Es hilft mir, dass ich mir die Örtlichkeit vorstellen kann. Vor Jahrzehnten habe ich in der Lehrwerkstatt CAPA der Baptistischen Kirche in Bukavu, Demokratische Republik Kongo zusehen dürfen, wie junge Männer das Kfz-Handwerk erlernten, auf afrikanisch. Also nicht als Ersatzteil-Auswechsler, sondern als kreative Problemlöser. Sie lernten darauf zu vertrauen, dass sie einen bockenden Motor auch mit improvisierten Hilfsmitteln, mit von Fall-zu-Fall-Lösungen wieder zum Laufen bringen werden. Ich war beeindruckt.
Es ist dieselbe Kirche, derselbe Ort, womöglich sogar diesselbe schmucklose Großgarage, von der ich jetzt lese, dass dort junge Männer auch zu Gitarrenbauern ausgebildet werden. Viele von ihnen ehemalige zwangsrekrutierte Kindersoldaten aus den verschiedenen Kriegen, die den Menschen im Osten des Kongo nach 1994 das Leben zur Hölle gemacht haben. Afrikas Ersten Weltkrieg nennt die Welt inzwischen diesen Horror, auch weil die Opfer nach Millionen zählen. Damals, bei meinem ersten Besuch in den Werkhallen von CAPA, war noch Vorkriegszeit.
Gitarrenbauer hört sich toll an, wenn man die Musikleidenschaft junger Afrikaner kennengelernt hat. So ein Spezialist wird garantiert nicht auf seiner Ware sitzenbleiben. Aber auch EDV-Ausbildung oder, ganz anders, Training als Ziegelhersteller für den Bau sind bestimmt marktgerechte Ausbildungsprogramme für junge Männer und Frauen, die schließlich den Klauen ihrer Warlords entkommen sind. Und eine Kirche: was kann sie Besseres tun, als praktische Brückenbauerin in eine bessere menschenwürdige Zukunft für geschundene Frauen und Männer zu sein, die ja den Großteil ihres Lebens noch vor sich haben? Da ist es mir mehr als recht, wenn BROT FÜR DIE WELT 150.000 € Spendengelder für das Reha-Programm zur Verfügung stellt.
Aber meine bangen Fragen bleiben. Manches mal habe ich schon mit Therapeutinnen und Ausbildern gesprochen, die ehemaligen Kindersoldatinnen und -Soldaten bei der Rückkehr in einen Alltag jenseits von Mord und Krieg zu helfen versuchen. Kaum etwas, habe ich gelernt, ist eine verzweifeltere, ungewissere Reha-Arbeit. Kein seelischer Schaden scheint endgültiger, ja unheilbarer zu sein, als das, was diesen Kindern zugestoßen ist. Das selbst Erlittene und das mit eigenen Kinderhänden Getane sind unlöslich miteinander verklebt. Wie sollen Zwanzigjährige je wieder der verletzlichen Gefühle von Selbstrespekt und Respekt fähig werden? Wie sollen sie auf diese Gefühle bauen, nachdem sie als Zwölfjährige erlebt haben, wie all das in Trümmer geschlagen worden ist? Wie gesagt, es waren die Helfenden, die sich zu diesen bitteren Erfahrungen bekannten.
Sie wollten auch nicht aufgeben. Aber sie wollten Spenderinnen und Spendern auch keine falschen Versprechungen machen.
So muss es mir einstweilen genug sein, wenn möglichst viele Jungen und Mädchen in Bukavu nach ihren schrecklichen Kriegskinder-Tagen eine standortgerechte Chance zum Broterwerb finden. Aber ich, wir alle, müssen akzeptieren, dass es nach dieser Hölle als kindliche Opfer und Täter kein „Ist ja wieder gut“ geben kann, so wie ich meinen kleinen Kindern schon mal über ein verschrammtes Knie hinweg geholfen habe.
Wer ist bei diesen jungen Leuten, wenn die unerträglichen Träume kommen, wieder und wieder, lebenslang?