Es ist Ostermarsch! Genauer gesagt, die landesweiten Ostermärsche starten – und hoffentlich gehen möglichst viele hin! Ich selbst habe zun ersten mal seit 50 Jahren zwischen Karfreitag und Ostern keinen berufstypischen Termin. Also könnte ich doch noch wenigstens einmal von A-Z, bzw. von Duisburg bis Dortmund an meinem Heimat-Ostermarsch, dem „Ostermarsch Ruhr“, teilnehmen. Aber jetzt spielt das rechte Knie nicht mehr mit, blöd.
Dabei dämmert es inzwischen gewiss einigen Millionen Landsleuten, dass wir die politische Willensbekundung der Ostermärsche wieder bitter nötig haben.
Ob Putins Atombomber demonstrativ an den Außengrenzen der EU/NATO Patrouille fliegen; ob seine Diplomaten dem mit Käse und Aquavit gesegneten Dänemark den nuklearen Zeigefinger entgegen halten; ob eine US-Manöver-Karawane demonstrativ durch die Neu-NATO-Staaten rollt; ob wir selber ein eingemottetes Panzerbatallion wieder auf die Ketten setzen: einstweilen alles Gesten, noch mit reichlich Sicherheitsabstand vom ersten Schuss.
Aber man muss eben kein Fantasy-Autor mehr sein, um sich ein Revival der lebensgefährlichen Konfrontation jener Jahre zusammen zu kombinieren, in denen der Rettungsring der Menschheit aus den Buchstaben MAD (mutual assured destruction – todsichere gegenseitige Vernichtung) bestand.
Unsere nagelneue Getreidemühle hieß innerfamiliär wegen gewisser Ähnlichkeiten damals „Pershing II“. Ihr Gegenstück „SS 20“ wurde jenseits von Elbe und Weichsel herum gekarrt. Aber den Westdeutschen, die damals in Massen zu den Ostermärschen und nach Bonn strömten, war wirklich nicht nach Scherzen zumute. Wir sollten an die Abschreckung glauben und haben dieses Glaubensbekenntnis verweigert. Was meine persönliche Heimat, die christliche Kirche, angeht, waren wir den Calvinisten sehr dankbar, weil sie die Ablehnung des Abschreckungsdenkens zum Bekenntnisfall ausgerufen haben. Ich kann nicht zugleich dem in der Bibel bezeugten Gott vertrauen und der Logik der Abschreckung. Das 1. Gebot wird da zum Stolperstein.
Die Zumutung des Abschreckungsglaubens wird derzeit für alle Fälle entstaubt und der Volksseele von neuem zum Fraß hingehalten. Dabei legen sich die Richtlinien-Bestimmer unserer Politik noch darauf fest, dass Krieg im Osten nie und nimmer eine Option ist. Ich habe keinen Grund, ihnen das nicht abzunehmen. Aber um sie herum, im eigenen Land, wie in NATO-Europa, von den nervösen USA ganz zu schweigen, sprießt längst das verbale Unkraut, wie Quecken im Gemüsebeet.
Im Umgang mit Krieg und Frieden waren Worte aber noch nie Schall und Rauch! Und wer da in den Wald riskante Parolen hineinruft, und wer für das sprichwörtliche Echo sorgt, ist nicht bis ins Letzte geklärt. Auch wenn Doppelzüngigkeit gewiss zur machtpolitischen Stärke des Putin-Regimes zählt. Aber Schlangenzungen in Menschenmündern gibt es reichlich.
Kurzum, es kann wirklich nicht schaden, wenn Vernunft-geleitete Mediationspolitik unserer Regierenden sich auch auf fotogene Manifestationen des Bürgerwillens stützen kann. Die Ostermärsche hätten das Zeug dazu.
Das wäre dann auch die Chance, etwas wieder gut zu machen. Nicht seitens der Jahr für Jahr Teilnehmenden. Ich habe das Auseinanderbröseln der Ostermärsche nach 1989 an meinem Ort miterlebt. Wenige Jahre nach der deutschen Vereinigung musste die Polizeiwache nur noch eine Handvoll Verkehrsregler schicken. Ansonsten fädelten sich die wenigen hundert Altgedienten aus Gewerkschaften, Parteien, Kirchen, dieser und jener Bürgerinitiative routiniert und geräuschlos in den vorbei ziehenden „Ostermarsch Ruhr“ ein. Das waren die Leute, denen es wert war, auch gegen todbringende Rüstungsexporte, gegen den Rattenschwanz der Menschen verschlingenden Kriege in fernen Weltgegenden, Irak, Afghanistan, Kongo usw,, gegen die Aushöhlung des Asylrechts zu marschieren. Obwohl die Mittelstreckenraketen inzwischen auf dem Schrottplatz lagen; obwohl Warschauer Pakt und Sowjetunion nacheinander in Liquidation gingen. Etwas wieder gutmachen können die vielen anderen, die ohne besondere Zukunftsangst nach 1989 über Ostern in Familie oder Karibikurlaub gemacht haben.
Sie werden gebraucht. Nicht nur um unser selbst willen. Nicht nur wegen der Bewohner des Europäischen Hauses, in dem mittlerweile die Fetzen fliegen.
Über die Menschenrechte haben wir zu sagen gelernt, dass sie unteilbar und universell gültig seien. Auf den Frieden als Lebensbedingung für Hans und Grete, für Deutsche und Syrer, für sieben Milliarden Menschen und sehr viel mehr Milliarden Mitgeschöpfe trifft das Eins zu Eins genau so zu.
So ein Ostermarsch mit zeitgemäßer Botschaft und zeitgemäßem Bürgerwillen, dabei wäre ich gern noch mal dabei. Vielleicht geht es auch mit dem Fahrrad. Da spielt das Knie noch mit.