Wasser? Wir kommen gelegentlich darauf zu sprechen, wenn die Regenwassertonnen rund ums Haus wochenlang leer bleiben. Dann klagen wir über die relative Trockenheit hier in Mitteldeutschland, verglichen mit unserer alten Heimat tief im Westen. Schlimmstenfalls droht uns hier, dass wir das Gartenwasser vom Brunnen zu den Beeten schleppen müssen, doppelt so weit wie von den Regentonnen. Ich habe auch einigen Gästen gegenüber schon darauf hingewiesen, dass sich in der Glaskanne auf dem Esstisch pures Leitungswasser befindet. Unser Heidewasser läuft jedem Supermarkt-Angebot den Rang ab.
Selten kabbeln sich meine Frau und ich dann vielleicht noch, wenn ich das Kaltwasser am Spülbecken zu lange laufen lasse. Sie ist sparsam bei allem und jedem. Und ich verteidige mich dann mit dem Wunsch der Wasserwirtschaft, nur ja genug Wasser zu verbrauchen. Wenn nicht, dann bricht den Leuten die ganze Kalkulation zusammen und wir zahlen die Zeche.
Wirklich, Wasser ist ein eher konfliktarmes und seltenes Alltagsthema in unseren vier Wänden. Und das, obwohl wir deutlich mehr von der globalen Wassernot wissen als unsere Nachbarinnen und Nachbarn, einfach weil Beruf und Engagement uns immer wieder zu Menschen und an Orte geführt haben, wo der Kampf um das „Menschenrecht Wasser“ dramatischer Alltag ist. Wenigstens einen wirklich schweren Durchfall wegen stinknormal verseuchtem Wasser habe ich in einem indischen Dorf heil überstanden. Aber ich war ja auch ein kräftiger gesunder Mann und nicht ein durch chronische Mangelernährung vorgeschädigtes Landarbeiterkind.
Ja, so geht es einem, der über Jahrzehnte manchen Vortrag, manchen Artikel, manche Predigt zum Menschenrecht Wasser, zum „Täglich Wasser“ gehalten hat. Und so geht es mir nicht nur mit dem Wasser. So geht es mir mit den anderen Schicksalsfragen des 21. Jahrhunderts: alle sind sie total real; z.B. die Ausbeutung des Menschen, bis er hungert; die grob fahrlässige Klimaschädigung; die skrupellosen Rüstungsexporte – was auch immer. Ich habe davon Getroffene getroffen. Ich falle angesichts all dieser Skandale mehr nicht auf jedes Zweck-Dementi von Politik und Wirtschaft herein. Sogar diese und jene Anpassung als Konsument, Urlauber, Verkehrsteilnehmer, Friedensaktivist hat sich inzwischen eingeschliffen.
Aber meine Solidarität geht zu erheblichen Teilen über den Kopf. Der behütete Rentneralltag sediert, unbeabsichtigt aber wirkungsvoll. Darum kommt mir diese moderne Flut von organisierten Aktions- und Erinnerungstagen eigentlich entgegen. Klar, inzwischen kann das niemand mehr wirklich mehr nachhalten, nicht emotional und noch nicht einmal als Nachrichten-Konsument. Klar, die Grenzen zu den eher witzigen, und gelegentlich auch albernen Widmungstagen sind fließend. Ob ich den „Internationalen Kiffertag“ am 20. April mit besonderer Bewegung begehen muss, möchte ich offenlassen. Andererseits habe ich für Initiativen wie den „Welt-Toilettentag“ am 19. November und den internationalen „Tag des Deutschen Butterbrotes“ am 25. September, schon vehement geworben.
Aber der „Weltwassertag“ am 22. März gehört fraglos zu den ganz unentbehrlichen Lotsen durch unsere Zeit, in der gleichen Liga z.B. wie der Tag der Menschenrechte am 10. Dezember. Dieser erdumspannende Wassertag, der wirklich in aller Herren Länder Menschen munter macht, hilft mir gegen den politischen Gedächtnisschwund; diese soziale Demenz. Sie setzt schleichend ein, wenn die Wahrnehmung der bedrohlichsten globalen Krankheitsherde zunehmend theoretisch und indirekt wird.
Aber über Wasser ist gut reden. Der Jede und Jeder wissen, was gemeint ist. Eine von zwei, drei, vier – je nach Definition – Grundlagen unseres Lebens. Wir alle wissen, dass wir alle für Wasser äußerstenfalls so gut wie alles tun würden. Auch der verschlafenste Cola- oder Biertrinker kann nicht verdrängen, dass die Menschheit und er selber das 21. Jahrhundert nicht überstehen werden, wenn die gegenwärtige Verschwendung, Vergiftung und Austrocknung des Lebensmittels Nr. 1 nicht zum Ende kommen. Durst und Hunger sind mit der Weltherrschaft des Mammon einfach nicht vereinbar. Irgend wann bleibt der Friede auf der Strecke.
Darum auf ein Neues: Wasser ist nicht weniger als ein Menschenrecht, nicht verhandelbar. Jede Regierung auf Erden steht in einer Bringeschuld, was die Kontrolle über Tun und Lassen derer angeht, die sich zu Herren über das Wasser aufschwingen.
Und die vier Messlatten für elementare Wasser-Gerechtigkeit kann sich auch jeder merken:
- Reichen muss es für ein gesundes Leben;
- sauber muss es sein, damit es Leben spenden kann;
- dort verfügbar, wo die Leute leben und nicht in horrender Ferne;
- und – für uns ziemlich aus dem Blick – bezahlbar auch für Arme. Denn der Faktencheck macht klar: je ärmer du bist, um so teurer, bis zur Unerschwinglichkeit, wird dein Wasser.
Einmal jährlich sollte uns so ein Weltwassertag schon den Wasserstand anzeigen – oder?