Letzter Sonntag nach Epiphanias, 9. Februar 2014
Das war sie also, die Bibelwoche 2014 unserer Gemeinde. Eine Auswahl aus den Josefsgeschichten im Alten Testament, eine der Gründungserzählungen Israels; in sich geschlossen, spannend, ja action-haltig, das ganze Leben, von ganz unten bis ganz oben, happy end vom Feinsten, jede Menge Stoff für Hollywood. Und der Knüller zum Schluss: nicht der ägyptische Großwesir Josef ist der Held, der Superstar. Ihm bleibt am Ende nur, zu seinen Brüdern, die ihn vor vielen Jahren in die Sklaverei verkauften, die Sätze zu sagen, auf die alles ankommt:
„Bin ich Gott?“ Ihr hattet Böses mit mir vor. Aber Gott hatte Gutes vor. Er wollte schon immer das tun, was jetzt jeder sehen kann. Er wollte einem großen Volk das Leben retten. Israel, eine mickerige Randerscheinung im Kräftespiel der Mächte seiner Zeit. Aber der Gott, dem Israel zu vertrauen lernt, ist der Herr der Geschichte.
Doch, diese Geschichte hat Zunder. Meister Goethe fand, die Josefsgeschichte sei „höchst anmutig, nur erscheint sie zu kurz.“ Und unser Nobelpreisträger Thomas Mann ließ sich das nicht zweimal sagen und schrieb den Roman „Josef und seine Brüder“, vier Bände, weit über tausend Seiten.
Die schafft man nicht an fünf Abenden, wie wir unsere Josefs-Bibelwoche. Aber jetzt ist es erst mal gut, nicht wahr? Wir haben die Bibeln wieder zugeklappt. Nein, wir haben sie noch nicht einmal gebraucht, weil die Josefs-Geschichten aus dem ersten Mosebuch in einem besonderen Bibelwochenheft abgedruckt waren. So was leistet sich eine Kirche, die noch genug Geld hat. Der Text war zwar haargenau der aus der derzeit gebräuchlichen Luther-Übersetzung. Aber das Buch wiegt immerhin fast ein Kilo und ist mit älteren Händen nicht immer ganz leicht zu handhaben.
Nun ja, ab heute morgen haben wir wieder klare Zuständigkeiten. Die Bibel, Pastor, ist dein Ding, bis zur Bibelwoche 2015. Gut, daraus im Gottesdienst vorzulesen, das ist noch ist ein Ehrenamt für unsere Gemeindekirchenrats-Mitglieder. Aber für alles andere: das Buch aus dem Eff-Eff kennen, auslegen, erklären, Kriterien für Tun und Lassen der Gemeinde herausfiltern, das macht der schwarze Mann – vielleicht demnächst eine schwarze Frau. Wir geben ihm dafür auch keine Widerworte. Er darf ungestört reden, bis er Amen sagt.
Ein Privileg, dessen sich bibelauslegende Prediger keineswegs überall erfreuen. Ich war manchesmal Gast in Gemeinden, wo der Prediger sofort sein akustisches Feedback bekommt: Zurufe, Klatschen, Gelächter, Getrampel, auch mal kritisches Gegrummel. Ach, was würde ich mich freuen!
Ich habe selbst im evangelischen Deutschland erlebt, dass mich Gemeindekirchenrats-Mitglieder nach dem Gottesdienst freundlich, aber bestimmt gefragt haben, ob es mir gegen 15 Uhr recht wäre. Sie müssten dringend mit mir über meine Auslegung reden. Allerdings war das im reformierten Siegerland vor über 40 Jahren. Und da waren die Ältesten im schwarzen Anzug, alles Männer natürlich, noch die Kontrollinstanz für den Umgang mit der Bibel auf der Kanzel. Ihr lieben Gemeindekirchenrats-Mitglieder: wenn ich nicht irre, seid ihr das nach der Kirchenordnung der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands immer noch.
Ich weiß, die Sache mit der einmal jährlich hervorgekramten Bibel, das ist eine böse Karikatur. Aber sie ist ja nicht ganz und gar aus der Luft gegriffen. Wie bibelfundiert eure Treue zur Gemeinde, die ihr ja praktiziert, tatsächlich ist, das könnt nur ihr selbst wissen.
Der Schnelltest ist ein sehr schlichter: hat eure Bibel Eselsohren, vielleicht sogar den ein oder anderen Obstfleck, Spuren von Fingern, die nicht ganz sauber waren, oder eine Menge Kritzeleien am Rand? Dann habt ihr mit dem Buch viel erlebt, Schönes und Bedrückendes, Entscheidungshilfen und Durststrecken. Euch muss dann keiner mehr sagen, dass die häufigste Textform in diesem Buch die lebensnahe Geschichte ist; vom der Schöpfungserzählung bis zum Leben Jesu – nicht so sehr die eher theoretische Reflexion. Mit dem Koran macht man jedenfalls, meiner Meinung nach, weniger schöne Leseerfahrungen.
Diese Feststellung ist ebenso schlicht wie unumstößlich: wir Christinnen und Christen unterscheiden uns von unseren Mitmenschen nicht durch Wohlanständigkeit. Die ist, Gott sei Dank, weit verbreitet. Auch nicht durch die Achtung vor den Menschenrechten. Die haben viele Anklänge in unserer Bibel, aber sie sind religionsübergreifend. Sie müssen es sein, wenn sie nützen sollen. Sogar um eine Weltethik für die globalisierte Welt machen wir uns nicht allein Gedanken. Das ginge ja gar nicht.
Unser Alleinstellungsmerkmal, wie man heute sagt, das ist unsere Herzensbindung an die Lebensgesetze und Hoffnungen, die uns die biblischen Bücher erschließen. Zu Christinnen und Christen macht uns die Einladung des Auferstandenen: „Folge mir nach!“ und nichts sonst. Und diese Einladung findet sich nirgendwo als im zweiten Teil der Bibel, dem Neuen Testament. Und durch das Gottvertrauen des Juden Jesus von Nazareth ist auch das Alte Testament zum kostbaren Teil unserer Bibel geworden. Alles, was unsere Mütter und Väter im Glauben über den Weg der Christen durch die Zeiten erkannt und bekannt haben, das haben sie aus diesem Buch geschöpft, alternativlos.
Und zu Evangelischen innerhalb der globalen Kirchenfamilie macht uns, jedenfalls geschichtlich, die Bibel in der Hand jedes Christenmenschen, der lesen kann. Die Reformation des 16. Jahrhunderts war erst in dem Moment unumkehrbar, als der Geniestreich oder die Heldentat – ganz wie ihr wollt – der Bibelübersetzung in deutsche Alltagssprache vollbracht war. Die fremdsprachige Bibel in der Hand der Pfaffen war gar zu eindeutig nicht nur Wort Gottes, sondern ein sehr weltliches Herrschaftsinstrument.
(Test mit Biblia Hebraica und NT Graece)
Ihr merkt, das war schon die entscheidende Idee, die mit der muttersprachlichen Bibel für alle. Heute ist sie längst Gemeingut aller Kirchen rund um den Erdball, vor allem in unserer katholischen Schwesterkirche, deren Herren damals die Bibel für das Volk fürchteten wie der Teufel das Weihwasser.
Aber heute? Kirchentreue ja, Bibeltreue na ja? Sollen wir die ziemlich unbenutzten unter unseren Bibeln nicht einfach dem Luther zurückbringen. Wir könnten vor diesen niedlichen Luther-Statuetten in unseren Kirchvorräumen je einen Tisch aufstellen, mit einem Schild „Mit bestem Dank zurück. Es genügt, wenn unser Pfarrer eine hat.“
Schon wieder eine Karikatur. Dabei sollte ich lieber daran erinnern, wie man mit diesem Buch wieder warm werden kann, wenn die Beziehung reichlich abgekühlt ist. Gemeinsam geht es besser. Gemeinsam macht es sogar Spaß. Jedenfalls hatte ich bei dem einen Abend der Bibelwoche, den ich miterlebt habe, diesen Eindruck. Was antwortet der vermutlich ziemlich gebildete Finanzminister aus Äthiopien (in Luther-Deutsch besser bekannt als „Kämmerer aus dem Morgenland“), der sich in den Propheten Jesaja vertieft hat, auf die Frage des Jesusjüngers Philippus: „Verstehst du auch, was du da liest?“ Seine Antwort: „Wie denn, wenn niemand mit mir redet?“ Ich denke, so wird auch unter uns ein Schuh draus. Bibel nutzen, nicht als alljährlicher Februartermin, sondern als geschwisterliche Alltagstätigkeit.
Berühmt, aber überhaupt nicht einzigartig sind die Bibeldiskussionen der Landarbeiter auf der Insel Solentiname im Großen See von Nicaragua geworden, die der Dichter und katholische Priester Ernesto Cardenal aufgeschrieben hat. Als Buch müssten sie noch zu haben sein.
Und das zeigt uns gleich eine mir jedenfalls ganz wichtige Spur. Gemeinsam die Bibel interviewen, das führt eben nicht zu altertümlichen, hartherzigen, lebensfeindlichen Schlussfolgerungen. Das hilft im Gegenteil, in unserer Zeit zu leben und zu bestehen. Frei zu bleiben oder zu werden von den Götzen, die unser Herz wollen, die die Menschen entzweien und uns verführen, die Schöpfung zu ruinieren. Mut zu tanken und Hoffnung zu atmen.
So möchte ich raten, vielleicht gerade in diesen pfarrerlosen Monaten: versucht es doch mal zusammen mit diesem Buch; zu zweit, zu fünft; in Kreisen, die schon existieren oder in freien Verabredungen. Und wenn ihr Rat braucht, bin ich gern dabei.