Einräumen. Außerdem ist das Treffen am Spülbecken der zuverlässigste Flirttermin, der uns altem Pärchen geblieben ist. Meine Frau meint, dass der fehlende Wäschetrockner zu Buche schlägt; während die Mikrowelle, hätten wir eine, wohl eher noch ein paar Kilowattstündchen einsparen würde, weil der Elektroherd dann ja aus bliebe.
Ja, der Herd. Seine fünfzehn Jahre hat er auch schon auf dem Buckel. Aber als Stromsparer scheint er immer noch zu funktionieren. Keine Mahlzeit, bei der nicht die Routine seit langem eingeübter Handgriffe abläuft. Wo ich einfach los stochere, bis es blubbert, wählt die Küchenchefin Heizstufen nach Bedarf, regelt herunter, sobald die Sache läuft, kennt aus dem Effeff den Nutzwert von Restwärme – und geht offensichtlich Tag für Tag als Siegerin aus der Küche. Dahinter steckt bei ihr und ihresgleichen ein kapitales Wissen darüber, was wie funktioniert im Umgang mit Lebensmitteln – vom Garten, aus dem Keller oder dem Laden bis auf dem Teller. Einfach ins Blaue hinein Strom sparen wollen, das würde wohl im Frust enden.
Wissen, was man tut, was es bringt, das ist die Kleinviehvernunft, das am Ende den stattlichen Misthaufen einbringt. Mir wird klar, dass es in unseren vier Wänden keine Lichtquelle, kein elektrisches oder elektronisches Gerät gibt, bei dem die hier wohnende Stromwirtin nicht wüsste, wie viel Watt hier verfüttert werden. Sie weiß es, weil sie nachgemessen hat. Ihr Management kostet mich die Bequemlichkeit, von allerlei seelenlosen Dienern im stand-by-Modus umgeben zu sein; wie weiland der Herr Graf von seiner stummen, allzeit dienstbereiten Dienerschaft. Nicht immer unterdrücke ich ärgerliche Knurrlaute, wenn ich den Computer zum dritten mal am selben Tag hochfahren oder auch nur das Pantoffelkino neu starten muss.
Aber wenn die Jahresabrechnung des Stromlieferanten keinen Rechenfehler enthält, dann muss ich wohl meine Energiesparargumente etwas umsortieren: zu Hause Strom sparen ist möglich, ohne dass die Lebensfreude welkt. Auch meine Liebste denkt nicht vom Aufstehen bis zum Schlafengehen ans Stromsparen, sondern nur, wenn´s dran ist, deutlich seltener als telefonieren.
Mit ihr habe ich gut lachen – ganz nebenbei auch bei der Stromrechnung.