Eingeborener Sohn

Apostolisches Glaubensbekenntnis (3)

16.02.2014

„Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn“

Zweimal, eigentlich dreimal mindestens nehmen wir alle in jedem Gottesdienst die Worte „Ich glaube“ in den Mund. Das ist etwas ziemlich Persönliches, finde ich; auf neudeutsch ein coming out“. Wir sagen, wozu wir stehen, wohl wissend, dass wir uns damit als Angehörige einer Minderheit zu erkennen geben.

Dreimal „Ich glaube“, ausgesprochen als einleitende Worte der drei Abschnitte des Apostolischen Glaubensbekenntnisses. Es ist um das Jahr 400 in der lateinisch sprechenden Kirche in die seitdem geltenden Worte gefasst worden – als Ergebnis eines über Generationen andauernden Nachdenkens, Diskutierens, bitteren Streitens, Betens. Kein biblischer Text also, auch kein Gebet. Ein Bekenntnis eben. Es soll ohne Wenn und Aber klar machen soll, wovon das Herz voll ist – wofür die Bekennenden einstehen, einzeln und als Gemeinschaft. Gerade die, die nicht oder noch nicht dazu gehören, sollen wissen, womit sie bei den Jesus-Leuten dran sind. So gesehen hat die allsonntäg­liche Rezitation des alten Bekenntnisses so ganz unter uns schon einen erklärungsbe­dürftigen Zug. Sagen wir fürs erste, wir vergewissern uns selbst, bevor wir evangeli­umsfernen Nachbarn etwas von unserem Glauben zu vermitteln versuchen.

Heute wollen wir anfangen, uns Rechenschaft zu geben über unser zweites „Ich glaube“. Und wir werden mehrere Sonntage lang dabei verweilen. Warum, das zeigt schon ein ganz einfacher Blick auf das Druckbild des Glaubensbekenntnisses (EG Nr. 804). Wir sehen drei Absätze, und der mittlere ist länger als die beiden anderen zusammen. Unterstellen wir mal, dass das Glaubensbekenntnis wirklich knapp das Wichtigste zusammenfasst, was Christen von ihrem Glauben zu sagen haben, dann ist das hier offensichtlich die inhaltliche Mitte dessen, was wir gemeinsamen zu sagen haben – dieser Abschnitt über das Leben und die Bedeutung eines Menschen.

Aber Halt! Die Worte „Ich glaube“ fehlen ja am Anfang. Aber nach den Regeln unserer Sprache verbindet das erste Wort „und“ diesen langen Abschnitt mit dem Eigen­schafts­wort des ersten ganz kurzen ersten Abschnittes. Und dieses Eigen­schafts­wort lautete ja: „Ich glaube“, ich glaube an Gott – jetzt ist also ebenso gemeint „Ich glaube an Jesus Christus“.

Der Drei-Zeilen-Abschnitt über Gott, unseren Schöpfer und der Dreizehn-Zeilen-Abschnitt über Jesus Christus, samt der Verbindung durch die Aussage „Ich glaube“, sie erinnern uns allein durch ihren verschiedenen Umfang an diese grundlegende Tatsache:

Was wir Christinnen und Christen von dem unergründlichen Gott wissen, das wis­sen wir durch den, um den es in diesem zweiten Abschnitt des Glaubensbekennt­nis­ses geht. Wir lernen Gott kennen mit seinen Augen, mit seinen Herzen, mit seinem Vertrauen, erfüllt von seinen Gewissheiten, auch mit Anteil an seinen Zweifeln und seiner Verzweiflung. Unser Gottesbild ist einseitig. Etwas flapsig: wir sehen Gott allein durch die Brille Jesu. Aber das befreit uns zugleich von Ängsten vor dem Rachegott, dem Gott der heiligen Ausrottungskriege, dem Gott, der zu steinigen befahl, statt zu vergeben. Wir sind davon frei, weil Jesus solche Freiheit verkündete und lebte.

Jesus Christus ist kein bürgerlicher Name. Der Mensch, zu dem wir uns bekennen, hieß für seine Mitmenschen zunächst einmal Jesus, Josefs Sohn; oder seiner Her­kunft nach Jesus von Nazareth; seiner Bedeutung gemäß für manche auch Jesus, der Rabbi oder gar Jesus, der Prophet, je nachdem. Christus dagegen ist kein normaler Menschenname. Christus ist die griechische Übersetzung des hebräischen Messias, des Gesalbten also. Dabei geht es nicht um einen feierlichen Ritus, obwohl in Israel nur König werden konnte, wer vorher als Zeichen der Erwählung und Zustimmung Gottes vom Propheten gesalbt worden war. Und sollte Charles, der alternde Prince of Wales doch noch einmal König werden, dann wird auch er im Rahmen der Krö­nungs­zeremonie gesalbt werden. Soviel Bibel muss sein, auch im modernen Vereinigten Königreich.

Über allen, die in Israels dramatischer Geschichte zu Königen gesalbt wurden, steht aber der eine Gesalbte, der eine Messias, ein Nachkomme Davids, auf den Israel noch wartet, der Israel erlösen soll, aus seiner Knechtschaft, aber auch aus seiner Gottes­ferne. Der Künftige, der Erlöser, mit dem und durch den Gott alle seine Verheißun­gen einlösen wird. Der Eine, der Gottes bleibenden Segen über sein Volk verkörpert.

Diese Bedeutung legen die Christen von Anfang an Jesus von Nazareth bei, auch als sie nicht mehr mit der jüdischen Gemeinde verbunden sind. Die Selbstbezeichnung und die Fremdbezeichnung „Christen“, also die Leute des Gesalbten, des Messias, gilt jetzt für die Gemeinschaft der Jesus-Gemeinden, die Kirche. Eigentlich müssten wir auf deutsch also nicht sagen „Jesus Christus“, sondern „Jesus ist der Christus“, der, in dem sich Gott endgültig zu uns bekennt.

Als nächstes kommen die Worte eines Relativsatzes über unsere Lippen „seinen einge­borenen Sohn“. Ich weiß, dass ich als Junge manchmal an diesem Satz herum­gekaut habe. Was um alles in der Welt ist „eingeboren“? Ich konnte halt noch kein Latein. Dort, im maßgeblichen Wortlaut, heißt es einfach „filium eius unicum“, zu deutsch tatsächlich schlicht und einfach „Gottes einzigen Sohn“. Der einzige seiner Art. Keine andere Kreatur ist Gott so nahe wie dieser, soll das heißen. Und das beißt sich nicht mit dem Vertrauen erweckenden biblischen Bildwort, nach dem wir alle Kinder Gottes sind, seine Töchter und Söhne. Gottes einzigartiger Sohn, das ist ge­meint. Leider hat das Wort „eingeboren“ sonst keine Verwurzelung mehr in unserem Sprachgebrauch und ist deshalb etwas unklar. Aber bei einem Text wie dem Aposto­lischen Glaubensbekenntnis steht der Wortlaut nun mal fest, mindestens so fest wie bei unserem Grundgesetz.

Das Schlusswort dieses Satzes klingt für unsere Ohren eher unspektakulär „unsern Herrn“. Klar, damit kann nicht Herr Müller gemeint sein; nach dem Zusammenhang muss das schon jemand sein, der das Sagen hat, nach dem wir uns richten. Wir kennen Wortver­bindungen wie Dienstherr, Ratsherr. Im Hohenzollern-Preußen entsprach unserem heu­tigen Bundesrat das „Herrenhaus“, und das war etwas völlig Undemokratisches. Aber all das greift viel zu kurz. Die beiden schlichten Worte „Unser Herr“ sind eigentlich der Hammer. Letzten Endes auch der Auslöser für die Kette der Verfolgungs­wellen, denen die frühen Gemeinden bis ins 4. Jahrhundert ausgesetzt waren. Denn „Unseren Herrn“ ist die Übersetzung von „dominum nostrum“ bzw. des griechischen „kyrios“.

Dominus war der religiös überhöhte Hoheitsname der römischen Kaiser. Er enthielt den Anspruch der Göttlichkeit. Nichts auf Erden ging über diesen dominus. Rom war ja gar nicht so kleinlich: im Imperium durfte eigentlich jeder seinen angestammten Göttern treu bleiben. Aber über allem stand das gott-gleiche Kaisertum, das hin und wieder seine Anerken­nung einforderte. Wenn es verlangt wurde, hatte jeder seinen Göttern vorübergehend den Rücken zuzukehren und dem Gott-Kaiser zu geben, was er wollte. Nichts Großartiges, nur Dabeisein, wenn zu seiner Verehrung geopfert wurde.

Unsere frühen Glaubensgeschwister haben in jeder Versammlung und auch vor vielen Tribunalen diesen Anspruch zurückgewiesen. Und als es nicht um den Kaiser, sondern um den Führer ging, hat eine Minderheit unserer Großmütter und Großväter in den Gemeinden das auch getan. Auch damals war der Preis hoch. „Jesus Christus – Unser Herr“ ist dazu da, in jeder Generation der Kirche, den verheerenden Absolutheitsansprü­chen der Zeit entgegengerufen zu werden. Und seien es heute Mammon, Schöpfungs­vergessenheit, Freund-Feind-Denken, Gefangenschaft im Ich, Haben statt Sein, was auch immer. Diese Herausforderung geht zuerst an niemand anderen, als an uns selbst. Der Preis kann hoch sein. Aber die Verhältnisse sind klar.