Unwort „Leistungsträger“

Ich habe einen Vorschlag für das Unwort des Jahres 2009. Wie wäre es mit „Leistungsträger“? Diesem Phantom kann ich im beginnenden Bundestagswahlkampf unmöglich entgehen, sobald ich in irgend eine Polit-Talkshow hinein zappe. Irgend einer bläst dem „Leistungsträger“ da immer Zucker in den Hintern; und die anderen schweigen mindestens dazu.

Was, also bitte, ist ein Leistungsträger? Die ihn da anhimmeln, bleiben gern etwas ungenau. Er hat viel vom Unternehmer, eine kräftige Prise Handwerksmeister, manchmal noch ein Hauch Krankenschwester. Was er nicht ist? Ist doch klar: arm, alt, alleinerziehend, arbeitslos, behindert usw. Eine soziale Dienstleistung erbringt er eher nicht. Familienarbeit und Ehrenamtliches sind nicht gemeint. Wer addiert, hat da schnell die große Mehrheit der Gesellschaft beisammen. Alles keine Leistungsträger!

Als Rentner bin ich natürlich auch kein Leistungsträger. Von meinen vier Kindern und ihren vier Partnern sind es höchstens zwei, weil sie sich erfolgreich in der Wirtschaft tummeln. Die anderen machen Kultur und Soziales bis hin zu solchen Orchideen-Jobs wie Menschenrechte. Wer mag das Leistung nennen – gar eine, die unsere Gesellschaft trägt? Und meine Frau ist ein völlig hoffnungsloser Fall: Familienmutter, heute Feuerwehr-Oma und Ehrenamtlerin.

Lassen wir den Wahlkämpfern ihren Leistungsträger. Ich ziehe während dessen meinen Hut vor ein paar Leistungen, ohne die unsere Welt ärmer und noch ein gutes Stück menschenfeindlicher wäre: die Leistung der Flüchtlingsfrau in Pakistan, die fünf Kinder am Leben hält; die Leistung der mies bezahlten Altenpflegerin, die sich auf der Pflegestation die Menschlichkeit nicht austreiben lässt; die Leistung des afrikanischen Milchbauern, der nicht aufgibt, obwohl die irre Milch-Exportpolitik der EU seine Existenz bedroht; die Leistung der Freiwilligen, die eine Million Deutsche in den Tafelinitiativen mit Brot und Freundlichkeit versorgen.

Was ich noch fragen wollte: war dieser Jesus eigentlich ein Leistungsträger?
(2008)