23. Sonntag nach Trinitatis, 26. Oktober 2008
Da gingen die Pharisäer hin und hielten Rat, wie sie ihn in seinen Worten fangen könnten; und sandten zu ihm ihre Jünger samt den Anhängern des Herodes. Die sprachen: Meister, wir wissen, dass du wahrhaftig bist und lehrst den Weg Gottes recht und fragst nach niemand; denn du achtest nicht das Ansehen der Menschen. Darum sage uns, was meinst du: Ist’s recht, dass man dem Kaiser Steuern zahlt, oder nicht?
Als nun Jesus ihre Bosheit merkte, sprach er: Ihr Heuchler, was versucht ihr mich? Zeigt mir die Steuermünze! Und sie reichten ihm einen Silbergroschen. Und er sprach zu ihnen: Wessen Bild und Aufschrift ist das? Sie sprachen zu ihm: Des Kaisers. Da sprach er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist! Als sie das hörten, wunderten sie sich, ließen von ihm ab und gingen davon.
(Matthäus 22,15-22)
Kaiser mit Regierungsmacht sind Vergangenheit – unsere Zeit prägen Präsidenten und Kanzlerinnen, aber auch eine weltweite Bande von Gewaltherrschern ohne Krone. Einige Unterschiede zwischen damals und heute liegen auf der Hand. Wir jedenfalls dürfen unsere Regierenden heftig kritisieren, ohne um Freiheit oder gar Leben fürchten zu müssen. Und alle paar Jahre einmal haben wir sogar das Recht, sie mittels Stimmzettel in Pension schicken. Die da oben versuchen ihrerseits, das Gras wachsen zu hören und sich die Zustimmung von mindestens 50,1 % des Wahlvolkes zu erhalten. Kleine Wahlgeschenke erhalten die Freundschaft. Billiger kommt es, dem Volk vor Wahlen Sündenböcke für die Übel und Nöte der Zeit einzureden. Aber liegen wirklich Welten zwischen damals und heute? „Ist es recht, dass man dem Kaiser Steuer zahlt – oder nicht?“ Wohlgemerkt: ist es recht? Ist es in Ordnung, im ernsthaften Sinn des Wortes? Nicht: macht es Spaß! Steuerpflicht war noch nie ein Belustigungsprogramm für Bürgerinnen und Bürger. Auf heute übertragen, lautet die Frage nicht: „Ist es recht, Herrn Steinbrück zukommen zu lassen, was die Steuergesetze vorschreiben?“ Natürlich muss das sein – Steuergerechtigkeit vorausgesetzt. Gemessen an seinen Aufgaben z.B. im Sozialbereich oder bei der Bildung ist unser Staat unterfinanziert.
Ist es immer noch recht – so wird ein Schuh draus – wenn die Steuer eintreibenden Machthaber mittels ihrer Staatskassen offensichtlich lebensfeindliche und dem Willen Gottes hohnsprechende Ziele verfolgen?
Ich erinnere mich lebhaft der aufgeregten Diskussionen, die wir in der alten Bundesrepublik hatten, als es vor knapp 30 Jahren um die Atomrüstung hüben und drüben ging. Damals fühlten sich einige Bürger in ihrem Gewissen verpflichtet, dem Finanzminister den prozentualen Anteil des Verteidigungsetats von ihrer Einkommensteuer abzuziehen. Den einbehaltenen Betrag haben sie nicht etwa privat verbraucht, sondern auf ein Sperrkonto überwiesen – in der Hoffnung, ihn mit Zustimmung von Staat oder Gerichten einem Zweck der Friedensarbeit zuführen zu können. Es kam, wie es kommen musste: Politik und Gerichte handelten nach dem Motto „Wehret den Anfängen“. Wo kämen wir hin, wenn Bürger ihre anteiligen Steuern für bestimmte Zwecke verweigern dürften! Die Rüstungssteuer-Verweigerer wurden attackiert, als seien sie arme Irre.
Dabei ließe sich die Liste von Verwendungszwecken, bei denen die Frage nahe liegt, ob man dem Staat dafür Steuern zahlen soll, mühelos verlängern. Soll ich Steuern zahlen für eine EU-Agrarpolitik, die den Hunger in Teilen der Welt eher wachsen als abnehmen lässt? Für eine Finanzpolitik, die den Reichen gibt, was sie den Armen nimmt? Für eine Energiepolitik, die unterm Strich den Klimawandel auf die leichte Schulter nimmt? Die Beispiele haben ihr Für und Wider. Ich wollte uns nur daran erinnern, dass Steuern und Gewissen Überschneidungen haben – und das nicht nur bei der Frage, ob ich versuchen soll, das Finanzamt um 350 € zu betrügen.
Darum haben die Gegner Jesu auch keine guten Karten bei ihrem Versuch, ihn über die Frage der Steuerpflicht zu denunzieren. Das Kaiserporträt auf der Münze erinnert nicht nur fromme Juden an den Gottesstaat römischer Prägung. Eine ernste Gewissenssache, die viele Christinnen und Christen der ersten Generationen der Kirche ins Martyrium geführt hat – je nachdem, wie sich die Nachfolger auf dem Thron des Augustus gerade zu der neuen Unterschicht-Religion stellten. „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“, diesen Glaubensgrundsatz hat Petrus von Jesus selbst gelernt. Der Anspruch des Kaiserbildes auf die Herzen der Menschen ist eine Sache – der Geldwert der Münze eine andere.
Es gibt die andere unglaublich lässige Steuerepisode in den Jesusgeschichten. Er soll Tempelsteuer zahlen, für sich und für Petrus. Also gibt er ihm auf, im nahen Gewässer einen Fisch zu fangen und dem ins Maul zu greifen. Dort wird er den passenden Betrag, eine Doppeldrachme, finden. „Zahle damit, für dich und für mich.“ Gemessen am Gottesgehorsam ist Steuerpflicht, ob für Kaiser oder Tempel, etwas grandios Zweitrangiges. Selbstverständlich, aber nicht entfernt das, worauf es ankommt.
Mit den Augen Jesu gesehen sind Kaiser oder Finanzminister keine Schicksalsfrage für den Glauben – solange nicht, wie sie uns nicht daran hindern, „Gott zu geben, was Gottes ist.“ In unserer jüngeren evangelischen Kirchengeschichte ist der Doppelsatz Jesu wohl deshalb zum Rätsel, wenn nicht gar zum Problem geworden, weil wir seine beiden Hälften gleichgewichtig ausgelegt haben. Zusammen mit dem schroffen Lehrsatz des Paulus (Röm. 13), dass jede „Obrigkeit“ (wie Martin Luther traditionsbildend übersetzt hat) von Gott sei, stellte diese Auslegung „Kaiser und Gott“ in die gleiche Liga. Bis hin zu dem kabarettreifen Zitat aus den Berliner Hofnachrichten vor etwa 100 Jahren: „Die Allerhöchsten Herrschaften begaben sich in den Dom, um dem Höchsten zu dienen.“
Unsere Kirche und unser Volk haben für die Gleichbehandlung von „Kaiser und Gott“ einen schrecklichen Preis bezahlt. Aus dem Kaiser wurde ein Führer. Der beschaffte sich seine verblendeten „Deutschen Christen“. In den letzten beiden Jahrzehnten hatten wir es mit dem wild gewordenen Mammon zu tun, der sich gebärdete wie ein toller Kaiser – und der doch Unterordnung und Anerkennung von uns allen gefordert hat.
Es hilft alles nichts: auch wenn es ohne Paulus keinen Reformator Martin Luther und keine Kirchen der Reformation gäbe: wir wissen heute einfach, dass des Paulus Obrigkeitsurteil nicht durch die Geschichte trägt. Schon wenige Jahrzehnte nach dem Tod des Apostels, mussten sich Jesus-Leute dafür entscheiden, der kaiserlichen Obrigkeit nicht untertan zu sein. Viele zahlten den Preis des Martyriums. Unser Dom trägt mit Mauritius den – wenn auch legendarischen – Namen eines solchen Menschen.
„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist – und Gott was Gottes ist.“ lautet Jesu knappe Devise. Aber alles, wirklich alles, was an Worten und Taten von ihm überliefert ist, stellt darüber den Obersatz: „Du sollst, du darfst deinen Gott lieben von ganzem Herzen“. Das greift in den Entweder-Oder-Situationen unseres Lebens. Das ist der Artikel 1 des Glaubens. Er sagt das Wichtigste zuerst. So wie auch unser politisches Grundgesetz im 1. Artikel: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Gib also Gott, was Gottes ist! Preußens Soldatenkönig brüllte seine Gardisten an. „Ihr sollt mich lieben, Kerls!“ So nicht! „Lasst uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt!“ Liebe ist Antwort. Antwort auf das Geschenk des Lebens. Antwort für das Brot und für die Freude, die in mein Leben kommt. Antwort für die Kraft zu Neuanfang, dass ich kein Gefangener schuldbeladener Vergangenheit bleiben muss. Dank für die Zusage, dass auch die schwersten Wege in Gottes Armen enden. Ja, Gott gibt, bevor er bittet. Er verpflichtet sich zur Treue, bevor er Treue im Gewissenskonflikt erwartet. Vor der so streng klingenden Forderung des Glaubensgehorsams steht das Geschenk des Glaubens. Das eine nicht ohne das andere. Wer Freude und Geborgenheit des Glaubens nicht kennt, hat keinen wirklichen Grund, sich der Erwartung Jesu zu stellen. Wenn aber Christin und Christ zu sein zu mir gehören wie meine Blutgruppe, dann darf Jesus erwarten, dass ich im Zweifelsfall seinem Weg folge.
Dass wir uns entscheiden müssen, und zwar nicht zwischen Schweineschnitzel und Rinderroulade, sondern zwischen Wegen ins Verderben oder zum Leben – dafür hat dies mit Beginn der Winterzeit langsam zuendegehende Jahr unwiderlegbare Beweise geliefert. Wie lang soll die tägliche Warteschlange vor der Essensausgabe auf dem Bahnhof Buckau noch werden, ohne dass wir Christenmenschen uns im Namen des gerechten Gottes zu Wort melden? Gott geben, was Gottes ist, wenigstens unsere Stimmen für die Armen. Was fangen wir an mit den Fotos deutscher Sturmgewehre und deutscher Spezialfahrzeuge für den Verschuss von Streumunition aus dem Georgienkrieg? Gott geben, was Gottes ist, wenigstens die laute Stimme unserer Kirche gegen das Geschäft mit dem Tod. Was geht uns das Stakkato der Alarmmeldungen vom Klimawandel an? Wenigstens eine saubere Energiebilanz dieser Gemeinde, weil wir sie dem Schöpfer schuldig sind.
Gott geben, was Gottes ist. Die Liste ist um vieles länger. Aber nicht erschrecken! Die Liste der Kirchen und Gemeinden, an die Jesus sich wenden kann, ist noch viel länger. Die bescheidenen Funken, die wir zu schlagen vermögen, bilden gemeinsam ein starkes Licht der Hoffnung – gerade in Zeiten, wo wir mit Sorgen auf die abendliche Tagesschau warten. Und eine Gemeinde, die mit ihrer bescheidenen Kraft versucht hat, Gott zu geben, was ihm gebührt, die darf sich orientieren an einem anderen Ausruf des Paulus, der uns in Sachen Obrigkeit nicht unbedingt weiter hilft:
„Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist, unserem Herrn.“