„Es ist ein Ros´ entsprungen“

Heiligabend, 24. 12. 2007


Es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seinem Wurzelstock Frucht bringen. Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn.

(Jesaja 11, 1-2)

Ist er nicht schön? (Weihnachtsbaum) Unser Weihnachtsbaum, so stattlich, dass er in keiner unserer Wohnungen Platz hätte. Aber eine Schwäche hat er gemeinsam mit den bescheideneren Nordmann-Tannen und Fichten in unseren Wohnungen: er ist tot. Bald wird er nadeln. Früher oder später nach Neujahr muss er raus.

Zu Weihnachten schmücken wir tote Bäume. Auf einer Weihnachtsbaumplantage irgendwo in Deutschland oder Dänemark steckt noch ein kleiner Stumpf im Boden, der unseren heimischen Weihnachtsbaum einmal getragen hat. Dort wird wieder aufgeforstet werden. Denn so ist ja das Geschäft.

Aber Hand auf´s Herz: ein Baumstumpf hat immer etwas Trauriges. In unserer Zeit mehr noch als früher, da Menschen voller Optimismus scheinbar unerschöpfliche Wälder rodeten. Ein Baumstumpf, das ist abgehauenes, gewaltsam beendetes Leben. Kein Blätterdach mehr, keine Tannenzapfen, kein Vogelnest, keine Apfelernte.

Bäume als Wunderwerke der Schöpfung, als Garanten des Lebens. Die Bibel ist voll solcher Bilder, beginnend mit dem Baum des Paradieses. Mit seinen Zweigen weist er hin auf die Fülle all der anderen Bäume, die uns Menschen Schutz und Nahrung geben.

Auch den Weg Gottes mit seinem Volk Israel, gebündelt in der Geschichte des Kö­nigshauses David, beschreibt der Prophet Jesaja im Bild eines gewachsenen Baumes. Aber von diesem Baum ist nur noch ein Stumpf da. König und Volk haben selbst die Axt an die Wurzeln gelegt. Den Bund des Lebens gekündigt durch aufgehäufte Schuld und Missachtung der Lebensgesetze Gottes. Schließlich sei Gott selber wie ein Holzfäller auf diesen Baum losgegangen.

So wird der trostlose Baumstumpf des Propheten Jesaja zum Bild für alle gescheiter­ten Beziehungen unseres Lebens. Glaubensbeziehungen, Zweierbeziehungen, verlorenes Vertrauen zum Leben insgesamt: alles, was zerbricht im Leben, kann sich wiederfinden im traurigen Bild des nackten Baumstumpfes.

Aber so mancher Baumstumpf ist nicht totzukriegen. Solange das Wurzelwerk lebt, versucht der Baum mit aller Macht, von neuem auszutreiben. Tief unten, knapp über der Erde erscheint ein neuer Trieb, der die klaffende, scheinbar tödliche Wunde mit seinem Wachstum zudecken und heilen möchte. So wie dieser Kastanientrieb, heute morgen bei uns auf dem Hof des Mauritiushauses in Niederndodeleben von einer Kastanien­ruine abgeschnitten (zeigen). Gerade, zielstrebig, schon mit den Knospen für das Frühjahr 2008. Und dieser Trieb war nicht der einzige an dem Kastanienstumpf.

Die Liebe Gottes ist trotz Enttäuschung nicht totzukriegen. Das ist die Weihnachts­botschaft. des Prophetenwortes So lieferte Jesaja vor 2 ½ Jahrtausenden das Motiv für das Lied „Es ist ein Ros´ entsprungen“, mit dem diese Christvesper begonnen hat.

Auch wenn meine oder deine Geschichte mit Gott längst zuende schien, da ist etwas Neues gewachsen; es ist im Begriff zu wachsen. Nicht nur als nutzloses Gestrüpp, als hoffnungsloser Angsttrieb, sondern wie Martin Luther nicht unbedingt wörtlich, aber im Kern richtig übersetzt: um tatsächlich Frucht zu tragen.

Neuanfang mit Gott, Neuanfang mit meinem Vertrauen zum Leben, Neuanfang mit meinen Nächsten – allem zum Trotz, was früher kaputtgegangen ist. Das ist das Weihnachtsgeschenk der biblischen Botschaft – die Alternative für alle, denen Flach­bild-Fernsehschirme oder Parfums als Liebesbeweise zum Hals herauskommen.

Natürlich haben unsere ältesten christlichen Vorfahren in dem neuen Reis aus dem abgehauenen Wurzelstock Davids Jesus erkannt, mit den Augen des Glaubens. Das Baby aus Bethlehem – nicht viel mehr als ein zaghafter Trieb am abgehauenen Stumpf, noch mit bloßer Hand abzuknicken, wie Herodes es versucht hat. Aber schon ausgestat­tet mit allem, was ein Mensch Gottes braucht – und was Jesus den Seinen, also uns, auch heute weitergibt: Anteil an seinem Leben erhaltenden Geist, am Geist der Weisheit und des Verstandes – will sagen, dass wir mit Gott an unserer Seite begreifen, worauf es ankommt für ein lohnendes Leben. Dass auch wir einfachen Leute imstande sind, die gute oder schlechte Wahrheit der Botschaften zu beurteilen, die auf uns einprasseln.

Am Geist des Rates und der Stärke – will sagen, dass wir mit Jesus lernen, entschlos­sen Ja und Nein zu sagen und zu handeln, zu unserem Wohl, zum Wohl unserer Nächsten, unserer Mitgeschöpfe und derer, die nach uns kommen

Und Anteil an der Erkenntnis und der Furcht des Herrn. Der Erkenntnis: Gott ist Liebe und die Quelle der Gerechtigkeit – und Furcht des Herrn, nicht weil Gott zum Fürchten wäre, sondern, weil es fürchterlich wäre, in einer Welt zu leben, wo Mammon und Waffengewalt das letzte Wort haben.

Gottes Liebe ist nicht totzukriegen. Nehmt das mit in dem Bild des unwiderstehlich wieder austreibenden Baumstumpfes – oder im Bild des Kindes in der Krippe. Beide Bilder meinen dasselbe. Sogar das Kreuz stellen manche christlichen Künstler nicht als Totholz, sondern als lebendigen Baum dar, unter dessen Zweigen das Leben Schutz und Nahrung findet.

Tot – und siehe es will leben, es wird leben. Achtet doch bei euren Weihnachtsspa­zier­gängen besonders auf die Baumstümpfe, an denen ihr vorbei kommt.

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