Fastenaktion 2013
Fasten und Hungern verhalten sich zueinander so etwa wie eine erfrischende Abendbrise nach einem heißen Sommertag zu einem wütenden Orkan. Erst recht, wenn Fasten als persönliches Vorhaben nicht frei in der Luft hängt, sondern sich festmachen kann an den biblischen Überlieferungen und christlichen Erfahrungen der sieben Wochen vor Ostern.
In meiner Kindheit wurden sie noch trennscharf „auf evangelisch“ Passionszeit und „auf katholisch“ Fastenzeit genannt. Diese Sprachregelung hat sich erledigt, nachdem eine Menge Leute konfessionsübergreifend, sogar weltanschauungsübergreifend den Reiz, das Privileg der besonderen Wochen vor Ostern entdeckt haben.
Leben, Lebenswege, Lebensziele klarer sehen, überhaupt erst entdecken; Ballast abwerfen – weniger auf der Waage als von der Seele; Kräfte und ihre Bezugsquellen entdecken; ein paar Leute wirklich kennenlernen; angstfrei Gott suchen: lauter Privilegien der Fastenzeit und des Fastens. Und das Ganze auch noch ohne unvernünftige Risiken, mit ein paar bewährten Hausmitteln und mit dem Hausarzt in Rufweite.
Eine erfrischende Brise eben, allenfalls mit dem Restrisiko, das jedem Tag unseres Lebens anhaftet. „Riskier was“, so ein Teilzitat aus dem Motto der diesjährigen Fastenaktion, würde ich dazu nicht sagen; zumal mit ein paar guten Vorerfahrungen als Fastender. Aber so ist das Motto ja auch nicht gemeint. Am Aschermittwoch 2013 irritiert mich aber schon, dass ich offensichtlich ein weiteres mal Nutznießer der Tatsache werde, dass ich mit dem Orkans des Hungers nicht entfernt etwas zu tun habe.
Meine eigenen Erinnerungen an Hungertage sind völlig schemenhaft: abgezählte Brotscheiben im Küchenschrank, seltsame Notgerichte unter Verwendung von Kartoffelschalen, Winter 1946/47, vermute ich. Aber meine Kindheit hat das nicht geprägt.
Augenzeuge von Hungerbiografien bin ich als Erwachsener dann des öfteren geworden. Natürlich habe ich über den Alltag der extrem abgemagerten Erwachsenen nachgedacht, die mich z.B. im ländlichen Indien in ihren Hütten willkommen hießen. Irritierender noch war für mich aber der Anblick ganzer Heerscharen von Kindern mit krankhaft verfärbten Haaren. Wo das genetische Erbe einen pechschwarzen Haarschopf will, liefen diese Kleinen, mangelernährt wie sie waren, mit braun-rötlichen Strubbelhaaren durchs Dorf.
Ja, auch sorgenfrei fasten zu können, das wird in der Welt der eine Milliarde auf Todesrisiko Hungernden und weiterer ein bis zwei Milliarden, die ums tägliche Sattwerden kämpfen müssen, zum hinterfragbaren und zum hinterfragten Privileg.
Brutaler Hunger und Hungerleiderei sind kein Schicksal sondern Menschenwerk. Logische Folge des Szenarios, im dem wir als Kaufkraft-Inhaber die brutalen Investment-Risiken der globalen Ernährungs- und Energie- und Geldindustrie in astronomische Gewinne verwandeln.
Diese Risiken müssen weniger werden, viel weniger!