Tierliebe vor der Kirchentür



Grüß Gott, liebe Christenmenschen,

es wird höchste Zeit, daß wir mal über den kommenden Winter reden. Da haben wir Mäuse regelmäßig Eure Tolpatschigkeit auszubaden, und das muß ja nicht sein! Ich gestehe, es hat schon eine gewisse Faszination, so einen Menschen mit dem Gewicht von zweitausend Mäusen zuzuschauen, wie er auf winterglattem Boden daherbalanciert. Die ganze Würde des überlegenen Herrn der Schöpfung gerät da ins Wanken. Dies Bild erinnert mich lebhaft an das Wort der Heiligen Schrift: „Die Wege des Herrn sind unerforschlich.“ Ich habe bis heute nicht verstanden, warum sich solche Massen auf ganzen zwei Beinen fortbewegen müssen. Aber was soll ich mir des Schöpfers Kopf zerbrechen!

Mir geht es klipp und klar um Leben und Gesundheit meiner Art- und Standesgenossen. Wir Kirchenmäuse in den Gemeinden und Einrichtungen des Kirchenkreises Herne protestieren hiermit in aller Form gegen die immer noch nicht ausgerottete Unsitte, Kirchvorplätze und Bürgersteige mit Tausalz zu behandeln. Daß Ihr Kolosse auf Schnee und Eis nicht zurechtkommt, nehmen wir zur Kenntnis. Wir haben besonderes Verständnis dafür, daß Ihr um den sicheren Tritt Eurer alten Leute besorgt seid. Wir Mäuse lassen uns im Respekt vor den Alten von niemand übertreffen. Schließlich sind unsere Alten diejenigen, die sich am längsten erfolgreich gegen die Katze behauptet haben. Aber die Lösung muß ja nicht auf unsere Kosten gehen!

Ich darf daran erinnern, daß Mäuse im Gegensatz zu Euch keine Schuhe tragen, d.h. bei jeder Besorgung‚ bei jedem Dienstgang laufen wir mit bloßen Pfoten über den Salzmatsch. Und unsere Kinder müssen auch wintertags mal an die frische Luft. Außerdem schleppt Ihr uns das Zeug an Euren Schuhen in die Kirchen. Anschließend lecken sich unsere Kleinen Fell und Pfoten sauber, wie die Natur es verlangt, und prompt haben wir die übelsten Salzvergiftungen in der Familie. Das habt Ihr Euch vermutlich noch gar nicht klargemacht.

Aber es soll ja rohe Gesellen unter Euch geben, denen ‚ das Leben einer Maus keinen Pfifferling wert ist. Denen sei gesagt, daß es Euren verhätschelten Lieblingstieren keinen Deut besser geht. Was meint Ihr, wie eine Hundepfote brennen kann, wenn da Salzkörnchen mit Rissen in der Haut oder wunden Stellen in Berührung kommen. Wirklich, einerseits hängt Ihr Vogelfutteringe in die Sträucher, wenn’s noch gar nicht nötig ist, andererseits piesackt Ihr uns monatelang mit diesem ekeIhaften Salz!

Außerdem müssen wir uns dann das Gestöhne der Bäume anhören. Ihr wundert Euch ja immer erst, wenn die Bäume elendiglich eingehen. Wir hören ihre Schmerzensschreie. Das ist ungefähr so, als wenn Ihr unausgesetzt Salzwasser trinken müßtet. Wenn Euch das alles noch nicht reicht, um von Tausalz auf Sand oder Granulat umzusteigen, dann möchte ich nochmals an Eure Tierliebe appellieren: Denkt an Euer allerliebstes Tier. Wer ist unter Euch, der seinem Auto mutwillig eine Handvoll Nägel vor die Reifen streuen würde,

fragt sich Eure Kirchenmaus.