Invocavit 1. März 2009
Aber die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der HERR gemacht hatte, und sprach zu der Frau: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten? Da sprach die Frau zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet! Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist. Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon und er aß. Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze. Und sie hörten Gott den HERRN, wie er im Garten ging, als der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seiner Frau vor dem Angesicht Gottes des HERRN unter den Bäumen im Garten. Und Gott der HERR rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du? Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich. Und er sprach: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du nicht gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen? Da sprach Adam: Die Frau, die du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum und ich aß. Da sprach Gott der HERR zur Frau: Warum hast du das getan? Die Frau sprach: Die Schlange betrog mich, sodass ich aß. Da sprach Gott der HERR zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht, verstoßen aus allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Erde fressen dein Leben lang. Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen; der soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen. Und zur Frau sprach er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr sein. Und zum Mann sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen –, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden. Und Adam nannte seine Frau Eva; denn sie wurde die Mutter aller, die da leben. Und Gott der HERR machte Adam und seiner Frau Röcke von Fellen und zog sie ihnen an. Und Gott der HERR sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, dass er nur nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich! Da wies ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden, dass er die Erde bebaute, von der er genommen war. Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.
Genesis 3,1 f
Wahrhaftig eine Menschheitsgeschichte! In jeder Generation seit dem christlichen Altertum von neuem gemalt, Teil christlicher Hochkultur. Aber auch nicht sicher vor Karikaturisten und Witzeerzählern, Christen, Juden und Weltkindern; ein untrüglicher Beweis dafür, dass die Quintessenz menschlichen Lebens in dieser Geschichte eingefangen ist. Die Sache mit Gott, unsere Beziehungen von Mensch zu Mensch, unsere innersten Antriebe, unser Verhängnis.
Den Rahmen bildet eine unglaubliche Wohngemeinschaft. Unglaublich, wenn wir uns daran erinnern, dass die heilige Unnahbarkeit Gottes eine der großen Ängste des alten Israel war. Viele Seiten des Alten Testamentes sind gefüllt mit Vorschriften über Reinigungs- und Opferrituale, die die Annäherung zwischen Gott und Mensch ohne Lebensgefahr überhaupt erst möglich machen sollten. Und hier leben sie in einer Oase zusammen – wir nennen sie den Garten Eden – auf engem Raum, offensichtlich entspannt wie Mitglieder einer intakten Familie.
Die wasserreiche Oase ist ein Ort überquellenden Lebens. Nicht vom Himmel gefallen, sondern ein Stück Kulturlandschaft – gestaltet unter Nutzung dessen, was die Natur erlaubt. Der Oasenbauer ist Gott selber. „Gott“, niemand sonst, „pflanzte einen Garten im Osten, in Eden“. So beginnt die Paradiesgeschichte im 2. Kapitel der Bibel. Gottes eigener Hände Arbeit ehrt seither alle menschliche Arbeit, die sich bemüht, Brot zu schaffen und dem Leben zu dienen.
Oasen hatten und haben rechtsverbindliche Satzungen. Raubökonomie vertragen sie nicht. Wasserrechte, Weiderechte, Gemeinschaftsarbeiten, vieles muss geregelt sein. Auch die beiden Menschen machen nicht Urlaub im Schlaraffenland. Das Schlaraffenland ist kein Abbild des Paradieses, nur seine Karikatur. Wieder ein Zitat: „Gott setzte den Menschen in den Garten Eden, damit er ihn bebaute und bewahrte.“
Aber die Satzung von Eden ist kein enges Korsett. Sie lässt den Menschen großen Spielraum. Nur der Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen ist für sie unberührbar. Später ist dann noch vom Baum des Lebens die Rede. Diese beiden Bäume sind es, die Eden markieren als Aufenthaltsraum, sozusagen als Privatsphäre des Schöpfers selbst. Mehr als sein Wort hält der Schöpfer, wie es scheint, zur Sicherung dieser Privatsphäre nicht für nötig.
Gottes Privatsphäre, zugegeben ein etwas dreister Begriff. Aber vielleicht hilft er uns, festzuhalten, dass der Schöpfer nicht Alles und Jedes mit seinen Geschöpfen teilen wollte. Nicht die Verantwortung für den Sieg des Guten im Lauf der Schöpfung und der Geschichte; nicht die Verfügungsgewalt über das Maß des Lebens. Wobei wir uns fragen können, ob das, was wir Geschichte nennen – die unseres Lebens und die der Völker – ohne das Wissen um Gut und Böse überhaupt Geschichte im Sinne dieses Wortes wäre.
In unserer Welt, wo Verantwortung definiert und zugeteilt werden muss, würde Gott sich vielleicht vor Gericht wieder finden. (So, wie neulich ja tatsächlich in den USA.) Wie kann er Menschen, denen er schließlich selbst das Neugier-Gen mit auf den Lebensweg gegeben hat, nur mit einem bloßen Verbot vor ihrem Unheil schützen wollen? Ein bloßes „Betreten verboten“-Schild reicht ja auch nicht, wenn einer in einem Wohngebiet tiefe Baugruben aushebt. Hat da einer sein Geschöpf fahrlässig falsch eingeschätzt, so wie mancher Erfinder die Folgen seines Tuns?
Ich kann diese Frage nicht beantworten. Wenden wir uns dem unendlich oft gemalten Ereignis zu. Die Schlange, die arme, muss herhalten, um anzuzeigen, dass die Versuchung oft von außen in unser Leben einbricht. Dass Gott selbst am Ende die Tiergattung „Schlange“ pauschal verurteilt, nehme ich dem biblischen Erzähler nicht ab. Ich liebe Schlangen. Es macht mich traurig, in tropischen Ländern x-mal erlebt zu haben, dass Menschen die Schlange im Gemüsegarten erst einmal totschlagen. Hinterher schauen sie dann nach, ob das Tier zu der Minderheit der Schlangenarten gehört, die Giftzähne gebrauchen müssen. Na ja, und Erde essen, wie der Erzähler es Gott in den Mund legt? Dies Vorurteil kann nur durch ängstlichem Wegsehen, nicht beim bewunderndes Hinschauen entstehen.
Aber wie schon gesagt, die Schlange dient als Bild für die erschreckende Macht der Versuchung, die uns überfällt. Und Eva? Zu deutsch „die Leben Gebende“? Dass sie die natürliche erste Adressatin für die Stimme der Versuchung sei, scheint für Männer festzustehen. Etwa so gesichert, wie die Aussage, die Szene habe sich unter einem Apfelbaum abgespielt – wovon im biblischen Text mit keiner Silbe die Rede ist. Eva mag genauer hingeschaut haben, so wie meine Frau oft genauer hinschaut als ich. Aber dass Adam der Stimme der Versuchung erfolgreicher widerstanden hätte, halte ich für ein Gerücht, das nur Männer in die Welt setzen können. Wenn ich mich beim Studium menschlicher Geschichte nicht völlig verrannt habe, dann sind es überwiegend Männer, die am Spiel mit Gut und Böse ihr Vergnügen gehabt haben; die dabei zum Unheil der Völker auch immer wieder durch die Decke gegangen sind, in dem Wahn, sie könnten sein wie Gott.
Also nehmen wir die beiden als das, was sie sind: eine gottgewollte Lebens- und Schicksalsgemeinschaft. Mitgefangen, mitgehangen, im schlimmsten Fall. Es wirkt schon peinlich, wie Adam sich herauszureden versucht: „Diese Frau da, die Du mir zugeteilt hast, die hat´s zu verantworten.“ Als sei es Gottes Fehler gewesen, den Menschen aus der Einsamkeit zu erlösen.
Beide haben nun geschmeckt, dass Gut und Böse in ihrer Hand liegen. Die erste Folge dieser Erfahrung ist die Erkenntnis: „Wir sind nackt. Das darf nicht sein.“ Fast unvermeidlich, dass ein Kind da einen Zusammenhang mit unserer Sexualität empfindet, zumal bei etwas prüderer Erziehung. Ich denke dennoch, dass wir dann etwas missverstehen würden. Die Feigenblätter sind keine Frage der Schicklichkeit zwischen Männlein und Weiblein. Die Feigenblätter sind ein Selbstschutz vor der Heiligkeit Gottes. Es gibt Religionen und Kulte, die eine große Nähe zwischen Sexualität und Gottesverehrung zulassen, sogar wollen. Das Alte Testament gehört nicht dazu. Wer Gott nahe kommen will oder muss, praktiziert sexuelle Enthaltsamkeit. Karpfen, Spatz oder Bär kämen nicht auf diesen Einfall. Ihnen fehlt die Erfahrung von Gut und Böse.
Ernsthaftes sich verstecken im gemeinsamen Zuhause, dem Garten Eden, zeigt kindliche Züge. Und es ist natürlich erfolglos. Zugleich ist die Idylle für immer zerstört: ein in der Abendluft spazieren gehender Schöpfer und furchtlose Menschen in ursprünglich kindlicher Geborgenheit, das kann es nun nicht mehr geben. Auch Gott selbst hat das nicht mehr in der Hand. Die Konfrontation hat etwas Tragisches an sich. Haben die Menschen soviel mehr getan, als was ihnen von Natur vorgezeichnet ist? In Geheimnisse des Lebens, der Seele eindringen wollen? Grenzen in Frage stellen? Erfahrungen mit der Stimme des Gewissens machen?
Trotzdem, Gott handelt gleichsam in Notwehr. Ein Mensch, der nicht länger allein ein vertrauendes Kind sein will, vielleicht nicht länger sein kann, zu dem braucht auch Gott ein rettendes Stück Abstand. Zitat: „Damit er nicht seine Hand ausstrecke und breche von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewig.“ Ein mythologisches Bild, aber ich denke, wir verstehen es. Ein schmerzliches, aber unvermeidliches Abstandnehmen? Vielleicht klingen deshalb die beiden Strafreden an Eva und Adam so merkwürdig normal; nicht wirklich wie ein schreckliches Urteil, das kein Betroffener zu tragen vermag.
Eva wird ihre Lebenskraft in einer altorientalischen ländlichen Gesellschaft aufzehren mit Geburten und Kinderaufzucht, mehr Untertanin und Besitz als selbstbestimmter Mensch. Und Adam wird seine Äcker immer von neuem roden und entsteinen müssen. Und jedes Jahr wird ein neuer Kampf ums Überleben.
Keine Frage, so war und ist das Leben der kleinen Leute, die ihre Familien durchbringen – ohne die zerbrechlichen Sicherheiten, die wir inzwischen für die Wirklichkeit halten. Das sind aber auch dieselben Menschen, von deren Festen, von deren Gastfreundschaft in der ganzen Bibel immer wieder die Rede ist. Gott entlässt nicht in die finstere Freudlosigkeit. Er hat die unvermeidliche Trennung kaum ausgesprochen, da mildert er schon ihre Folgen. Er selber, hören wir, kleidet die Menschen ein. Nicht mit paradiesischen Feigenblättern, sondern mit solider Kleidung, die für den Alltag taugt.
Zu dem, was wir uns mitgenommen haben aus dem Paradies, gehört die Erkenntnis von Gut und Böse. Niemand von uns kann sie zurückgeben wie eine unverlangte Warensendung. Sie lässt sich auch nicht einfach in die Ecke legen und vergessen. Also gilt es, sie zu schulen. Ans Ende oder auf eine Fehlerquote Null kommen wir in dieser lebenslangen Schule des Gewissens nie. Aber wir haben die Bergpredigt und alle anderen Worte und Zeichen Jesu als Lehrbuch, das uns den Weg zum Ziel unseres Lebens finden lassen wird.