Apostolisches Glaubensbekenntnis (10)
25.05.2014
„Ich glaube an die heilige christliche Kirche“
„Credo in sanctam ecclesiam catholicam“ – soviel Latein muss sein. Und ihr habt euch nicht verhört! In der Originalfassung dieses Satzes aus unserem Glaubensbekenntnis kommt das Eigenschaftswort „katholisch“ vor. Catholicus, ein im Lateinischen eingebürgertes griechisches Fremdwort – so, wie wir „City-Center“ sagen, ohne das noch groß als Fremdwort zu empfinden. Im 5. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung ist „catholicus“ freilich keinesfalls gemeint als abgrenzende Konfessionsbezeichnung innerhalb einer auseinandergebrochenen Christenheit.
Um nur die wichtigsten späteren Brüche zu nennen: den von 1054 zwischen Rom und Konstantinopel und die Reformationsbewegung des 16. Jahrhunderts, die uns jetzt mit dem Jubiläumsjahr 2017 nachdrücklich in Erinnerung gerufen wird.
Weniger auf ein symbolisches Datum festzulegen – aber nie und nimmer zu ignorieren – in unseren Tagen ist die Entstehung aberhunderter unabhängiger Kirchen, vor allem im Süden unserer Welt, frei in ihrem Selbstverständnis, in der Gestaltung ihrer Gemeinschaft, in ihren Visionen.
In Sachen catholicus darf uns beides nicht überraschen: dass in der Sonntagsmesse in St. Sebastian selbstverständlich von der „heiligen katholischen Kirche“ die Rede ist, wenn unsere Schwestern und Brüder das Glaubensbekenntnis sprechen. Zumal ihre geistlichen Wortführer ja der Überzeugung sind, dass das ganze Wesen der Kirche Christi nur in der päpstlichen Kirche zu finden ist.
Ebenso wenig kann man uns verübeln, wenn wir einen grob missverständlich gewordenen Begriff vermeiden. Das hat lebendige Sprache nun mal so an sich: manche Worte unterliegen einem Bedeutungswandel. Als der katholische Kaplan mit uns Volksschülern 1948 den Rosenkranz einübte, da hieß es beim „Ave Maria“ noch: „Du bist gebenedeit unter den Weibern.“ Heute wird auch eine noch so nostalgische katholische Gemeinde beten: „Du bist gebenedeit unter den Frauen.“
Das Wort „Weib“, früher korrekte Bezeichnung jeder nicht adeligen Frau, hat unwiderruflich einen abfälligen Klang bekommen, den es auch im Gebet zu vermeiden gilt. Und catholicus hieß im Latein des 5. Jahrhunderts eindeutig „allgemein“, während es heute ebenso eindeutig eine abgrenzende Konfessionsbezeichnung geworden ist.
Warum war unseren Vorfahren dieses „allgemein“ so wichtig, dass es in ihrem Bekenntnis besondere Erwähnung finden musste? Ich denke, vor allem aus zwei Gründen. Der eine hat eher mit Freude und Stolz zu tun: überall in der ganzen damals einigermaßen bekannten Welt, dem riesigen Imperium Romanum, gab es Gemeinden Jesu. Was moderne Kreuzfahrt-Touristen heute in zwei, höchstens vier bequemen Tagesetappen genießen, war damals eine geheimnisvolle, für 99,99 % Prozent aller Menschen lebenslang unüberschaubar bleibende Welt. Jede Fernreise konnte gut und gern ein Abschied für immer sein. Aber überall durften die Jesus-Leute damit rechnen, auf Glaubensgeschwister zu treffen. Das Wunder der Ausbreitung, der Selbstausbreitung der Botschaft in Dutzenden von Völkern und Kulturen, samt ihren prägenden Religionen, hatte schon etwas Atemberaubendes und hat es immer noch in unserer verrückten Welt zwischen Flughafen, Internetcafé und UNO-Hauptquartier. Wo immer der Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung Hände und Herzen braucht, sind Menschen in der Nähe, die wie wir den Namen Christi tragen.
Um nicht all zu sehr in die Ferne zu schweifen: als wir vor 35 Jahren in den Fußgängerzonen im Ruhrgebiet allwöchentlich gegen die Irrlehre vom „Frieden durch immer neue Atomrüstung“ protestierten, da gab es doch recht unangenehme Anpöbeleien. „Geht doch nach drüben!“ bekamen wir jeden Freitag Abend zu hören. Da hat es richtig richtig Spaß gemacht, antworten zu können: „Müssen wir gar nicht. Da haben wir schon unsere Leute!“ „Schwerter zu Pflugscharen“ hieß es hier. Das war ein gottwohlgefälliges Ping-Pong unserer Parolen – so wahr Christus unser Friede ist.
Aber natürlich bleibt dies „allgemein“ alias „catholicus“ auch heute unser Kapital. Nehmt die Krisen-, die Leidens-, die Unrechtsschlagzeilen der zurückliegenden Woche, jeder Woche. Ist da auch nur eine, in die einheimische Christen und Kirchen sich nicht versöhnend und heilend einmischen könnten, wenn der Glaube nur wach und mutig genug ist? Christinnen und Kirchen, deren Sprachen, Traditionen und Gewohnheiten wir nicht kennen, deren Gottesdienste für uns vielleicht gewöhnungsbedürftig wären (so wie unsere für sie) – an in ihrem Tun und Lassen könnten wir im glücklichen Fall aber die segensreiche Ähnlichkeit mit dem erkennen, dessen Namen wir gemeinsam tragen.
Allgemein – catholicus, das war aber nicht nur Ausdruck der Freude über die gefühlte Allgegenwart und die Power der frühen mediterranen Ökumene, das Wort war auch wie ein Siegel unter eine lange Geschichte bitterer Konflikte im eigenen Haus. Das fängt ja im Neuen Testament schon an. Heftiger, mitunter bitterer Streit um den Weg der neuen Jesus-Gemeinde: müssen wir die Frömmigkeitsregeln der jüdischen Gemeinde übernehmen, auch wenn wir nie Juden waren? Können wir Lebensmittel einkaufen, auch wenn diese Speisen zuvor in heidnischen Tempeln symbolisch geopfert worden sind? Soll man sich stellvertretend für ungetaufte Verstorbene taufen lassen, um sie an der Auferstehungshoffnung Anteil haben zu lassen? Was ist die Rolle der Frauen? Wie halten wir es mit der Ekstase im Gottesdienst?
Na ja, und dann die Alphatiere der ersten Generationen. Die waren auch nicht ohne. Manches, was die übereinander kundgetan haben, ist wirklich weder druckreif noch stubenrein. Die noch verhältnismäßig junge Kirche stand des öfteren in der Gefahr, in ein Kuddelmuddel verfeindeter Jesus-Grüppchen in verschiedenen Ecken des Imperiums zu zerbröseln. Sie sind trotz allem mit Christus „catholicus“, allgemein, gemeinsam geblieben: diese Erfahrung, dies Bekenntnis ist eine ungeheure Errungenschaft.
So auch heute: wir sind rund um den Erdball „catholicus“, eben nicht im Sinne geistlicher oder gar politischer Machtansprüche gegeneinander. Wir sind eine Nachfolge-Gemeinschaft, ja – und auch auch eine Haftungsgemeinschaft. Der Glaubensmut der einen, die offensichtliche Verleugnung Jesu durch eine andere Kirche, die den falschen Herren dient, beides ist Teil der Lebensgeschichte der einen heiligen Kirche.
Ihr merkt, das ist eine Menge, was wir zu sagen haben über ein Wort unseres Glaubensbekenntnisses, das wir, gemäß der heute geltenden Übereinkunft der nichtkatholischen Kirchen deutscher Sprache gar nicht aussprechen. Allenfalls könnten wir das kleine Wörtchen „die“ beim Sprechen betonen, um uns in Erinnerung zu rufen, worum es geht.
Über das Eigenschaftswort „heilig“ müssen wir weniger ausführlich reden, als es vielleicht den Anschein hat. Vor allem müssen wir uns für dies Wort nicht entschuldigen. Denn es ist keine moralische Zensur, sondern eine Besitzanzeige. „Heilig“ heißt quer durch die Bibel: Eigentum Gottes, von Gott beansprucht. Da ist das Heiligsprechungsverfahren der römisch-katholischen Kirche für einzelne wegweisende Christenmenschen wirklich ein wenig irreführend. In biblischen Kategorien sind alle und alles heilig, woran Gott sein Herz verloren hat. So, wie Israel! Gott hat sein Herz verloren an ein Völkchen am Rand des antiken Weltgeschehens. Er schenkt ihm Sternstunden – und erlebt mit ihm bittere Enttäuschungen, die er durch die Propheten in Worte fassen lässt. Aber auch die enttäuschte Liebe bleibt eine Liebe – und das heilige Volk ein solches.
Mit diesem Verweis auf Gottes eigensinnige Liebe ist genug gesagt, über die „heilige“ Kirche. Sie heißt so um Gottes Willen, der Jesus so sehr liebte – und durch ihn uns – bis heute.