Afghanistan – das soll es also gewesen sein. Mit ein paar Bildschnipseln in den Abendnachrichten wird uns mitgeteilt, dass Deutschlands längster Krieg seit Napoleon oder sogar seit dem Westfälischen Frieden von Münster und Osnabrück 1648 abgehakt ist. Ein pseudo-feierliches Flagge-Wechsel-Dich-Spielchen nach dem Ritual der US-Army soll ein erfolgreiches Ende markieren, wo weder Erfolg noch Ende ehrlicherweise zu vermelden wären.
Nichts war gut in Afghanistan, wie eine leider abhanden gekommene Bischöfin im Talar zu Protokoll gab. Sie nutzte die Medien, die ihr Sperrangel weit offen standen, nur um zu sagen, was viele nicht derart Prominente in unserer Kirche vor ihr gesagt und geschrieben hatten. Aber gut, dass es sagte!
Nicht nur gut war nichts in Afghanistan, es war auch nichts normal, wenn man unsere deutschen Kriegsreferenzen zu Rate zieht. Das sind natürlich die beiden Weltkriege, die ohne unsere mächtigen und machtlosen Vorfahren aus vier Generationen nicht hätten stattfinden können.
Kaiser Wilhelm und Joseph Goebbels nannten ihre Kriege vom ersten Tage an Krieg. Regierungsamtlich und völkerrechtlich hat es Afghanistan nie zum Krieg gebracht. Wem bitte, hätte man den auch erklären sollen. Usama bin Laden, alias Al Quaida, hätte wohl die Annahme verweigert und die Taliban-Kommandeure kamen auch nicht in Frage.
Immerhin sind die letzten der offiziell 55 umgekommenen deutschen Soldaten dann doch „gefallen“ und ihr Schicksal hat die Einrichtung einer Erinnerungsstätte an ihre und künftige Soldatentode beschleunigt.
Andererseits: die Männer – ich weiß nicht, ob auch Frauen unter den Opfern sind – waren alle von Berufs wegen dabei. Kein einziger Wehrpflichtiger ist in Afghanistan umgekommen. Geradezu absurd: mitten in diesem Krieg ist sogar die Wehrpflicht vorläufig in die politische Ablage gepackt worden, sie blieb Gesetz, aber nur für alle Fälle. Das hat die von Todesnachrichten getroffenen Familien unweigerlich isoliert. Schlimm, sagte die öffentliche Meinung eins ums andere mal, aber in einigen Jahren passierte gar nichts; in anderen gab es wenige TV-Bildern von trauernden Angehörigen und kondolierenden Ministern. Das hatte nichts zu tun mit der tagtäglichen Angst von Millionen 1916 oder 1944.
Auch die Bilanzsumme von 135.000 deutschen Afghanistan-Veteranen verschleiert eher die gesellschaftliche Isolation der vergleichsweise wenigen Betroffenen: diese Menschen sind von 2001-2014 in die Transportflugzeuge gestiegen, verteilt über dreizehn Jahre. Die aktuelle Eingesetzten waren noch Grundschüler, als die Ersten die politische Loyalitätserklärung gegenüber den USA einzulösen hatten. In der Zahl werden auch eine Menge Mehrfach-Einsätze derselben Menschen stecken.
Wiederum untypisch für Deutschlands Kriegsbiographie: nach Verdun oder Stalingrad dauerte es Jahrzehnte, bis die Verwüstung der Seelen derer, die dabei sein mussten und überlebt hatten zur nationalen Frage wurde. Und auch dann gab es fanatischen Gegenwind. Man erinnere sich nur an Goebbels´ perfide Attacken gegen die Verfilmung vom Rainer Maria Remarques Buch „Im Westen nichts Neues“. 2014 sind die Lasten, die Afghanistan auf das Leben von Veteranen und ihren Familien gepackt hat, in aller Munde. Afghanistan-Trauma, das ist längst ein dramatisches Element in manchen Filmen, bis zum Vorabend-Krimi. Und die Ministerin muss gewährleisten, dass die Patienten jede mögliche Therapie erhalten, egal was das den Steuerzahler kostet.
Sofern nicht der Krieg selbst ein Verbrechen ist, kann Deutschland diesen Krieg resümieren, ohne sich zu Kriegsverbrechen bekennen zu müssen. Auch dass untypisch, Gott sei es geklagt!
Der Luftangriff vom September 2013 auf Menschen in einem trockenen Flussbett bei Kundus, geflogen auf deutsche Anforderung, fällt in die entsetzliche Kategorie „Kollateralschäden“. Die vielen zivilen Todesopfer sind – unglaublich – von ungezählten Deutschen ehrlich betrauert worden. Keinem Leichenhaufen der Ausrottungskampagnen in den Partisanenregionen Weißrusslands oder der Ukraine ist das zuteil geworden. Und die Opferfamilien fordern zu Recht und erfolgreich Entschädigung, egal wie man die juristischen Endergebnisse einschätzen mag. Aber was gäben wir darum, die Entscheidungsprozesse jener Nacht wären anders abgelaufen!
Unsere Kirche war dabei in dem Krieg, der offiziell keiner war. Aber damit enden wohl schon die Gemeinsamkeiten mit den Weltkriegen. Kein Militärpfarrer der Bundeswehr hat die Jesus verleugnende „Gott mit uns-Theologie“ auf den Killing Fields in Afghanistan ausposaunt, so hoffe ich. Mit den Selbstzweifeln, Ängsten und Schocks der Soldaten hatten sie genug zu tun. Hatten sie eigentlich auch einen muslimischen Mit-Seelsorger in ihren Reihen? Nahe liegen würde es ja.
In der „Heimat“ haben sich Soldaten und auch Militärpfarrer in Kriegszeiten noch nie so ausgegrenzt gefühlt, angefangen dabei, dass für das Wahl-, Konsum- und Urlaubervolk einfach kein Krieg war. Von dieser Frustration habe ich mich etliche Male überzeugen können. Ich konnte sie verstehen, obwohl ich mit meiner politischen und friedensethischen Meinung nicht hinter dem Berg gehalten habe. Die Afghanistan-Betroffenen haben das von mir auch nicht verlangt.
Asymmetrisch nennen wir inzwischen Kriege, in denen der Selbstmordattentäter auf der einen Seite dem Kampfhubschrauber und der Drohne auf der anderen gegenüber steht. Afghanistan war und bleibt wohl so ein Krieg. Aber was uns angeht, trennt die wichtigste Afghanistan-Asymmetrie zunächst einmal unser Volk, das sich ernsthafte Störungen verbittet, von seinen tief verstörten Kriegs-Dienstleistern. Es steht zu befürchten, dass das einstweilen so bleibt. Denn die Umetikettierung und Personalreduzierung nach dem Flaggenwechsel vom 28. Dezember 2014 bietet keinerlei Gewähr dafür, dass Kriegserfahrungen, die keine sein sollen, unserer Gesellschaft künftig erspart bleiben – und dem Volk von Afghanistan sowie so nicht.
28. Dezember 2014: Ende des Afghanistan-Einsatzes/-Krieges mit deutscher Beteiligung. Ich fürchte, dies Datum wird unsereins bald googeln müssen. Es hat nicht das selbst erklärende Gewicht wie der 9. November 1918 oder der 8. Mai 1945 – prägt sich deshalb nicht selbsttätig ein. Vor allem steht heute schon fest, dass dieses Datum mit dem Stigma der Unehrlichkeit behaftet ist. So bitter die folgenden Tage 1918 und 1945 waren. Die Kriege waren definitiv zu Ende. In Afghanistan wechseln Krieg und Kriegführende nur die Fahne. Und wir stehen dafür weiter in der Mitverantwortung.