Kartoffelbauer Otto überlegt noch. Soll er etwas ganz Verrücktes machen? Soll er sich im Herbst dem „Ökumenischen Pilgerweg für Klimagerechtigkeit“ zur UNO-Klimakonferenz in Paris anschließen? Otto ist ehrenamtlicher Gemeinderat seiner Kirchengemeinde in einem Elbtaldorf in Sachsen-Anhalt. Da stolpert man schon mal über solche Empfehlungen. Also, soll er?
Klimawandel – die neue Wirklichkeit zieht herauf
Vor drei Monaten hätte er die Sache noch für eine Schnapsidee gehalten. Das war vor der großen Dürre. Die hat seine Kartoffeläcker inzwischen knietief ausgetrocknet. Die Ernte kümmert in der Erde und wird sich gar nicht oder nur mit heftigen Verlusten vermarkten lassen. Nachbar Heinrich geht es nicht anders. Nur, dass bei ihm der Mais welkt und, halb so hoch wie normal, die dürren Blätter einrollt. Was aus Peters Zuckerrüben werden wird, ist noch sehr ungewiss. Aber die Aussichten für die herbstliche Erntezeit sind nicht gut. Otto und seine Kollegen erleben im Hochsommer 2015 auf staubtrockenen Feldern eine existenzbedrohende Dürre. Schlimm genug! Aber nun klebt an ihrem Unglück Woche für Woche immer zäher das Etikett „Klimawandel“. Quer durch Deutschland, von Bayern bis Brandenburg, zieht sich nach Expertenmeinung eine Zone, in der Dürre und Starkregen einander immer öfter und dauerhaft abwechseln werden. Das einzelne Unglücksjahr, wie 2015, liefert noch keinen Tatsachenbeweis á la „Tatort“. Aber die statistische Häufung extrem regenarmer Sommer beschreibt beängstigend eine heraufziehende völlig veränderte Wirklichkeit.
Gedankenspiele im Dorfkrug
Kartoffelbauer Otto hat mehr als ein mulmiges Gefühl. Im Dorfkrug reden sie über den Klimawandel, ja oder nein. Otto erzählt von dieser christliche Klima-Pilgerei nach Paris. Gut, pilgern ist nicht sein Ding. Aber er könnte ja seinen Traktor anspannen und um Aufmerksamkeit für die vom Klimawandel bedrohten deutschen Bauern werben. Protestierende Bauern auf mächtigen Schleppern, das zieht doch die Kameras an. Ottos Nachbarn haben es nicht mit der Kirche. Aber ihre Sorgen an eine möglichst große Glocke zu hängen, das duldet keinen Aufschub. So wird aus dem Abend im Dorfkrug eine vorläufige Verabredung. Die Nachbarn werden dringende Arbeiten auf Ottos Hof erledigen, während der eine Woche lang Richtung Paris rollt und die Zukunftsängste der Bauern in Deutschlands Klimawandel-Regionen ins Bild setzt.
Bis es so weit ist, wird noch etwas Wasser die Elbe herunter rinnen. Eher rinnen als fließen. Überall von Dresden bis Magdeburg Richtung Norden messen sie im Dürresommer 2015 Tag für Tag penibel die Pegelstände, damit halb beladene Lastschiffe nicht plötzlich im Schatten des Magdeburger Doms eine Zwangspause einlegen müssen. Vielerorts längs des Stromes muss man in den Archiven 50, ja 80 Jahre zurück blättern, um Rinnsale erwähnt zu finden, die diesem unter Klimawandel-Verdacht stehenden Sommer entsprechen.
Ein Platz für Otto – aber nicht nur für Otto
Aber Otto hat ja ohnehin nicht vor, seinen Protesttraktor zu verschiffen. Wenn, dann wird er auf guten Straßen westwärts rollen. Vielleicht sollte er Dortmund ansteuern, sich dort diesem Pilgerweg als Blickfang anschließen. Die Kollegen haben eine ganze Menge fetzige Parolen entworfen, mit denen die Kartoffelfreunde im Westen über die neuartigen Existenzängste der Elbebauern informiert werden sollen. Sie und die Politiker in Berlin und Brüssel. Ist doch wohl klar, dass Otto und seine Kollegen Anspruch auf so was wie Klimawandel-Strukturhilfe anmelden, moralisch und politisch.
Otto, Otto, ich bin gespannt, wie eurer Zusammentreffen verlaufen wird, zwischen dir und diesen notorisch fußläufigen Pilgersleuten für Klimagerechtigkeit. Deine Dieselwolken werden sie kaum mögen. Dem wäre vielleicht noch abzuhelfen, indem man dich an den Schluss der Gruppe verbannt.
Womöglich werden sie Otto aber auch so etwas wie Betriebsblindheit als bäuerliches Klimawandel-Opfer in Deutschland unter die Nase reiben. „Ist dir nicht klar, dass Millionen deiner Mitbauern seit Jahr und Tag Klimawandel-Opfer sind? So wie die Vieh- und Ackerbauern in der Welt südlich der Sahara. Die Kreisläufe von Regenzeiten und Trockenperioden scheinen dort dauerhaft zerbrochen zu sein. Die bäuerlichen Klimaflüchtlinge zählen längst nach Millionen. Unter den Klimapilgern werden gewiss Frauen und Männer sein, die sich als Stimme dieser ersten Klimaflüchtlings-Generation verstehen.
Vielleicht tun sie Otto auf seinem Elbebauerntraktor ja unrecht. Es wäre ja wirklich nicht das erste Mal, dass Bauern in der Einen Welt sich ehrlichen Herzens für einander interessieren und so gar die Begegnung suchen. Ottos Kirche ist dabei immer ein Brückenbauer.
Vielleicht, ja vielleicht lässt sich Ottos Traktor nach ein paar guten Gesprächen am Rande des Pilgerwegs umgestalten: in eine Plattform für die Stimmen aller Bäuerinnen und Bauern, die darauf angewiesen sind, dass unser aller Klima-Unvernunft sie nicht zu brotlosen Verlierern macht, nirgendwo.
Freilich, ob Otto wirklich Otto heißt, ob er wirklich anspannen will. Wer weiß?