Die Eine-Welt-Krippe von „Brot für die Welt“

4. Advent, 21. Dezember 2008, Ev. Kirche Moabit-West, Berlin

Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat“

(Lukas 2, 14)


Die Krippe ist ein Magnet. Sie zieht Menschen unwiderstehlich an – seit der ersten Heiligen Nacht. Wie viel Regeln ihres Berufes mögen die Hirten übertreten haben, als sie sich zum Aufbruch verabredeten? Aber sie mussten hingehen, mit eigenen Augen sehen. Geschichte sehen. Manchmal gibt es das, wie z.B. hier in Berlin vor 19 Jahren. Die Bilder vom Mauerfall, die jede und jeder von uns malen könnte, wenn wir nur das Talent dazu hätten. Es war wirklich so – wir haben es gesehen! Gott hat es so gewollt, dass wir Augenwesen sind. Nase, Tastsinn, sogar die Ohren kommen nach den Augen.

So sind Krippen zum christlichen Volksgut geworden, über viele Generationen und in allen Kirchen. Mag sein, dass es reichlich lange gedauert hat, bis die Heilige Familie in afrikanischen Gemeinden afrikanische Gesichtszüge angenom­men hat; und chinesische in chinesischen – aber heute ist auch das ge­schehen. Unsere vertrauten Krippen holen die Heilige Familie hinein in das Leben, wie wir es kennen. Nicht gerade in die Großstadt Berlin, aber ein deutsches Dorf von vor 200 Jahren könnte es meist schon sein. Er ist geboren mitten unter uns, er ist geboren für uns – lautet die Botschaft des Anblicks.

Die Eine-Welt-Krippe der Aktion „Brot für die Welt“ hält es freilich nicht in der Hei­mat. Nicht nur, dass sie seit 20 Jahren jedes Jahr in einer anderen Kirche in Deutsch­land zu Gast ist; sie nimmt uns mit aus der Geborgenheit unserer kleinen Welt – dorthin, wo das arme Volk Gottes zu Hause ist, an die Orte dramatischer Kämpfe ums Überleben; dorthin wo die arme Mehrheit der Christenheit Weihnachten feiert – in Afrika und Lateinamerika, in Asien z.B. auf den Philippinen, der einzigen Nation des größten Kontinents mit volkskirchlich-christlichen Verhältnissen. Wer sich in die Eine-Welt-Krippe vertieft, findet freilich auch Menschen von den Rändern unserer eigenen Gesellschaft. Das Evangelium für die, die ums Überleben kämpfen. Denn nur wenn die weihnacht­liche Friedensbotschaft auch für sie gilt, vor allem für sie, kann die Menschheit etwas damit anfangen.

Die Gestalterinnen und Gestalter der Krippe vertrauen darauf. Darum haben sie sich bis heute an eine Regel gehalten: alle Figuren sind hergestellt aus Material, das bei uns unter den Begriffen Reste, Abfall, Müll zusammengefasst wird. Nirgendwo finden sich wertvolle gekaufte Zutaten. In dem ums Überleben kämpfenden Para­dies­baum steckt ein alter Honigeimer, in den Köpfen der meisten Figuren alte Glühbirnen. Die Müll­halde als Lebensraum, gleichsam das Hirtenfeld dieser Krippe, gehört zur Erstausstat­tung.

Aber die Menschen dieser Krippe halten am Leben fest. Gott segnet sie mit Hart­näckig­keit und Ideenreichtum. Der türkische Josef und die stillende peruanische Maria haben ihre Hütte regensicher gemacht – mit altem Blech, einem begehrten Baustoff in Armensiedlungen weltweit. Konfirmanden aus der Ruhrgebietsstadt Castrop-Rauxel fanden vor etwa zehn Jahren, dass man der Maria das mühselige Brennholz-Sammeln abnehmen müsste – daher die Solaranlage auf dem Stall – rund um den Judenstern.

Die Krippe ist ein Magnet. Das sehe ich hier in Moabit besonders deutlich, weil der genutzte Raum relativ klein ist. Aus den Figuren, die an anderen Orten eher thema­tische Gruppen gebildet haben, wird hier fast eine kleine Volksmenge. Es wird eng. Auch für die Geschenke. Die Geschenke waren aber vielerorts bei den Vorbereitun­gen zum Krippenaufbau Gesprächsthema. Was braucht ein junges Elternpaar aus dem armen Volk Gottes wirklich, um für sein Kind sorgen zu können. Gold, Weih­rauch und Myrrhe? Die Huldigungsgeschenke, von denen Matthäus in der Geschich­te von den Weisen erzählt? „Goldstücke in der Hütte eines Armen, das zieht die Räuber an wie faules Fleisch die Schmeißfliegen,“ meinte vor Jahren eine Frau, die sich in den Elendsvierteln von Nairobi auskannte. „Ich kann nur dringend davor warnen“. Und Weihrauch und Myrrhe? Wozu das?

So haben sich über die Jahre die speziellen Geschenke der Weisen an dieser Krippe herausgeschält. Die Weisen, das sind übrigens ein Tamile, ein Araber und eine Roma-Frau. Ganz nebenbei erinnert sie uns daran, dass die meisten unserer Sinti- und Roma-Landsleute zugleich christliche Glaubensgeschwister sind.

Die Geschenke decken ab, was wir sonst etwas steif die „Grundbedürfnisse“ des Menschen, wie auch das Kind Jesus einer ist, nennen. Da ist das Grundnahrungs­mittel Reis, ungeschält mit allen Vitaminen und Spurenelementen, die wichtigste einzelne Nahrungspflanze der Menschheit – Lieferant der Kohlehydrate. Dann die roten Linsen, in Indien Dhal genannt – Beispiel für die Hülsenfrüchte, mit denen Menschen, die sich Fleisch nicht leisten können, ihren Eiweißbedarf decken müssen – aber eben auch decken können. Und schließlich der kleine Krug mit Pflanzenöl. Ohne Fett geht es auch in der Arme-Leute-Küche nicht. Hier gehört das Pflanzenöl hin – und nicht in die Tanks unserer Privatautos. Für die Heilige Familie und ihresgleichen muss der Fett-Anteil der Nahrung erschwinglich bleiben. Das wird nicht gehen, wenn ein gigantischer Landraub für unseren sogenannten Biosprit vonstatten geht.

Der Kommentar der Aktion „Brot für die Welt“ zu diesen Krippengeschenken lautet: „Es ist genug für alle da!“ So das Leitwort für die Arbeit in Gemeinden und Öffent­lichkeit in den kommenden drei Jahren. Genug für uns und unsere noch ungebore­nen Kinder und Enkel in diesem Jahrhundert. Die Lebenskraft der Schöpfung reicht aus für eine Neun-Milliarden-Menschheit. Daran lassen die Erkenntnisse der Ernährungswissen­schaft keinen Zweifel. Und sie treffen sich mit den biblischen Verhei­ßun­gen.

„Unser tägliches Brot gib uns heute“. Unsere Bitte – in jedem Gottesdienst dieser Gemeinde gesprochen, hat eine solide Grundlage. Es bedarf keines überirdischen Wunders, damit diese Bitte für alle Kinder Gottes in Erfüllung gehen kann. Es bedarf nur eines Herzens und eines Verstandes, die bereit sind, den Weg der Gerechtigkeit des Reiches Gottes zu betreten. „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit,“ sagt Jesus in der Bergpredigt, dann werden eure Sorgen um die Zukunft euch nicht lähmen.

Wer seine Augen an der Krippe ein wenig auf Wanderschaft schickt, wird weitere Krip­pengeschenke von unschätzbarem Wert entdecken. Da ist der Eimer mit Trink­wasser: sauber, ausreichend, dort wo er gebraucht wird, und erschwinglich – so lauten nebenbei die wichtigsten Forderungen von „Brot für die Welt“ zum Men­schenrecht Wasser. Jemand hat dem Josef auch ein Bündel Feuerholz neben die Unterkunft gelegt. Ein unbezahlbares Weihnachtsgeschenk für arme Leute im Süden der Welt – Weihnachten 2008 wohl auch in der Heimat Jesu. Im nicht enden wollen­den Konflikt zwischen Israel und den palästinensischen Machtgruppen ist die Unterbrechung der Energieversorgung eine wichtige Waffe. Was für ein Schatz ein paar Hühner sein können, hat auch manche Berliner Familie in schlechten Zeiten erlebt. Möge Maria mit ihren Hühnern mehr Glück haben als viele afrikanische Hühnerzüchterinnen in den letzten Jahren. Unterstützt von „Brot für die Welt“ haben sie kleine Familienbetriebe aufgebaut. Pleite gegangen sind sie, als das billige Hüh­ner­klein aus Europa die afrikanischen Wochenmärkte überschwemmt hat. Das Hühnerklein fällt an, wenn Brust und Schenkel in die Kühltheken unserer Super­märkte wandern. Mit dem Rest wird dann noch der schnelle Euro gemacht. Das „Globale Huhn“ nennen wir das bei „Brot für die Welt“, und unsere afrikanischen Partnerinnen rufen laut in Richtung Deutschland „Keine Chicken schicken!“

Ja, es sind zuerst die Frauen, die Marias, die Nahrung erarbeiten und dann austeilen. So bringt die Papuafrau aus Neu-Guinea ein besonders kostbares Geschenk mit zur Krippe: ein Ferkel aus ihrer Zucht, ein beträchtliches Stück von ihrem Vermögen.

In einer besonderen Lage befinden sich die kleinen Familien, die ihre Nahrung nicht unmittelbar selbst erzeugen, sondern sie von den Erlösen ihrer Ernten kaufen müs­sen, wie z.B. die Kaffee-Kleinbauern in Mittelamerika und Afrika. Ihnen versuchen wir mit der Initiative „Gerecht genießen -1.000 Gemeinden trinken fair“ zur Seite zu stehen. Zum Dank trägt der Esel einen Sack Kaffee mit dem Fairtrade-Siegel zur Krippe.

Die Erträge der Arbeit der kleinen Leute geben der heiligen Familie in dieser Krippe ein Stück Rückhalt und Sicherheit. Schutz vor der Willkür der Gewaltherrscher bieten sie nicht. Zu unseren Krippen gehört üblicherweise nicht der König Herodes, dem der Kindermord zu Bethlehem nachgesagt wird. Zu dieser Krippe gehört er dazu – zusam­men mit seinem anonymisierten Killerkommando. Dieses Duo war vor 20 Jahren schon Teil der Erstausstattung der Krippe. Denn es bestätigt die bittere Lebenserfahrung vieler Eltern in den Armuts- und Kriegsregionen unserer Zeit. Im Kampf um Macht und Mammon zählt das Leben von Kindern wenig oder nichts. Die Nazimörder waren nicht die einzigen, die mit abscheulichen Begründungen gerechtfertigt haben, dass die Kinder mit den Eltern sterben müssen. Sie haben Nachfolger.

Der Herr des großen Geldes, den Menschen aus dieser Gemeinde gemäß den Erfah­rungen des Jahres 2008 der Krippe hinzugefügt haben, ist nach meinem Verstehen ein Kumpan des Herodes. Bleibt für mich die Frage: Wieviel von seiner lebens­feind­lichen Gier trage ich selbst in mir?

Die nächtliche Kulisse der Krippe ist hier in Moabit wohl aus Platzgründen wegge­lassen worden. Sie ist auch wirklich kein Kunstwerk. Aber am nächtlichen Himmel hängen besondere Sterne – über hundert. Sie tragen in ebenso vielen Sprachen die Weihnachts­botschaft „Friede auf Erden“ – gesammelt unter anderem durch eine globale E-Mail-Aktion der Projektabteilung von „Brot für die Welt“. Menschen in der Sahara, in den Anden, in christlichen Gemeinden unter den sog. Kastenlosen Indiens haben die Verhei­ßung der Engel übersetzt und oft auch in fremden Schriftzei­chen aufgeschrieben.

Wir können das heute nicht sehen mit unseren Augen – aber doch mit unserem Herzen. Gottes Friedensschluss mit uns macht uns fähig, Werkzeuge des Friedens in unserer Zeit zu werden. Deshalb lohnt es sich, es den Hirten gleich zu tun und wie sie zu sagen: „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat“

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