Estomihi, 10. Februar 2013
Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Martha, die nahm ihn auf. Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. Martha aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Martha, Martha, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist Not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.
(Lukas 10, 38-41)
Für mich war es nur ein Studentenjob während der Touristen-Hochsaison in Heidelberg. Aber soviel weiß ich noch: es war ein Knochenjob und ein riskanter dazu. Einmal im Gedränge ein Tablett mit acht Eisbechern fallen lassen – und der Lohn eines ganzen Arbeitstages ist futsch! Die Damen von der Stammbelegschaft müssen die anfängliche Ungeschicklichkeit der studentischen Hilfskräfte gefürchtet haben. Aber auch sie hatten kein leichtes Leben.
Damals vor reichlich 50 Jahren war auch in Heidelberg die Kirche noch im Dorf bzw. in der Stadt. Genauer gesagt: mehrheitlich unsere Evangelische Kirche. Vielleicht ist ja die Reformation daran schuld, dass ich damals niemals über die Nothelferin, die Schutzpatronin der Kellnerinnen und Kellner gestolpert bin; d.h. sie soll ja vor dem Stolpern schützen. Außerdem soll ihre Verehrung sich förderlich auf die Höhe der Trinkgelder auswirken. Ihr ahnt, von wem ich rede, angesichts dieses Predigttextes. Die Heilige Martha, denn zu diesem Rang hat Martha es in Volksfrömmigkeit und katholischer Kirche immerhin gebracht, obwohl sie bei der Begegnung mit Jesus so schlecht wegkommt.
„Martha. Martha!“ Den erhobenen Zeigefinger haben wir gleich mitgehört, wenn uns die Geschichte in Kindertagen erzählt wurde. Wer sich mit Nebensächlichkeiten aufhält, wenn Jesus ins Haus kommt, der taugt nur noch zum warnenden Beispiel.
Die subtile Martha-Kritik beginnt schon mit dem Kurztitel, den die Geschichte in unserer Überlieferung bekommen hat. Er lautet „Maria und Martha“. Maria, nicht zu verwechseln mit der Mutter Jesu, rückt richtungsweisend nach vorn. Obwohl: die Einladung an den Wanderrabbi Jesus geht ausdrücklich von Martha aus. Das ist schon etwas. Leute unterwegs waren auf Gastfreundschaft angewiesen. Jesus hatte ja keine Visacard und keine Hotel-Telefonliste in der Tasche. Gastfreundschaft bedeutete Verantwortung, hatte klare Anforderungen und Regeln. Na, und dann ein Haushalt, der offensichtlich von Single-Frauen geführt wird. Er steht unweigerlich unter besonderer Beobachtung. Frau will und muss ihren Gastgeberpflichten gerecht werden.
Schließlich die Arbeit! Immer wenn in den biblischen Geschichten ein Mann einen Gast einlädt, wird es für die Frauen hektisch. Bis aus einem blökenden Lamm ein Festessen mit allen Zutaten geworden ist, haben sie stundenlang zu tun. Ist ja nix mit Tiefkühltruhe und Mikrogrill! Solange die Vorbereitungen laufen, müssen Frauenhände zupacken. Etwas anderes kennen Jesu Zeitgenossen nicht. Die Männer sowieso nicht. Aber auch die Frauen können nicht anders. Dass sie doch anders können, führt bei Martha zu der kleinen Nervenkrise. Jesus soll Maria, die an seinen Lippen hängt, an die Arbeit schicken. Umso schneller werden alle Zeit füreinander haben.
In meinen Kinderohren klingt immer noch der pathetische Ton, mit dem uns die Quintessenz der kleinen Geschichte erzählt worden ist: „Maria hat das gute Teil erwählt. Das soll ihr nicht weggenommen werden.“ Ein Satz, so ganz gegen die Helfermoral in Haushalt und Garten, die uns ansonsten vermittelt worden ist. Fand ich das nur etwas seltsam oder auch ein bisschen unglaubwürdig? Ich weiß nicht mehr.
So wie der Evangelist Lukas die Episode erzählt, hat sie sich in der Glaubensgeschichte selbstständig gemacht. Dabei steht fest, dass unabhängige Frauen wie Martha und Maria zu den treuen und entschlossenen Unterstützerinnen Jesu gehörten.
In unserer Frömmigkeitsgeschichte wird die Episode um den Besuchsstress der Martha freilich zur Mustergeschichte für das Spannungsverhältnis zwischen Zuhören und Handeln, oder in Kirchenlatein, der vita contemplativa und der vita activa. Glaubende haben sich eher an dem einen oder an dem anderen orientiert und sich gegenseitig Zensuren gegeben. Ich selber bin eher bei dem klugen Nicht-Theologen Erich Kästner gelandet „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Das konnte auch kaum anders kommen, wenn ich mich daran erinnere, wie oft jesusfromm tönende Autoritäten meinen Sinn für Glaubwürdigkeit verletzt haben.
Heute, im Rückblick auf viele aktivistische Irrtümer, an denen ich meinen Anteil hatte – neben den Unternehmungen, bei denen ich so und nicht anders wieder mit anpacken würde – scheint mir, dass die kleine Lehrgeschichte weniger kompliziert ist, als wir sie uns machen.
Sagen wir´s so: bevor Kolumbus dorthin aufbrechen konnte, wohin sich noch niemand gewagt hatte, musste er sein Ziel, seine Sendung, erkannt haben. Trotzdem kam es immer noch ganz anders. Aber das Erste bleibt richtig. Bevor wir als Christenmenschen als Töchter und Söhne unseres Schöpfers Hand anlegen, müssen wir seinem Willen und seiner Kraft unser Leben öffnen. Wie sonst können wir seine Alternativen für unsere Zeit aufleuchten lassen?
Ich soll die Hände rühren für einen, der ernsthaft Feindesliebe propagiert. Will ich das? Akzeptiere ich ein radikales Gerechtigkeitsgebot, das keinen einzigen Hungertoten und keine verzweifelte HartzIV-Mutter in Kauf nimmt? Schließlich gibt es bei jedem Geschäft auch Verlierer. Wie oft verdient ein übler Bursche Vergebung? Solange die öffentliche Meinung mitzieht – oder ohne jedes Limit? Bin ich einverstanden mit dem verbindlichen Auftrag, meinen Mitmenschen von meinen Glaubenserfahrungen zu erzählen? Oder ist Glaube – bitte sehr – Privatsache? Soll ich die Schöpfung verteidigen, weil sie Gottes Stimme ist? Oder haben Fortschritt und Komfort ihren Preis?
Martha, Max, Hans oder Grete, du musst wissen, worauf du dich einlässt, wenn du ein nützlicher und glücklicher Christenmensch sein willst. Marias offene Ohren: sie sind deshalb kein moralischer Sieg, sondern die ergriffene Chance zur Kursbestimmung, die wir im Zeitalter von „anything goes“ nötiger brauchen denn je.
Maria, eine Single-Frau, die sich in ihrer Community zu Jesus von Nazareth bekennt, sie darf nie und nimmer karikiert werden als Urmutter aller Kanzelschwalben: an Jesu oder des Starpredigers Lippen hängend und ansonsten arg lebensuntüchtig. Es sollte mich nicht überraschen, wenn wir es tatsächlich mit einer recht taffen Glaubensmutter zu tun hätten. Und als taff gilt es ja auch, Prioritäten zu setzen. Den Kurs erkennen – und den Kurs anlegen. Beides hat seine Zeiten und Stunden. Beides zusammen ist unser Leben.
Und unsere Glaubensmutter Martha? Ihr etwas unglückliches Symbol in der Volksfrömmigkeit ist der Kochlöffel. Im Internet gibt’s sogar Martha-Schürzen zu kaufen. Aber zieht die Marthas ab aus den Gerechtigkeits- und Barmherzigkeitskämpfen der Christenheit unserer Tage – und es sähe übel aus!
Deshalb der Tipp: lasst in eurer Erinnerung mal das Bild der Martha auftauchen bei euren nächsten Begegnungen mit Kellnerinnen, Küchenhilfen, und nicht zu vergessen, Klofrauen. Vielleicht ist ja eine unter ihnen, die ihre Schutzpatronin kennt und ihr dankt.