Zu richten die Lebenden und die Toten“

Apostolisches Glaubensbekenntnis (8)

13.04.2014

„Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten“

Gott hat getan, was er tun wollte, was er tun konnte – um seine Liebesbeziehung mit uns Menschen zukunftsfest zu machen. Das ist die verlässliche Zwischenbilanz unserer Beschäftigung mit dem Apostolischen Glaubensbekenntnis aus dem 5. Jahr­hundert, das wir in jedem Gottesdienst zusammen sprechen. Ort und Zeit von Gottes Eingreifen wabern dabei nicht im Ungewissen.

Wir sehen auf Leben, Botschaft, Kreuzestod und Auferweckung Jesu von Nazareth, des Christus. Ein Mensch, der im damals unfreien Israel lebte, in den ersten Jahr­zehnten unserer später nach ihm benannten Zeitrechnung. Seine Bergpredigt, seine Visionen vom göttlichen Vater des Verlorenen Sohnes oder vom Barmherzigen Samariter, von der rettenden Kraft des Gottvertrauens: für die einen ist das seit damals eine Entdeckung, die immer von neuem lockt – für die anderen eine praxisuntaugliche, durch die Kirchen­geschichte längst diskriminierte Illusion. Aber die Quintessenz des Christentums liegt mit dem historisch verankerten Namen Jesus auf dem Tisch.

So ist es nicht ganz überraschend, dass der letzte Christus-Satz unseres Glaubensbe­kenntnisses eher an den Rand unseres Glaubenslebens gerückt ist. Dieser Satz „von dort – von seinem himmlischen Platz zur Rechten Gottes – wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.“ Der wiederkommende Christus, der Christus des zweiten und letzten Advents, der himmlische Weltenherrscher und Welten­rich­ter, der Pantokrator, wie die griechisch sprechende frühe Kirche den Mann aus Nazareth 400 Jahre nach den ersten Osterzeugnissen nennt.

Jüngster Tag, Jüngstes Gericht, Apokalypse, Amargeddon. Verweltlicht, alles Göttli­chen entkleidet, als Konsequenz menschlichen Wahnsinns im Zeitalter der Massen­ver­nichtungswaffen auch „Doomsday“ geheißen: diese letzte Abbruchkante irdi­schen Lebens und menschlicher Geschichte fällt unserer Tage eher in die Zuständig­keit von Menschen, die wir Sektierer, Spinner, Unheilspropheten nennen – mit oder ohne Bibelzitate in ihren Alarmbotschaften.

Wir haben Jesu Warnung im Ohr, ihnen nicht auf den Leim zu gehen. Der Tag Gottes steht in keinem irdischen Terminplan. Das wusste er. Aber rechne jeden Tag damit, dass dein Gott dir begegnen wird, lautet seine Botschaft. Die junge Jesus-Gemeinde hat nach Ostern mit solch einem Tag zu ihren Lebzeiten gerechnet. Sie war durch Sterbefälle in ihrer Gemeinschaft verunsichert, erschüttert und zum Nachdenken gezwungen. Vor diesem Hintergrund müssen wir die Gedanken des Paulus über die Auferweckung der Toten lesen. (1. Kor. 15)

Vergangene Christengenerationen haben den biblischen Texten dennoch etliche Male Berechnungsgrundlagen für das Unberechenbare zu entnehmen versucht. Am bekannt­esten sind dabei die Weltende-Erwartungen für das Jahr 1.000 der christ­lichen Zeitrech­nung geworden. Unsere Vorfahren stützten sich dabei auf das Bild von dem Tausend­jährigen Reich nach der Auferstehung Christi in Offenbarung 20, 3ff. Nun sollte es mit dem Weltgericht zu Ende gehen.

Statt über diese pfaffenhörigen Einfaltspinsel des finsteren Mittelalters zu spotten, sollt­en wir uns daran erinnern, wie für uns ein Schuh daraus wird. Wir wissen ziem­lich genau, dass das Leben kein Perpetuum mobile ist; das persönliche sowieso nicht. Aber auch nicht das der Menschheit, nicht das unserer Biosphäre, unseres Sterns. Einschlägi­ge Fernsehkanäle sind voll von ins Bild gesetzten Theorien über die Biographie von Planeten und Sonnen, von der Wiege bis zur Bahre – unseren eigenen eingeschlossen. Der Grusel wird angemessen portioniert durch einen für unsere Verhältnisse ziemlich gewaltigen zeitlichen Sicherheitsabstand.

Aber da genügen schon, wie neulich geschehen, ein paar journalistische Taschenspie­ler­tricks mit kosmologischen Berechnungen der alten Maya in Mittelamerika, lange vor Kolumbus, und die Auflagen segeln Monate lang auf Erfolgskurs, angetrieben von unseren sehr privaten Gedanken an das große Ende.

Dabei brauchen wir die bewundernswerten indianischen Mathematiker in Wirklich­keit gar nicht. Unser ziemlich unreligiöser Jüngster Tag ist doch in Wahrheit haus­gemacht und nicht allzu geheimnisvoll, wenn wir Eins und Eins ordentlich zusam­men zählen. Alle für das Leben wichtigen globalen Trends in Sachen Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zeigen ungebrochen und kurzfristig weiter in Richtung Kollaps, nicht irgendwann, sondern im weiteren Verlauf dieses Jahr­hunderts; und das nicht als esoterisches Kaffeesatz-Lesen, sondern als humorloses Ergebnis der besten käuflichen Computerintelligenz.

Es gibt zwei Jüngste Tage, mit denen wir in die Karwoche 2014 eintreten: den unseres eigenen Lebens, das nur uns und unserem Gott gehört und der hausgemachte Dooms­day der Menschheit, so hausgemacht, so man-made, wie das Sauerkraut meiner Oma es war.

Und beides unterliegt dem Gottesurteil, sagt Jesus. Für beides gelten die – sagen wir mal – „Paragrafen“, die dem Urteil des „Menschensohnes“ in Jesu Gleichnis vom Weltge­richt (Matthäus 25) zugrunde liegen. Alle Völker, so Jesu Vision, werden vor dem himmli­schen „Menschensohn“ versammelt werden. Jesus nimmt in seinem Wirken immer wieder auf diesen von Gott gesandten Hoffnungsträger Bezug – ohne sich wiederum ausdrücklich völlig mit ihm in eins zu setzen – auch hier nicht. Der richtende „Menschensohn“ teilt das Volk in Schafe und Böcke, eine objektive Sache, sollte man meinen; egal ob an Geschlechter oder an gemischte Herden aus Schafen und Ziegen gedacht ist.

Die einen hören, dass sie Erben des Gottesreiches sind. Begründung: „Ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben; ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen; ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet; ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht; ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.“

Wann soll das gewesen sein, wollen die Überraschten und Beschenkten wissen? Und sie erfahren: „Was ihr einem von meinen am wenigsten geachteten Geschwistern getan habt, das habt ihr mir getan.“ Die berühmten sieben Werke der Barmherzigkeit, später ergänzt um das Siebente, nämlich den anonymen Toten ein Grab zu geben. Die Gescheiterten unterlie­gen demselben Maßstab. Sie sind ihren hilflosen Mitmenschen die Werke der Barmher­zigkeit schuldig geblieben.

In der Urteilsbegründung kein Wort über eifrige Religionsausübung, noch nicht einmal über richtigen und falschen Glauben, über Glauben oder Unglauben. Der Menschen­sohn-Christus tritt selbst hinter die zurück, denen die erste Sorge Gottes gilt. Die „Mühseligen und Beladenen“, wie wir sie in der Sprachmelodie unserer Lutherbibel nennen; die „Verdammten dieser Erde“, wie ein berühmtes Buch über die Ausbeutung des Men­schen durch den Menschen sie nennt.

Die praktizierten oder verweigerten Werke der Barmherzigkeit, bei Lichte gesehen mehr oder weniger deckungsgleich mit den Werken der Gerechtigkeit, wie Bibel und Menschenrechtspakte sie einfordern: der einfache und allgemein verständliche Maßstab gelungenen oder vertanen Lebens. Das gilt für das eigene kleine Leben und das unserer ganzen Art. Dieser Maßstab ist in Zeiten naheliegender Menschheits­kri­sen unter den Kriegsfahnen von Religionen auf eine Frieden stiftende Art demütig. Nicht zu viel verlangt und menschenmöglich, meint schon das Gottesgesetz Israels an verschiedenen Stellen. Jesus von Nazareth war sich bewusst, dass diese einfachen Werke der Barm­herzigkeit viele Täterinnen und Täter haben, auch außerhalb des Gottesvolkes, das seine Heimat war. Wir dürfen nicht engherziger denken als er. Niemandem, sagt Jesus, wird von Gott einmal wegen der falschen Religion abgewie­sen werden. Gott nimmt uns alle in seine Arme, wenn und weil wir Barmherzigkeit und Gerechtigkeit auf Erden nach Kräften zu mehren versuchen.

Und solange wir das tun, ist Zeit der Gnade, und sei es um einer um Gerechtigkeit kämpfenden Minderheit willen, wie in der Erzählung vom Schicksal der Stadt Sodom. Lass dich nicht lähmen von deinem Jüngsten Tag. Er wird kommen. Aber heute warten die Werke der Barmherzigkeit auf Täterinnen und Täter.