Exaudi, 23. Mai 2004
Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, ein Bund, den sie nicht gehalten haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der HERR; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein. Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.
(Jeremia 31, 31- 34)
Einen kennen wir, dem diese Worte zu Herzen gegangen sind: niemand anderem als Jesus selber. Es kommt die Zeit, verspricht Gott durch den Mund des Jeremia, da will ich mit Haus Israel einen neuen Bund schließen. Und Jesus entdeckt in diesem damals schon 600 Jahre alten Versprechen die Deutung, den Sinn des Leidensweges, der unmittelbar vor ihm liegt. Deshalb deutet er den Becher mit Wein beim letzten Passahmahl mit den uns vertrauten Worten: „Dieser Becher ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird.“
Alles was Gott verspricht, neu zu machen zwischen ihm und und seinem Volk, ein ganz neuer Bund, das entdecken wir in der Begegnung mit Jesus von Nazareth im Vertrauen
auf
die Liebe, die er lebt;
auf die Vergebung, die er zuspricht;
die
Kraft, die er weitergibt;
die Hoffnung, mit der er die Herzen
erfüllt.
Als Jeremia, der Prophet, zum Sprachrohr für die große Verheißung des neuen Bundes wird, da hat er schon mehrere Jahrzehnte lang den unaufhaltsamen Niedergang des kleinen Königreiches Juda miterlebt. Er hat versucht, den aufeinander folgenden Königen in Jerusalem zu raten, welchen Weg sie gehen sollten; wie sie den Willen des Gottes Israels mit den Zwängen und Versuchungen der Macht- und Bündnispolitik jener Zeit am ehesten in Einklang bringen könnten. Er hat sogar immer wieder einmal Gehör bei den Mächtigen gefunden.
Aber jetzt steht der endgültige Untergang des Kleinkönigtums Juda unmittelbar bevor – oder er ist schon Tatsache geworden – mit Belagerung, Blutvergießen, Zerstörung, Gefangenschaft. Wir wissen es nicht genau. Aber wir wissen, dass Jeremia nach einem langen Leben als Prophet wider Willen das Ende Judas selber miterlebt hat. Das Ende – nach dem es kein freies Israel mehr gegeben hat – bis heute – wenn man nicht im modernen Staat Israel ein neues Stück der Geschichte Gottes mit seinem Volk erblicken will. Und dazu haben die Juden innerhalb und außerhalb Israels ja kein einheitliches und gemeinsames Zeugnis.
Der weltliche Gottesstaat Israel – Juda – ist zu Lebzeiten Jeremias endgültig gescheitert; obwohl er doch Jahrhunderte zuvor am Berg Sinai durch die Verheißungen Gottes und die Bekundung seines Gesetzes ins Leben gerufen wurde. Den Kern dieses Gottesgesetzes nennen wir die Zehn Gebote. Ursprünglich, erzählt das zweite Mose-Buch, von Gott selbst in Steintafeln geprägt. Aber die zerschlug Mose bereits in heiligem Zorn, als er vom Sinai herabsteigend, auf das Festival mit dem Goldenen Stier traf.
Und das spätere Königtum Israels im verheißenen Land: seit den Tagen von Saul und David stand es in Spannung und immer wieder im heftigen Gegensatz zu dem Anspruch Gottes, der allein Herr sein wollte über sein auserwähltes Volk.
Eigentlich ist es das gemeinsame Fazit, das alle Propheten aus der politischen Geschichte Israels ziehen, was Jeremia kundtut: alles begann damit, dass Gott Israel an der Hand nahm, um es aus der ägyptischen Sklaverei zu führen. Aber, lautet Gottes abschließendes Urteil, „das ist ein Bund, den sie nicht gehalten haben.“
Irdische Gottesstaaten tragen den tödlichen Keim ihres Scheiterns in sich. Was Israel erlebte und erlitt, hat sich in der Geschichte des Christentums und anderer Religionen eins ums andere Mal wiederholt. Auch unreligiöse oder antireligiöse Weltanschauungen können, wie wir alle wissen, das Zerrbild irdischer Gottesstaaten spiegeln. Machthaber als Deuter und Verwalter göttlichen Willens oder gottgleicher Wahrheiten, das ist die Quelle unermesslicher Leiden bis in unsere Tage.
Ein einmaliger Bund ist gescheitert. Gott selber zieht das Fazit aus der Geschichte Israels bis zum Ende des kleinen Königreiches Juda. Aber Gott kann nicht aufgeben. Er will den Neubeginn. Frag nicht, warum. Seine Leidenschaft, seine Sehnsucht nach Bundesgenossen in seiner Schöpfung treibt ihn. Gott kann es nicht lassen. Darum sucht er seine Menschen nun auf einem neuen Weg.
„Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben.“ Keine neuen steinernen Tafeln. Der Tempel liegt in Trümmern. Es gibt keinen heiligen Ort, keine Priester, keinen König, die den Gottesbund zu ihrer Sache – ja auch zu ihrem Anspruch machen könnten.
Von nun an wählt Gott den direkten Weg zum Herzen jedes Menschen. Jeder in Israel, jede und jeder von uns bekommen alles, worauf es ankommt, direkt von Gott gesagt und geschenkt. Der Bund Gottes mit dem gefangenen und verstreuten Volk Israel wird erneuert. Aber er besteht künftig aus einer Vielzahl von Lebensbünden, die Gott schließt mit allen seinen Kindern.
Alle werden in der Tiefe ihres Herzens wissen können, worauf es ankommt. Für das Entscheidende zwischen mir und meinem Gott braucht es weder Priester noch Gelehrte: „Sie sollen mich alle erkennen, seien sie einfache Menschen oder Berühmtheiten.“
Das sind Sätze, die euer Selbstbewusstsein als Christenmenschen bärenstark machen müssen. Lass diesen Gott, der sich mit dir verbünden will, einfach zu dir sprechen, zu deinem Herzen, im Gebet, durch die Bibel, in den Erfahrungen des täglichen Lebens.
Wie das geht mit diesem Herzensbund? Wie unterscheide ich ihn von den schwankenden Gefühlen meiner Psyche?
Da brauchen wir den Blick auf Jesus. Als Allererstes, jeder, der auch nur ein wenig von den Jesusgeschichten weiß, findet die Kernzusage aus dem Prophetenbuch bestätigt: was zählt, ist der einzelne Mensch. Die da ihre Erlebnisse mit Jesus von Nazareth haben, sind so grundverschieden nach Herkommen, Rang, Schicksal, Lebensstil, Moral, Frömmigkeit, Alter – was auch immer – wie die Menschen in unserer Stadt. Aber was sie erleben, ist im Kern dasselbe. Jesus sucht, was Gott bereits in die Herzen dieser völlig verschiedenen Menschen geschrieben hat: den Glauben, dass sie nicht verloren sind. Dass Gott der Bundesgenosse ihres Lebens ist.
Und weil wir so leicht daran zweifeln, dass Gott für uns da ist, gibt es immer wieder diese Reihenfolge: zuerst die Vergebung, die die Vergangenheit des Lebens bewältigt. Jeremia drückt es so aus: „Ich will ihnen ihre Missetat vergeben und nicht mehr an ihre Sünde denken.“ Jesus macht aus der Bereitschaftserklärung Gottes die Zusage: „Deine Schuld ist dir vergeben.“
Vieles wird danach in den Begegnungen mit Jesus möglich: Heilungen, Befreiungen, Freudentänze, Aufträge. Eins zu Eins lässt Jesus Wirklichkeit werden, was Jeremia erkannte als den großen Neubeginn des Gottesbundes.
Gott hat ein für allemal Ja zu mir gesagt. Er hat einen Bund mit mir geschlossen, den er nie kündigen wird. Auf gut Evangelisch nennen wir das die „Freiheit eines Christenmenschen“. Aber ich bin mir sicher: viele katholische Glaubensgeschwister halten sich an diese Gewissheit genauso, wie wir das können. Es wird ihnen helfen, ihren Weg mit Gott zu gehen, auch wenn sie manchmal an den Erlassen ihrer geistlichen Führer zweifeln oder verzweifeln.
Die Stimme Gottes aus dem Mund der Propheten vergleicht den Gottesbund eins ums andere Mal mit dem Lebensbund der Ehe. Der Vergleich liegt auf der Hand, nicht weil wir heute das patriarchalische Eheverständnis alttestamentlicher Zeiten nachahmen sollten, sondern in einem sehr modernen Sinn: die Ehe birgt Schätze, aber nur, wenn wir uns bemühen, sie zu heben, wenn wir unseren Bund leben und pflegen.
In diesem Sinne, liebe Bundesgenossinnen und Bundesgenossen Gottes: was unser Gott versprochen hat, das hat er in Jesus gehalten. Der neue Bund in seinem Wort, in seinem Blut, in seiner Auferstehung, in seiner Gegenwart – in unseren Herzen ist er festgeschrieben.