2. Sonntag nach Weihnachten, 4. Januar 2004
Jahreslosung 2004
Jesus Christus spricht: „Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen“
(Markus 13,31)
Es wird schon weitergehen. Es ist immer weiter gegangen! Das ist unsere Antwort, wenn wir der Alarmnachrichten über den Zustand der Erde überdrüssig sind. Wir wissen genau, wenn wir so reden, sind wir wir den drei berühmten Affen nicht unähnlich: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Aber unsere Belastbarkeit durch Unheilsbotschaften ist offensichtlich begrenzt.
Natürlich, die moderne Naturwissenschaft widerspricht dem ersten Satz der Jahreslosung 2004 aus dem Munde Jesu nicht grundsätzlich. Himmel und Erde werden vergehen, gewiss. Aber das hat noch gute Weile. Und unser gefühlsmäßiges Interesse an der Zukunft endet ja doch irgendwo bei der geschätzten Lebensspanne unserer Urenkel. Schon die Welt der Weltraumvagabunden in Fernsehen und Kino ist nicht mehr wirklich unsere.
Unsere Abneigung gegen die erste Hälfte der Jahreslosung 2004 hat kaum etwas zu tun mit dem Schicksal der Erde in Zehntausenden von Jahren oder Jahr-Millionen. Nicht, dass diese Erde ferner Tage vergehen wird, macht uns Unbehagen oder sogar Angst:
Dass meine, meine eigene Erde vergehen wird, darum geht es. Und deren Mittelpunkt ist, wie könnte es anders sein, mein eigenes Leben. Himmel und Erde werden vergehen, diese Ansage enthält zuallererst die Bestätigung: mein Erdenleben wird vergehen. Biologisch ist das selbstverständlich. Sobald wir erwachsen sind, beginnen wir zu altern, zu vergehen! Nicht an die eigene Vergänglichkeit denken zu müssen, ja nicht jeden Tag daran denken zu sollen, ist das vergängliche Vorrecht der Jugend. Für das, was danach kommt, genügt ein Blick ins Fotoalbum. Und selbst, wenn mir jeder Funke Glauben fehlte, weiß ich doch, dass ich nur noch reichlich zehn Jahre von der statistischen Lebenserwartungs-Grenze der Männer in Deutschland entfernt bin. Harald Rohr, du wirst vergehen, du bist längst dabei, falls du dir Illusionen machen solltest.
Wenn das Leben im Alter kostbare Beziehungen, Inhalte und Aufgaben bereithält, mag es leichter fallen, mit der Erinnerung an das eigene Vergehen in ein neues Jahr zu gehen. Aber die hundert Jahre Zukunft, die wir uns wirklich vorzustellen vermögen, sind uns ja nicht egal, auch wenn wir sie größtenteils nicht mehr miterleben werden. Es ist die Lebensspanne derer, die wir lieben, weil wir sie großgezogen haben – und von deren Kindern, schon vor unseren Augen und in unseren Herzen oder noch nicht geboren.
Und die begründeten Unheilsansagen, die über ihrem Leben schweben, bedrücken mich heute ehrlich gesagt mehr als das, was ich mir über mich selbst eingestehen muss. Schon berufsbedingt weiß ich zu viel über die von Menschen gemachten höchst realistischen Unheilsszenarien, die über meine Liebsten und ihre Zeitgenossen hereinbrechen können – schon morgen, übermorgen, über-übermorgen. Krieg? Welchen wollt ihr: Hungerkriege, Wasserkriege, Terrorkriege, Kriege mit außer Kontrolle geratenen Massenvernichtungswaffen? Alles ist drin, in der Büchse der Pandora.
Lebensfeindliches Klima, sich auch bei uns ausbreitende Massenarmut und Chancenlosigkeit, Verlust von Freiheitsrechten und Menschenwürde, Manipulation von Mensch und Schöpfung bis zur Unkenntlichkeit. Alles ist möglich, ja manches davon wird immer wahrscheinlicher, wenn wir den Dingen ihren Lauf lassen. An dieser Stelle schmerzt die Jahreslosung wirklich.
Denn sie sagt ja auch: ihr werdet die Welt nicht retten! Sie wird vergehen. So wie ihr sie kennt und wie sie euch ja auch Zeiten des Glücks geschenkt hat und schenkt, wird sie vergehen. Und ihr habt Anteil daran, wie rasend schnell und unter wieviel Leiden sie vergeht.
Denn das Gute das ich will, das tue ich nicht – und das Böse, das ich nicht will, das tue ich doch – durch Handeln wie durch Unterlassen. Diesen Anteil am Scheitern des Lebens, unseres eigenen wie des Lebens von Mitmenschen und allen Geschöpfen nennt die Bibel Sünde.
Was nützt uns da die zweite Hälfte der Jahreslosung 2004: „…aber meine Worte vergehen nicht“? Nichts, wenn wir sie einfach als Herrschaftsanspruch hören. Lass die Welt zugrunde gehen, die Kirche behält doch recht. Jesus, der Sohn von Maria und Josef, ist kein Rechthaber, sondern ein Liebhaber. Sein elender Kreuzestod ist sein Anteil an den bösesten Formen von Lebenszerstörung, die es bis heute gibt – Mord, und sei es im Namen irgend eines Gesetzes.
Seine Liebeserklärungen gelten vom ersten öffentlichen Wort an denen, deren Anteil an Leid und Sterben besonders groß ist. Kranke, Gebrandmarkte, Gefangene, Hungernde, vom eigenen Gewissen Angeklagte… Ihnen kommt er zu Hilfe im Namen Gottes. Ihrem Lebensrecht gelten die Worte, die unserem Glauben Richtung geben. Jesu Worte stehen nicht im luftleeren Raum als ewige Wahrheiten, die sich im Grunde nicht um die Mensch und Schöpfung scheren. Jesu Worte, die nicht vergehen, sind Leben rettende, ja sogar Leben wieder herstellende Worte.
Jesu Worte retten Leben auf Zeit: „Steh auf und geh!“ – „ Zeige dich als Geheilter beim Priester!“ – „Deine Sünde ist dir vergeben!“ – „Dein Glaube ist groß, dir geschehe, wie du willst!“ Jesu Worte befreien von quälenden Geistern und vor der Gefahr des Hungers.
Jesu Worte retten Leben in Ewigkeit, auch wenn es völlig gescheitert zu sein scheint: „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“
Jesu Worte sind Mittel zum Zweck des Lebens. Sie erschließen Quellen von Lebenskraft gegen Mächte des Todes. In jeder Generation der Kirche haben sie es getan. In jeder Generation und auch heute richten sie die Hoffnungszeichen auf, an die Menschen sich halten, durch die sie sich verändern und neue Kräfte gewinnen. Das Reich Gottes, dessen Anbruch Jesus proklamiert, seine Gerechtigkeit ist die bestimmende Kraft der Zukunft. Sie wird einen neuen Himmel und eine neue Erde prägen – nicht die Welt, die wir verantworten. Aber wir können heute Anleihen nehmen auf diese Zukunft Gottes. Jesu Worte erlauben uns das und verpflichten uns dazu.
Die Liebe zu den Feinden ist Merkmal des künftigen Gottesreiches und zugleich eine Chance für gewagtes, gelebtes Leben.
Das geteilte tägliche Brot ist Merkmal des künftigen Gottesreiches und zugleich eine verheißungsvolle Herausforderung für unsere Tage.
Das erhörte Seufzen der gequälten Kreaturen ist ein Merkmal des künftigen Gottesreiches, und zugleich wächst unser Glaube, wenn wir unsere Liebe der Schöpfung zuwenden.
Jede der Seligpreisungen in der Bergpredigt beschreibt Merkmale des künftigen Gottesreiches und zugleich Lockungen und Möglichkeiten des Glaubens.
Diese Worte Jesu vergehen nicht. Lassen wir vorläufig ferne und ganz ferne Zeiten beiseite. Dann kann der Glaube fester zufassen und das Versprechen festhalten für die überschaubare Zeit der nächsten 12 Monate. Alles was Jesus zuspricht, den Mühseligen und Beladenen, den Menschen guten, aber schwachen Willens, den Männern und Frauen, die mit ihm gehen wollen, hat Verlässlichkeit und Kraft in dem Leben, das wir zu bestehen haben.