Ich glaube an den Heiligen Geist

Apostolisches Glaubensbekenntnis (9)

27.04.2014

„Ich glaube an den Heiligen Geist“

Der dritte Abschnitt unseres Glaubensbekenntnisses, der sog. Dritte Artikel, lenkt unsere Gedanken und Blicke auf die Gegenwart. Beim Stichwort „Kirche“ ist das ja unver­meidlich – auch wenn der „Heilige Geist“, das Leitwort des Abschnittes, schon im zweiten Satz der Bibel vorkommt.

Viele von uns haben den Satz im Ohr: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gott schwebte auf dem Wasser. Die einzigen beiden Worte Hebräisch, die viele von uns kennen, ohne es zu wissen, lauten: tohu wa bohu“, „wüst und leer. Die Erde, ein einstweilen noch ziemlich lebensfeindliches Ambiente. Aber der „Geist Gottes, der „ruach elohim“ schwebt als Verheißung über den Urmeeren. Dort wird das Leben gemäß dem Schöpferwillen erwachen.

Und die andere Schöpfungsgeschichte, die von der Paradies-Oase, dem Garten Eden, sieht den Geist Gottes als Atem des Lebens am Werk: „Da machte Gott der Herr den Menschen aus Ackererde und blies ihm den Atem des Lebens in seine Nase.“ Wenige Bilder unserer Welterklärung sind von gleicher Kraft und Wahrheit. Völlig überflüs­sig und schade, wenn engstirnig naturwissenschaftsgläubige Leute darüber den Kopf schütteln!

Auch Wind, Gewitter und Feuer werden im Alten Testament zu Indizien für die Gegen­wart des unmittelbar eingreifenden Gottes. Aber die Liste der Medien seines präsenten Geistes ist noch länger.

Im Glaubenserlebnis Israels ist mit dem Geist immer der Geist des Schöpfers und Bundesgottes vom Berge Sinai gemeint. In Urgeschichte und Geschichte verkörpert er die handelnde, die geschichtszugewandte Seite des Allmächtigen. Der Geist ist aber keine Person, die aus Gott heraus tritt, die selbstständig neben ihm als Gottheit existiert.

Auch im Jesus-Teil der Bibel, im Neuen Testament ist dieser Geist Gottes zunächst einmal Wegweiser und Retter von Menschen in entscheidenden Lebenssituationen. Jesus selber wird vom Geist Gottes unwiderstehlich in die Wüste, den Ort der Versuchung und Bewährung geführt. Seinem Vater Josef wurde einst im Geist-Traum klar, dass er augenblicklich mit Frau und Kind fliehen muss. Philippus trifft geistgeleitet den Kämmerer aus dem Morgenland; nur eine kleine Auswahl!

Und als Klammer, die die Geist-Interventionen zusammenhält und auf einen Zielpunkt ausrichtet, die Pfingstgeschichte: der Geist Gottes bemächtigt sich der ganzen, kaum handlungsfähigen Jesusgemeinde – und versetzt sie von einer Stunde auf die andere in eine neue Lebensweise, sagen wir im Computer-Deutsch, in einen neuen Modus: statt „Türen zu und Blick nach innen“ – „raus aus dem Haus, mit dem Blick für die ganze Menschheit.“

Aber zusammen mit den Jesus-Erfahrungen und den Christus-Begegnungen der Oster­zeit verändert sich auch die Wahrnehmung vom Heiligen Geist Gottes. Denn Jesus Christus, die Gewissheit, dass er mit und für die seinen lebt, wird nur zugäng­lich, weil und wenn der Heilige Geist sein Werk tut. Er ist der von Jesus selbst versprochene Tröster in der Zeit, in der Jesus nicht mehr leibhaftig mit den Seinen zusammen lebt.

„Nehmt hin den Heiligen Geist,“ verspricht der Auferstandene, bevor er die Jünger aussendet, damit sie den Menschen die Last ihrer Schuld von den Schultern nehmen. Heiliger Geist und Gegenwart des auferstandenen Christus nähern sich nach der Osterzeit immer mehr einander an; werden nie ganz deckungsgleich, aber fast. „Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Geschichte.“ Lasst es mich so sagen: erst die andauernde Erfahrung vieler, dass auf den Heiligen Geist Verlass ist, macht das Osterbekenntnis geschichtsfähig. Die Pfingstzeugen mit ihren entflammten Herzen gewinnen eine neue Generation von Christinnen und Christen, auch wenn sie noch nicht so heißen. Und noch zu Zeiten, als die Schriften unseres Neuen Testaments geschrieben und ausgewählt wurden, kam bereits eine dritte Generation dazu. Diese Neuen erlebten, dass sie nicht allein auf die Zeugenaussagen der Älteren angewiesen waren.

In ihren Gebeten fanden sie die tragende Gewissheit, dass Christus wirklich in ihr Leben getreten war. Solche Erfahrungen mit dem Geist Gottes machte ihren Glauben christusunmittelbar, obwohl sie keine Zeitzeugen seines Lebens mehr sind. Und der Heilige Geist? Er nahm in Herz und Kopf zunehmend Personencharakter an, ganz anders als noch im Alten Testament.

Ein bewegender Satz aus dieser bewegenden Zeit, formuliert von Paulus im Römer­brief 8,26: „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen – wie es sich gebührt. Sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaus­sprech­li­chem Seufzen.“ „Der Geist“, so sagt er ein paar Sätze früher, „legt unserem Geist Zeugnis ab, dass wir Gottes Kinder sind.“ Der Heilige Geist ist Brückenbauer, Türöff­ner, Dolmetscher, Bürge der Gotteskindschaft – ohne ihn klappt es nicht mit der Weg­gemeinschaft zwischen dem Auferstandenen und seinen nachgeborenen Jüngerinnen und Jüngern.

Das Wesen dieses göttlichen Geistes drückt sich aus in Bewegungen, Erschütte­run­gen, Veränderungen – in seelischen, wie in bildlich dargestellten wie Flamme und Taube – aber bezeichnenderweise nicht in einer menschenähnlichen Gestalt. Was die christliche Kunst trotz Bilderverbot sogar mit dem Schöpfergott tausendfach gewagt hat – ihm die Gestalt eines majestätischen Menschenmannes zu verleihen – bei dem alle Herzen und alle Mauern durchdringenden Gottesgeist ist in den meisten Kirchen niemand auf so einen Gedanken verfallen. Nur die Ikonen der Ostkirchen zeigen drei Menschengestal­ten als Abbild der Dreifaltigkeit.

Bei Jesus Christus – auch das bezeichnend – ist die Bildergalerie zweigeteilt: den Christus zur Rechten Gottes, den Weltenrichter, verkörpert oft ein jüngerer Mann in himmlischen Phantasiegewändern.

Jesus von Nazareth, unser Menschenbruder ist dagegen schon mit jedem Gesicht und in jeder Kleidung gemalt worden, die sich in menschlichen Kulturen finden lassen. Mein ganz privater Lieblingsjesus ist ein kleiner Indianerbengel auf dem Schoß sei­ner Mutter, einer Squaw, wie Karl May-Kenner sagen. Er steht für die Tatsache, dass überall auf Erden Menschen leben, die Jesus als einen der Ihren sehen möchten. Und damit sind sie ja auch im Recht.

Aber heute geht uns um den Heiligen Geist. Zuerst ist er für die frühen Christenmen­schen, wie für den oben zitierten Paulus zu einem „Du“, zu einen Gegenüber gewor­den, freilich ohne ein Gesicht, das sich festhalten ließe. Erst danach begann der Generationen währende Prozess des Gebets, der Predigt, des Streits. Wie verhält sich dieser Geist, der uns offensichtlich in Bewegung hält, der uns Mut und Hoffnung verleiht, zu dem Gott, dem Jesus vertraut hat? Und wie wiederum zu dem auferstandenen Christus, dem wir vertrauen?

Was am Ende stand, am Ende der periodischen Verfolgungen der frühen Christen­heit, am Anfang der verfassten alten Kirche des 4. und 5. Jahrhunderts der christli­chen Zeit­rechnung, war das Bekenntnis vom Dreieinigen Gott, dem Gott, den wir erleben als Vater, als Sohn und als Heiligen Geist. Und die wichtigste Aussage über den Heiligen Geist ist aus dem sog. Filioque-Streit hervorgegangen. Was wie Theologenkleinkram klingt, ist aber ganz naheliegend. Filioque ist Latein wie unser ganzes Glaubensbekennt­nis im Original, und heißt auf deutsch „und dem Sohn“, dritter Fall, Dativ. Der ganze Lehrsatz besagt, dass der Heilige Geist von Gott dem Vater und von dem Gottessohn ausgehe – und nicht, entsprechend dem Gottesbild Israels, nur vom Vater allein. Die Ostkirchen lehnten das „Filioque“ ab. Wir Christenmenschen der Reformation des 16. Jahrhunderts haben es dagegen von unserer katholischen Ursprungskirche übernommen. Wo das doch nichts als pure Glaubenserfahrung zu sein scheint! Wenn dieser Geist, der unseren Glauben munter macht, etwas tut, dann doch genau dieses: er weht die Liebe und die Herausforderungen Jesu in unseren Geist und in unsere Seelen hinein – und dann wechselt er die Richtung – und bringt uns in die vertrauensvolle Nähe zu diesem Jesus, die wir Glauben nennen. Der Ferne wird nah, Teil unseres Alltags und darüber hinaus.

Ansonsten bleibt die große Lehrformel vom Dreieinigen Gott, von der Trinität, für den Kopf eine harte Nuss. Einer meiner Trostwitze behauptet, der große und verdiente Theologe Karl Barth sei 1968 nur deshalb aus seinem Leben abgerufen worden, weil die Allerheiligste Trinität dringenden Informationsbedarf über ihre inneren Angelegenheiten gehabt hätte.