2. Sonntag nach Trinitatis, 13. Juni 2010
Herr,
deine Güte reicht, soweit der Himmel ist
und deine Wahrheit,
soweit die Wolken gehen.
Deine Gerechtigkeit steht wie die Berge
Gottes
und dein Recht wie die große Tiefe.
Herr, du hilfst
Menschen und Tieren.
Wie köstlich ist deine Güte, Herr,
dass
Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben!
Sie
werden satt von den reichen Gütern deines Hauses
und du tränkst
sie mit Wonne wie mit einem Strom.
Denn bei dir ist die Quelle
des Lebens
und in deinem Lichte sehen wir das Licht.
Breite
deine Güte über die, die dich kennen,
und deine Gerechtigkeit
über die Frommen.
(Psalm 36, 6-11)
Ein fast 3000 Jahre altes Gebet, ein Gesang, der die Welt und ihren Schöpfer umarmt! Die ganze Welt, so wie die Glaubenden Israels sie kannten. Herzbewegend, auch heute, wo wir jeden Winkel einer größer gewordenen Welt wenigstens über den Fernsehschirm zu kennen meinen.
Überall auf diesem Blauen Planeten lohnt es sich, zu leben. Denn überall können wir rechnen mit den drei Wesensmerkmalen Gottes, die dem Leben ihren Stempel aufdrücken, die das Leben lebenswert machen: Gottes Güte, Gottes Wahrheit, Gottes Gerechtigkeit.
Es gibt reichlich Gotteslob in der Bibel, das die Schätze der Schöpfung zum Gegenstand hat: Wasser, Brot, Sommer und Winter, Saat und Ernte, die Geborgenheit in Partnerschaft und Familie, die überwältigende Schönheit der Natur. Aber das alles entspringt einer Quelle. Diese Quelle heißt „Gott“. Ein Gott, der sich mit „Du“ anreden lässt. Der überall schon auf uns wartet, wo uns das Leben hinführt. Der Gott, auf den ich angewiesen bin, wenn mein Leben gelingen soll. Der Zusammenhang, dem unsere Sätze entnommen sind, macht das unmissverständlich klar.
Diese Quelle des Lebens verströmt Güte über die Welt: Herr, deine Güte reicht, soweit der Himmel ist“. Machen wir es uns mit dem Verstehen nicht unnötig schwer. In „Güte“ steckt das Eigenschaftswort „gut“. Gott meint es rundum gut mit uns und seiner Schöpfung. Das ist eine Haltung, auf die wir bauen können. So, wie auf unsere wichtigsten menschlichen Beziehungen.
In bescheidener Alltagssprache lässt sich kaum etwas Besseres über einen Menschen sagen, als dass er es erwiesener Maßen „gut“ mit mir gemeint habe. Zu dieser Erkenntnis können wir sogar kommen, obwohl ein Mensch uns Kritik oder Widerstand entgegengesetzt hat – z.B. bei unserer Erziehung oder Ausbildung, durch seinem Rat oder eine Entscheidung. Am Ende steht die Entdeckung des Motivs: Du hast es gut mit mir gemeint, von vorn herein. Du hast mich lieb gehabt, auch als ich das nicht sehen konnte oder wollte. Die Güte Gottes! Er hat einen Narren gefressen an seiner Schöpfung und an seinen Menschen, zu guter Letzt an mir. Gott kann nicht anders, als gut zu mir zu sein.
Das ist die Wahrheit Gottes. Sie ist in Kraft, „soweit die Wolken gehen“. Wahrheit, das ist im biblischen Sprachgebrauch zuallererst Verlässlichkeit. Keine Taktik, schon gar keine Tricks. Was Jesus uns ans Herz legt, das gilt für Gott vor allem anderen: Eure Rede sei Ja, Ja oder Nein, Nein. Alles andere ist vom Übel. Darum sind die Zehn Gebote Ausdruck der Wahrheit; sie werden so genannt. Deine Weisung ist Wahrheit (Ps 119,142) heißt es einem Psalmgebet.
Dieses Geschenk der Verlässlichkeit ist allerdings zugleich ein Anspruch. Die Wahrheit der Gebote, die Wahrheit der Seligpreisungen Jesu steht nicht auf der Kippe – weil sich heute eben jeder seinen Glauben aus den verschiedensten Zutaten zusammenmixen kann. Absolutheitsanspruch der biblischen Religion? Natürlich nicht so, dass uns zustünde, über Mitmenschen zu urteilen – sie gar zu verurteilen – weil sie unser Gottvertrauen nicht teilen.
Aber ich selber, ich kann meinen Gott, meinen Jesus nicht haben ohne die Wahrheit, die ein Teil von ihm ist. Praktisch jeden Tag führt mich das in Interessenkonflikte zwischen dem Rat und Anspruch, den Jesus auf mein Leben erhebt – und dem, was ich auf eigene Rechnung tun möchte. Die „Wahrheit Gottes“, sie ist zuerst eine Sache zwischen mir und meinem Gott – und nicht ein Knüppel im Kampf der Religionen um die Herzen der Menschen. Wahrheit, Verlässlichkeit nimmt Gestalt an in Recht und Gerechtigkeit.
Deine
Gerechtigkeit steht wie die Berge Gottes
und dein Recht wie die
große Tiefe.
Ungezählte Gesetzbücher sind schon in Kraft gesetzt worden, in denen Recht in Paragraphen gefasst war, das mit Gerechtigkeit nichts zu tun hatte. Gewaltherrscher, Diktatoren haben Unrecht als Recht ausgegeben und Richter gefunden, die bereit waren, Recht zum Instrument des Terrors zu machen. Selbst dann, wenn Rechtsstaatlichkeit nach irdischen Maßstäben gewährleistet ist, es bleibt die Frage nach der Gerechtigkeit im Recht. Jeden Tag geht es derzeit in unserem Land um diese Spannung.
Gottes bestimmender Charakterzug ist Güte. Darum setzt er Recht, das nicht auf Herrschaft zielt, sondern auf Gerechtigkeit. Gerechtigkeit, die vor allen anderen den Schwachen, den Armen, den Fremden zugute kommt. Gerechtigkeit gewinnt ihre Glaubwürdigkeit immer von unten. Die Rendite, an der der gerechte Gott Interesse hat, sind die Seufzer der Erleichterung, ist der Lobgesang derer, denen schließlich doch Gerechtigkeit widerfahren ist.
Güte, Wahrheit, Recht: Wesensmerkmale und Werkzeuge Gottes zugleich. Was dabei heraus kommt, beschreibt das alte Lied mit einem erstaunlichen Satz: Herr, du hilfst Menschen und Tieren.
Ein Satz, den die christlichen Tierschützerinnen und Tierschützer alle im Sinn haben. Diese Schwestern und Brüder haben es ja nicht leicht in unserer Kirche. In der Kirche, urteilen wir spontan, geht es schließlich um uns Menschen – um das, was uns mit Gott verbindet oder von ihm trennt. „Kommen Tiere in den Himmel?“ ist nur eine naive Kinderfrage. Oder?
Lassen wir den Himmel fürs Erste mal bei Seite. Auf Erden, daran lassen diese wenigen Worte keinen Zweifel, ist der Schöpfer für beide da – aus dem selben Motiv der Güte und der Liebe „Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte – und siehe, es war sehr gut“ Derselbe Grundstoff des Lebens, die Erde vom Acker, derselbe Lebensatem, eine einzige unauflösliche Lebensgemeinschaft – lediglich mit der besonderen Treuhänder-Verantwortung auf unserer Seite. Für den Schöpfer zählt das Ganze. Wenn unsere Bibel und die naturwissenschaftliche Evolutionsforschung in einem einig sind, dann in diesem Bild von unauflöslichen Netzwerk des Lebens.
Herr, du hilfst Menschen und Tieren. Ein wunderbarer Satz, der doch so weh tut – wenn wir an die täglichen Bilder vom Krepieren der Tiere im Golf von Mexiko denken.
Wie Gott die Menschheit strafen wird für den globalen Artentod der Tierwelt auf dem Altar des Mammon – ich weiß es nicht. Unser Verstand ist jedenfalls ausreichend, um zu wissen: tierisches Leben ohne uns Menschen ist möglich, war möglich, lange bevor es uns uns gab. Aber menschliches Leben ist nicht möglich ohne unsere tierischen Mitgeschöpfe – aus tausendundeinem Grund. Das ist nicht nur Bio-Wissenschaft, das ist Bibel, das ist Gottes Wahrheit.
Güte, Wahrheit, Gerechtigkeit: der Psalm besingt das aufblühende Leben, das sich unter diesen Flügeln entfalten kann:
Wie
köstlich ist deine Güte, Gott,
dass Menschenkinder unter dem
Schatten deiner Flügel Zuflucht haben.
Zuflucht, das andere Wort für Geborgenheit. Das Küken entkommt unter dem Flügel der Mutter ja nicht nur den Räubern, der Nässe und Kälte. Es sammelt auch Lebenskraft, kann wachsen, lebenstüchtig werden. Gottes Zuwendung macht satt – und mehr als das. Unsere heute gebräuchliche Fassung der Lutherbibel drückt sich sozusagen gesittet aus:
Sie
werden satt von den reichen Gütern deines Hauses
und du tränkst
sie mit Wonne wie mit einem Strom.
Genauer
muss man übersetzen:
Sie
werden trunken von den reichen Gütern deines Hauses
Die Söhne und Töchter Israels sind ja sehr unbefangen mit dem Wein und seinen Wirkungen umgegangen. Selbst der Mensch, der gelegentlich über die Stränge schlägt, erfreut sich dabei noch der Lebenskraft, die ihre Quelle in Gott hat. Auch ein kluger Suchtberater der Diakonie wird dem nicht grundsätzlich widersprechen.
Denn
bei dir – so
das Fazit – ist
die Quelle des Lebens
und in deinem Lichte sehen wir das Licht.