Das neue Jahr kann uns noch viel bescheren. Aber für den Wettbewerb „Unwort des Jahres“ kann ich mir schon nach der ersten Woche einen Kandidaten notieren. „Friedliebende Muslime“ sind über Nacht zu einer der meist genannten Spezies im Lande geworden. Der schauderhafte Mordanschlag auf die Redaktion von Frankreichs Satire-Magazin „Charlie Hebdo“ war sicherlich der auslösende Keulenschlag.
Journalisten fragen, Politiker antworten – das vertraute und notwendige, diesmal notgedrungen etwas hektische Spiel. Was bedeutet das Blutbad von Paris für die deutsche Gesellschaft, wollen die Medienleute wissen. Es ist zu spüren, wie die Interviewten nach eindeutigen Worten suchen. Jeder falsche Zungenschlag kann jetzt Wasser auf die falschen Mühlen leiten. Und so fällt die Formel gleich mehrfach in der Magazinsendung, aus verschiedenem Mündern: „Die überwiegende Mehrheit der friedliebenden Muslime in unserem Land…“ So und ähnlich. Entweder erscheint diese Formel von den „friedliebenden Muslimen“ verschiedenen Sprechern gleichermaßen angemessen, oder sie ist sogar abgestimmt.
Im ersten Augenblick klingt das Kombiwort für meine Ohren irgendwie steif, langweilig, bemüht korrekt: friedliebende Muslime. Bei wiederholtem Gebrauch in den Politiker-Statements stellt sich aber Ärger ein. Das ist nicht nur eine Stilfrage!
Friedliebende Muslime? Wer würde von friedliebenden Deutschen sprechen, um sie vor der Verwechselung mit einigen tausend mit Sicherheit vorhandenen gewaltbereiten Fanatikern verschiedener Couleur in Schutz zu nehmen? Niemand käme auf die Idee, dass ihr persönlicher guter Ruf solche Schutzformeln nötig hätte. Gesetzestreue Bürger sind einfach solche, auch wenn man es ihnen nicht regierungsamtlich bescheinigt.
Kämen wir auf die Idee, ausdrücklich von friedliebenden Christen in Deutschland zu sprechen, weil sich andere Christen z.B. im Bürgerkrieg der Zentralafrikanischen Republik äußerst unchristlich verhalten? Nicht einmal eine Kategorie friedliebender Männer käme uns in den Sinn, um sie mit eben dem Adjektiv „friedliebend“ freizustellen von den Vorwürfen familiärer oder sexueller Gewalt.
Aber fünf Millionen Nachbarinnen und Nachbarn muslimischen Glaubens, zum großen Teil nach bürgerlichem Recht Landsleute, haben diese vormundschaftliche Wortwahl nötig? Weil im Nachbarland religiöse Fanatiker gemordet haben? Weil vor religiös getränktem Fanatismus auch bei uns keine Rundum-sorglos-Versicherung schützt?
Solange eine nach Millionen zählende Gruppe unseres Staatsvolkes in kritischen Momenten der Zeitgeschichte unaufgefordert das Unschuldsetikett „friedliebend“ angeheftet bekommt, befindet sie sich offensichtlich noch in einer Art Probezeit. Die ist aber in der dritten Zuwanderergeneration mehr als abgelaufen.
Ich fürchte, je öfter der Döner-Wirt, die Grundschullehrerin und der Fahrer des Müllautos, auch der nur geduldete Tellerwäscher in der Pizzeria pathetisch bestätigt bekommen, dass sie friedliebend seien, um so zwanghafter werden manche Parolen ausfallen, die im Tross von Pegida-Demos zu hören sind.
Die vielen vielen Muslime, die ich in Jahrzehnten kennengelernt habe, waren nicht in erster Linie friedliebend, sondern musikalisch, hilfsbereit, etwas schwermütig, leidenschaftlich, unordentlich, originell, kinderlieb, freigebig, ängstlich, tollkühn, klug, humorvoll, politisch, wenige auch fromm, eben Menschen in Deutschland.