Fastenaktion 2013
„Riskier was, Mensch! Sieben Wochen ohne Vorsicht“ Es gibt Tage unserer nationalen Geschichte, die geben dem gut gemeinten, nachdenkenswerten Motto der Fastenaktion 2013 ohne böse Absicht einen etwas schrillen Klang. Der 22. Februar 1943, heute vor 70 Jahren, ist so ein Tag.
Gegen 17 Uhr starben damals im Gefängnis München-Stadelheim drei junge Widerstandskämpfer unter dem Fallbeil: Hans Scholl, seine Schwester Sophie und Christoph Probst. Unser Volk schreibt sich ihre Namen und die der anderen Opfer aus dem Widerstandskreis der „Weißen Rose“ seit 68 Jahren, seit dies keinen Mut mehr erfordert, auf die moralische Haben-Seite.
Damals aber waren die Handlanger des Terrors bemüht, die Verfasser und Verteiler der unerbittlich ehrlichen Flugblätter, die Ende 1942/ Anfang 1943 in München, Berlin, Hamburg und ein paar anderen Großstädten auftauchten, so schnell und unauffällig wie möglich zu vernichten.
Am 18. Februar wurden die Geschwister Scholl im Lichthof der Universität München überrascht und verhaftet. Nach nur zwei Tagen Gestapo-Verhören begab sich Blutrichter Freisler auf Dienstreise von Berlin nach München; sprach sein Urteil und ließ es umgehend vollstrecken. Nahezu alle Deutschen erfuhren die Namen der später so Gerühmten erst nach der Befreiung.
Riskier was! Gut und schön, aber so etwas? Ein paar tausend Zettel, alles in allem, unter den Augen eines gnadenlosen Überwachungsapparates in Telefonzellen, Briefkästen oder Briefumschläge gesteckt? Wem soll das nützen oder zum Vorbild dienen? Sich im Übereifer von einem Nazi-Hausmeister erwischen lassen, an einem Ort, der keinerlei Deckung und Fluchtmöglichkeit bietet?
Die Toten der „Weißen Rose“ sind nicht die einzigen, mehrheitlich jungen Menschen, die sich für ihr tragisches Scheitern bei Aktionen moralischer Tollkühnheit besserwissende Mahnungen hinterher rufen lassen müssen. Warum mussten die Studenten auf Pekings „Platz des Himmlischen Friedens“ den Machtapparat der Partei bis aufs Blut reizen? Das unvergessliche Ereignis im Juni 1989 steht für viele vergessene.
Es ist banal und zugleich belanglos: mit einer abgeschlossenen Agentenausbildung wären die Scholls an diesem Tag womöglich noch nicht verhaftet worden. Aber einem wahrheitshungrigen Herzen davon abraten, zu sagen, was gesagt werden muss? Das ist und bleibt Beihilfe zur Terrorherrschaft. Menschen, denen wir in allem gleich sind, haben sich damals zu Abermillionen ihr Teil gedacht, aber ansonsten die Beihilfe des Schweigens geleistet.
Dennoch: niemand hat das Recht, von Jungen oder Alten in Konflikten menschlichen Zusammenlebens die Bereitschaft zum „Koste es, was es wolle“-Risiko zu verlangen. Diese Bereitschaft wächst in machen Menschen von innen, durch Zweifel und Ängste hindurch – und kann zur Gewissheit werden. Junge haben auf solche Radikalität vielleicht eher ein Anrecht: Alte stehen wohl mehr in der Pflicht.
Trotz öffentlichen Totschweigens: ohne Folge sind die Taten der „Weißen Rose“ auch in den letzten beiden Jahren der Naziherrschaft nicht geblieben. Die Hunderte, allenfalls die paar Tausend, die das Risiko ohne Haftungsgrenze auf sich genommen haben, wussten recht gut Bescheid, wie wir heute wissen. In der Trauer um die Freundinnen und Freunde haben sie aus ihrer Entschlossenheit Kraft geschöpft. Manche konnten nach der Befreiung davon Zeugnis ablegen, viele nicht mehr.
All die Bürgerinnen und Bürger, die Schülerinnen und Schüler, denen die Namen der „Weißen Rose“ heute auf Straßenschildern oder an Schulportalen begegnen, sollten sich besser nicht mit einem schlechten Gewissen infizieren. Eine bessere Lebenshilfe wäre es wohl, sich den Leitspruch zu merken, den sich die Studentin Sophie Scholl zu eigen gemacht hat. Er stammt von dem französischen Philosophen Jaques Maritain: „Man muss einen harten Geist haben – und ein weiches Herz“.