Jeder Pfarrer mit etwas Berufserfahrung weiß ein Lied zu singen von der Bedeutung der richtigen Sekundärtugenden für eine gedeihliche Berufsausübung. Will heißen, daß sogenannte Äußerlichkeiten sich zu gewaltigen Hindernissen auftürmen oder auch dafür sorgen können, daß sich dem Seelenhirten eine Menge Türen fast wie von selbst öffnen. Ein hübscher Bursche oder auch eine freundliche junge Frau im Dienst von Mutter Kirche erwischen im Zwischenmenschlichen öfter mal einen Blitzstart.
Meine Eignung zum Pastorenberuf machte meine Schwiegermutter im wesentlichen am Volumen meiner Stimme fest. Zum Inhalt meiner Rede kann ich mich an keine zustimmenden Kommentare erinnern. Andererseits führen Mängel am Outfit zu hartnäckigen Mißverständnissen über Stand und Wesen des Pfarrstelleninhabers. Da mir doch erschreckend viel zum wohlanständigen Pfarrer fehlt, habe ich mich bemüht, wenigstens auf dem Gebiet de Höflichkeit ein wenig Ausgleich zu schaffen. Die Leute grüßen, ihnen einen freundlichen Blick zukommen lassen, Berührungsängste abbauen, mit den ersten Worten am Telefon einen kleine Brücke schlagen usw. Alles nichts Besonderes, aber immer wieder einmal bewußt praktiziert.
Ich werde das auch wohl künftig so halten. Obwohl ich dieser Tage über meine eigene Amtsfreundlichkeit gestolpert bin. Da wollte ich die Ebbe im Portemonnaie am Automaten beheben. Ein bißchen Erstaunen über die Großzügigkeit dieser Maschine, die mir auf Tastendruck jederzeit bares ausspuckt, hat mich immer schon durchzittert. Aber diese Modell setzt noch eins drauf: Wie ich die Hunderte entnehme, höre ich den Automaten leise, aber deutlich „Danke“ sagen. Eine winzige Irritation durchzuckt mich bei diesem Hörerlebnis. Wer hat da gerade Danke gesagt?
Und dann stehe ich sekundenschnell vor der peinlichen Erkenntnis: Ich war es selber! Der höflicher Herr Pfarrer hat sich bei der leblosen Technik bedankt.
Mir ist diese Selbsterfahrung offen gesagt unangenehm.Denn sie nährt den Verdacht, daß die Höflichkeit, deren ich mich befleißige, durchaus zum Selbstläufer werden kann, der die Menschen um mich herum gar nicht mehr richtig wahrnimmt. Und das können sie ja wohl erwarten.
Glosse in „Unsere Kirche“ 19.3.1995