Sonntag nach Weihnachten, 29. Dezember 2013
Jahreslosung 2014
Ich aber – Gott nahe zu sein, ist mein Glück –
ich setze auf Gott den Herrn mein Vertrauen.
Ich will all deine Taten verkünden.
(Psalm 73,28, Katholische Einheitsübersetzung)
Alle Jahre wieder gibt es nicht nur das Weihnachtsfest, sondern wenige Tage danach auch eine neue biblische Jahreslosung. Ein Projekt, das uns seit einer Generation mit der katholischen Kirche verbindet. Die erste biblische Jahreslosung wurde 1930 verbandsintern vom CVJM ausgewählt. Ab 1934, dem 2. Jahr des „Tausendjährigen Reiches“, wurden Jahreslosungen dann offiziell von unserer Kirche ausgerufen. Die von 1934 lautete: „Des Herrn Wort aber bleibt in Ewigkeit“ aus dem 1. Petrusbrief. Seit 1969 beteiligt sich die katholische Kirche an dem Projekt. Die Jahreslosung gehört heute auch zum Leben der deutsch sprechenden Gemeinden in Österreich und der Schweiz.
Weil sich eine große Runde von Kirchen und ihren Werken auf die Jahreslosungen einigen müssen, haben sie an Neujahr immer schon eine mehrjährige Vorgeschichte. Die Jahreslosung 2016 wurde Anfang dieses zuendegehenden Jahres in Berlin festgelegt. Sie stammt aus dem 3. Teil des Jesaja-Buches und wird lauten : „Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“
Und eine letzte in diesem Jahr besonders wichtige Information in Sachen Jahreslosung: weil Evangelisch und Katholisch bei diesem Unternehmen an einem Strang ziehen, gelten für den veröffentlichten Wortlaut wahlweise Martin Luthers Bibelübersetzung in ihrer aktuellen Bearbeitung und die sog. Einheitsübersetzung von 1980. Für eins von beiden muss man sich Jahr für Jahr entscheiden.
Der Begriff „Einheitsübersetzung“ allerdings meint keine überkonfessionelle evangelisch-katholische Einheitsübersetzung der Bibel, sondern eine einheitliche Übersetzung zum Gebrauch in allen deutsch sprechenden katholischen Bistümern – wobei Fachleute unserer Kirche auf Einladung an der Übersetzung mitgewirkt haben. Die Bibelteile „Neues Testament“ und „Psalmen“ der Einheitsübersetzung sind ganz offiziell in beiden großen Kirchen zum gottesdienstlichen Gebrauch eingeführt worden. Beim Rest gab es dann einen Streit, der das verhindert hat. Aber dabei müssen wir uns jetzt nicht aufhalten. Wichtig ist nur zu wissen, dass die Jahreslosung 2014 in der sprachlichen Fassung der „Einheitsübersetzung“ proklamiert wird – auch in unserer Kirche. Und da lautet sie: Gott nahe zu sein ist mein Glück (Psalm 73, 28).
Nachher, als Überraschung zum Schluss, werde ich euch diesen Satz in Erinnerung rufen, wie Martin Luther ihn übersetzt hat. Das wird für einige unter euch sicher ein kleines Aha-Erlebnis – und ein Beweis dafür, wie schöpferisch, wie inspirierend der Prozess des Übersetzens ist. Und wie wir ihn kennen, wären Bruder Martin die Bemühungen heutiger Christenmenschen, im Umgang mit Gottes Wort auf den Punkt zu kommen, einfach nur recht.
Der 73. Psalm, an dessen Schluss sich die Jahreslosung 2014 findet, ist ausgelöst und durchzogen von der Bitterkeit des Zweifels. Was ist mit den bedenkenlosen Erfolgsmenschen, die sich über die Lebensregeln Gottes verächtlich hinwegsetzen und damit offensichtlich steile Karriere machen? Persönlicher Reichtum, Macht und öffentliche Anerkennung im Überfluss? Der Fromme ist der Dumme, wie es scheint. Er steht am Ende mit leeren Händen da. Ist es nicht so?
Nein, so ist es nicht, besinnt sich der betende Mensch. Nicht nur, dass er selbst dann alles hinschmeißen müsste, was lebenslang für ihn gegolten hat. Das skrupellose Erfolgsleben auf Kosten der Mitmenschen ist nur ein unwirklicher Traum, der sich mit dem Aufwachen in Nichts auflöst. Und dann steht der Gottes- und Menschenverächter mit leeren Händen da.
Das Herz des Betenden hat gewählt: „Ich aber – Gott nahe zu sein, ist mein Glück – ich setze auf Gott den Herrn mein Vertrauen. Ich will all deine Taten verkünden.“
„Ich vertraue auf Gott – und will das nicht für mich behalten.“ Das tut er kund. So weit – so klar. Die Alternative ist ausgesprochen. Aber dann kommt noch eins oben drauf. Ein Motiv, das sich nicht unterdrücken lässt. Die Redaktion der Einheitsübersetzung hat im Deutschen den Kunstgriff eines sprachlichen Gedankenstrichs gewählt, anders Martin Luther an dieser Stelle – und sehr gelungen, wie ich finde.
Ich aber, ich setze auf Gott den Herrn mein Vertrauen – aber nicht einfach so, sondern weil ich nicht anders kann: Gott nahe zu sein, ist einfach mein Glück, nicht etwa eine religiöse Pflichtübung. Selbst, wenn andere den Kopf darüber schütteln. Ich möchte nicht anders leben als im Bund mit meinem Gott, in seiner Nähe. So eine/ so einer bin ich eben. Das macht mich wehrlos und stark zugleich, wie bei jeder Liebe.
Die Jahreslosung 2014 entpuppt sich als recht persönliche Liebeserklärung eines Menschen, den kein Prediger und kein Gebot in der Nähe Gottes festbinden muss wie ein störrisches Pferd, das sonst weglaufen würde. Er ist in Gottes Nähe einfach glücklich und zu Hause.
Eine Vorstellung, die uns als kleiner Christengemeinde den Rücken stärkt. Wenn wirklich alles wegfällt, was den Kirchen in Deutschland historisch die Stange gehalten hat, angefangen beim Weltbild, das noch Martin Luther sein eigen nannte, über das Korsett von Vorschriften und Regeln, mit denen viele von uns noch aufgewachsen sind, die Stütze durch Staatsverträge und Sonderrechte, der Rest an diffusem Respekt in der umgebenden nachchristlichen Gesellschaft – wenn wir wirklich da angekommen wären, wo meine aus anderen Gründen geschätzte „Tageszeitung“ uns schon lange sieht, im Rang einer überwiegend ärgerlichen, vor allem aber überflüssigen größeren Sekte, dann bliebe doch, was wir nicht hergeben wollen, was unsere Gemeinschaft in die Zukunft trägt und ihr Selbstbewusstsein schenkt: bei dem Gott, den Jesus uns nahe bringt, möchten wir einfach sein, weil das Freude und Glück schenkt – nicht von morgens bis abends, aber immer wieder.
Glück besteht aus Molekülen, aus leuchtenden Momenten; kaum jemals wie ein Silvesterfeuerwerk – dieser Horror für Vögel und andere Mitgeschöpfe. Glück kommt leiser daher. Bei der Sache mit Gott ist das für mich ein riesiger Schatz einzelner Geschichten aus diesem Buch (Bibel), die einen einfach nicht loslassen, unglaubliche Bildworte, unvergessliche Töne der Komponisten, die sich an die Worte dieses Buches heran gewagt haben – vor allem aber dieser unerschöpfliche Reichtum an Geschichten, die das Leben schrieb, seit Menschen wie du und ich sich auf ihre Berufungen eingelassen haben. Geschichten von Mut und Visionen, die an Verrücktheit grenzen, von Zartheit ohnegleichen, von gelungenem Brückenbau über Abgründe – und und und… Geschichten von der Vitalität eines Lebens gegen den Strom – mit Gott als Weggefährten.
Dies Glück wird uns auch erfrischen bei all den Aufgaben, die wir in diesem Jahr der Pfarrvakanz noch bewusster anpacken müssen als sowieso. Aber glückliche Menschen trauen sich ja auch eine Menge zu. Gott nahe zu sein, ist mein Glück. Martin Luther übersetzte übrigens: „Das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte – dass ich verkündige all dein Tun.“ Na, klingelt es?