Gedanken zum Tag des Baumes (25. April)


Schade, dass ich das Pressefoto nicht zur Illustration meiner Worte benutzen darf: der kahlköpfige Alte sitzt rittlings hoch oben auf dem Starkast eines nahezu entrindeten Baumes und versucht, sich eben diesen Ast mit einem Fuchsschwanz als Brennholz zu sichern. Alltag armer Leute im Raum Skopje, Mazedonien 2015!

Brennholz

Ob Baumfreunden das passt oder nicht: mit der rasant wachsenden Menschheit wächst ebenso rasant immer noch die Zahl der Menschen, für die Holz als Energiequelle, vor allem zum Kochen, alternativlos ist. Hier passt das strapazierte Wort einmal, leider! Brennholz sammeln im Wald. Für viele Altersgenossen und mich selbst war das in den Nachkriegsjahren wichtige unverzichtbare Kinderarbeit. Bis um 1950 herum gehörte das zu meinen wiederkehrenden Pflichten. Wir heizten und kochten mit Holz, beides. Heute ist der Energieträger Holz etwas für innovationslustige Ökos; bei steigenden Kosten, weil immer mehr Gleichgesinnte auf dieselbe Idee kommen. Aber wer kann die Mütter zählen, die sich südlich von uns tagaus, tagein mit den Frage herumschlagen, woher das Holz für den Lehmherd kommen soll. Frauen, die nicht auf Petroleum, Kohle, Gas ausweichen können, von öffentlichen Stromnetzen ganz zu schweigen. Alles unbezahlbar bzw. unerreichbar. Holz, über immer weitere Strecken herbei schleppen, Holz, immer teurer bezahlen. Bei Brennholz gilt, was städtische Arme auch beim Lebensmittel Wasser erleben: je ärmer du bist, um so erbarmungsloser wirken sich die Preise im Überlebenskampf aus. Holz sparende Herdkonstruktionen und Feuerungstechniken sind deshalb eine Errungenschaft, die Eine-Welt-Hilfswerke gern präsentieren, Solarkocher desgleichen. Aber beides nützt verschwindend kleinen Zielgruppen, verglichen mit dem gigantischen Tag-für Tag-Problem.

Darum ist die kommerzielle Brennholzproduktion mit Hilfe schnell wachsender Monokulturen, z.B. von Eukalyptus, eine der großen agrarwirtschaftlichen Geschäftsideen unserer Tage. Die Nachfrage ist garantiert. Kaufen werden nicht die Ärmsten, sondern die, die die Rupees, Schillinge, Pesos zusammenkratzen können. Über den Flächenbedarf der Feuerholz-Plantagen; über den ökologischen Frevel haben wir dabei noch kein Wort verloren. Die Mütter ohne das nötige Geld indes, werden nicht anders können, als die Übernutzung vorhandener Wälder und Gehölze in Gang zu halten, illegal, halblegal – perspektivlos. Eine afrikanische Dörflerin ist mit demselben Schönheitssinn und meist mit mehr Naturerfahrung als wir gesegnet. Aber im Überlebenskampf ist ein schöner und nützlicher Baum eines verzweifelten Tages eben kein nützlicher schöner Baum. Er wird zum kurzfristigen Rettungsanker. Frau oder Mann wird mit ihm nicht anders umgehen, als der Mazedonier auf dem Pressefoto.

Verbraucherfreundlicher Kahlschlag

Die Köchin am Lehmherd verbraucht das Holz in ihrer Fußgängerinnen-Reichweite, zusammen mit ihren vielen Nachbarinnen, kaum merklich, nach und nach, über Jahrzehnte. Sie weiß, was sie tut, aber sie muss es tun. Ihre Welt hat nichts zu tun mit jenen Projektabteilungen, die sofort mit dem Kahlschlag anfangen. Für die Afrikanerin ist ein einziger fehlender Euro ein Riesenproblem. Diese Planer fangen bei einer Million überhaupt erst an, nachzudenken. Da wäre z.B. die globale Fleischindustrie. Die möchte gar zu gern die verrückt gewordene Nachfrage der Gäste von Steak-Restaurants und Würstchenbuden bedienen, von Hamburg bis Shanghai. Dazu kommen dann noch x-hundert Millionen Mikrowellennutzer. Die schieben sich nach Feierabend gern noch einen tierischen Snack in die Röhre, von New York bis München. Wer all diese Marktchancen abgreifen will, kommt an den Restposten Primärwald einfach nicht vorbei. Wo sonst soll er denn die Mengen Kraftfutter-Soja erzeugen, ohne die die Fresswelle nicht läuft? Das ist doch wohl logisch und marktkonform. Oder?

Kaum ein Bürger und Baumfreund wird behaupten können, dieser Zusammenhang sei ihm neu. Die gigantischen Wald- und Baumvernichtungsprojekte unserer Lebenszeit haben allesamt mit unserer Lebensart, unseren von der Werbung aufgepäppelten Ansprüchen zu tun. Aber am Amazonas werden nicht einfach entbehrliche Bäume umgehauen. Wir leisten Verbraucher-Beihilfe zur Vernichtung von artübergreifenden Baum-Lebensgemeinschaften, die wir noch kaum verstehen. Unser Dutzend mitteleuropäischer Laubbaumtypen ist nichts gegen die Artenfülle auf einem einzigen Quadratkilometer Primärwald, der letzte Woche flachgelegt worden ist. Ich weiß nicht wo. Aber es hat sich zugetragen, im Kongo, auf Borneo, oder am Orinoco. Denn es trägt sich Woche für Woche zu: Clearcut, Kahlschlag, hier für Soja, dort für Palmöl oder für sonst eine Idee, die sich an der Börse auszahlen soll.

Der einzelne Baum vor unserer Haustür, der willkürlich fallen soll, ist des Tags unsere Mühe und des Nachts auch einmal Stunden der Schlaflosigkeit wert. Aber ich kann keinen Tag vergessen, dass Baumschutzarbeit vor der eigenen Haustür übertönt wird von dem Höllenlärm der industriellen Waldvernichtung, die unsere parasitäre Lebensart noch um kurze Zeit verlängert.

Goldene Bäume

Die Mythologie kennt manchen Baum, dessen Früchte mehr bieten als Kalorien und Vitamine. Die Börse hat heute ihre spezielle Liste der goldenen Bäume. Der Kaffeebaum ist seit Generationen top. Inzwischen ziehen aber die Hitzewellen des Klimawandels drohend über den Kaffeeplantagen herauf. Mit den Kakaobäumen, den Teesträuchern, den Orangenbäumen haben die Kaffeebäume gemein, dass sie uns Baumfreunde an die Kehrseite unseres Engagements erinnern: ökologisch vernünftig und weitsichtig zu handeln ist nicht genug! Die Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich in der globalen Plantagenwirtschaft oder auch als genossenschaftliche Kleinbauern um Baumpflege und Ernte kümmern, haben einen fairen Lohn verdient, wenn sie uns den Frühstückstisch decken. Und die Kinder in der Nachbarschaft brasilianischer Orangenplantagen und westafrikanischer Kakaokulturen gehören in die Schule und nicht in ausbeuterische Kinderarbeit.

Der goldene Skandalbaum der Gegenwart schlechthin ist die Ölpalme. Überall im Tropengürtel, mit Schwerpunkt Indonesien, fallen Restwälder dem Milliardengeschäft zum Opfer. Ob formal genehmigt oder mit Hilfe schmutziger Tricks, scheint fast neben sächlich. Und immer sind wir mit von der Partie, ob als Autofahrer mit unserem EU-Spritmix oder mit tausendundeinem Produkt unseres Verbraucheralltags. Ich hege den Verdacht, dass unsereiner gar nicht so viele Bäume vor der eigenen Haustür retten kann, wie er als Lust-und-Laune-Verbraucher auf Sumatra abzuholzen hilft.

König und Planungskommission

Bäume, die einige unermesslich reich machen und zugleich viele bettelarm, sind mir bisher in unserer großen Landgemeinde noch nicht aufgefallen. Vielleicht, weil in unserer waldarmen Börde die Zuckerrübe sowieso die höchste Schatten spendende Pflanze sein soll. Gewinn versprechende Baumprojekte hat hier eher die Obrigkeit voran getrieben. Preußische Beamte hatten königliche Order, landesweit das Futter für die Seidenraupenzucht sicherzustellen. Darauf gehen die zahlreichen Kulturen von Maulbeerbäumen zurück. Und die staatlichen Planungskommission der DDR war gehalten, die Randbepflanzung der Landstraßen mit Obstbäumen zu fördern; naheliegend in einer Volkswirtschaft, die kaum Devisen für Apfelsinen und Bananen auf den Tisch legen konnte. Heute sind die inzwischen gelichteten Obstbaumreihen an unseren Landstraßen längst zu einem Klotz am Bein der zuständigen Behörden geworden. Die Folge sind mitunter skurril. Die öffentlichen Gärtner zierten unseren neuen Radweg Richtung Stadt mit jungen Birnbäumen. Die unvermeidliche Pflege, ohne die aus keinem Obstbaum-Setzling etwas werden kann, fällt aber wo möglich hinten runter: Personalmangel. Auch die inzwischen stattlichen sog. Hybridpappeln an vielen Wegesrändern legen Zeugnis von sozialistischem Planungswillen ab. Sie sollten beim Rohstoff Holz einen besseren Ertrag liefern, als die angestammte Schwarzpappel. Aber insgesamt ist es wohl so: auf den Bördeböden hat der fleißige Bauer jedes Systems und jedes Jahrhunderts sein Glück eher mit Feldfrüchten gesucht, als mit dem Ertrag, den Bäume versprechen.

Ludwig XIV: Vorbild der Hausbesitzer

So sind Bäume bei uns – jenseits pflichtschuldiger umweltpolitischer (Lippen-) Bekenntnisse – für Genossenschafts- und Einzelbauern eher ein Hindernis beim frohgemuten Gebrauch ihrer Landmaschinen. Auf Privatgrundstücken herrscht der Bürger über Eichen, Linden und Koniferen wie weiland Ludwig XIV über seine Untertanen: mit absolutistischer Macht, ohne von einer Baumschutzsatzung belästigt zu werden. Den Bäumen geht es mit ihren Grundherren, wie den US-Amerikanern mit ihren Nachbarn: normaler weise sind die leidlich und laden auch schon mal zum Barbecue ein. Aber dann -vermaledeit! – hat sein seelisch angeschlagener Sohn plötzlich Vaters völlig legale Pumpgun in der Hand und richtet damit entsetzliches Unheil an! Das US-Verfassungsrecht, Waffen zu besitzen, wird jenseits des Atlantiks nicht leidenschaftlicher verteidigt als der Anspruch hiesiger Eigentümer, auf seiner Parzelle jede gesunde hundertjährige Eiche jederzeit umlegen zu dürfen. Ob es die Sorge um die Pfirsichhaut des Autos ist, die im Herbst ein paar Blätter abbekommen könnte? Oder die Haftung, wenn der Postbote auf nassem Laub ausrutscht? Oder einfach etwas mehr Helligkeit in der Küche? Eigentlich muss der Herr über Tod und Leben der Börde-Bäume gar nichts sagen. Es genügt, wenn er Ludwig XIV zitiert: „Létat – ce moi!“ „Der Staat – das bin ich!“

Aber ich darf dieses Allmachtsgefühl auch auskosten, selbst wenn ich gar kein Bördeanwesen mein eigen nennen kann. Ich muss mich nur zum Ortschaftsbürgermeisters wählen lassen uns loslegen. Wie weiland ein pommerscher Gutsherr könnte ich dann den Daumen senken, wenn es mir opportun erscheint, Wählerwünschen nach einem garantiert laubfreien Bürgersteig nachzukommen. Das bisschen Dickfelligkeit, um das Stirnrunzeln einer fernen Gesamtgemeinde auszusitzen, brauche ich in der Politik sowieso. Ohne Baumschutzsatzung funktioniert das. Mit, wäre der Weg vor den Kadi nicht lang. Noch ein Grund für Baumfreunde, ein Ende der privaten und öffentlichen Selbstherrlichkeit im Umgang mit Leben und Gesundheit von Bäumen zu fordern! Dabei hilft, dass die hiesige Insel der Selbstherrlichen umgeben ist von Kommunen und Körperschaften, die sich die Mühen eines solchen Regelwerks zumuten – aber eben auch seine Früchte ernten.

Wir wissen Alles und beherzigen nichts

Wir, die Menschheit von heute, wissen alles über Bäume, und beherzigen nichts davon, wenn uns das grade passt. Keinem deutschen Sekundarschüler bleiben wenigstens Basisinformationen über die Rolle der Bäume bei der Sauerstoffversorgung von Tier und Mensch vorenthalten. Das Natur-TV schiebt laufend neue toll aufgemachte Infos nach. Trotzdem ist dem Baumverächter kein Argument zu blöd. Auf die Bäume käme es wohl nicht an, musste ich mich schon einmal belehren lassen. In der Sahara wüchsen keine, und trotzdem lebten da Menschen ohne nach Luft zu schnappen!

Die Erkenntnisse der exakten Naturwissenschaften über die Unentbehrlichkeit der Bäume als Sauerstofflieferanten, Wasser-und Bodenhüter, Biotop für Zehntausende krabbelnder, kletternder und fliegender Arten, als Lehrmeister und Helfer in Gesundheitsfragen, als Ernährer: all das liegt auf dem Tisch. Und wer den Strich unter all das zieht, wird diesen Satz einfach nur logisch finden: die Bäume können ohne uns! Sie haben ganze Erdzeitalter lang ohne uns gekonnt. Aber wir können nicht ohne sie!

So weit waren auch schon die Autoren der biblischen Schöpfungsgeschichten und anderer Mythen mit einem diamantharten Wahrheitskern. Man staube einfach mal Opas Bibel ab und lese nach: beide Schöpfungsgeschichten, die von der göttlichen Sieben-Tage-Woche und die vom Garten Eden, schildern die Bäume als Lebensgrundlage für Mensch und Tier. Wer auf dieser Erde Leben sehen will, kommt an der Erfindung der Bäume nicht vorbei.

Wenn wir also nicht bei Captain Kirk einsteigen wollen in der infantilen Hoffnung auf eine Ersatzerde, wenn diese hier an Klimagasen und Müll erstickt ist, sollten wir BaumschützerInnen werden: nüchtern und sachkundig, streitbar und gesprächsfähig, mit langem Atem, solange uns die Bäume den Sauerstoff dazu liefern. Neue Kraft und neue Freude sammeln wir dann gemeinsam unter dieser Eiche oder jener Linde: eines der ältesten und echtesten Vergnügen, die die Menschheit kennt.

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
Dieser Beitrag wurde unter Schöpfung bewahren abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.