Hin und und wieder, erst im Herbst und dann im Frühjahr, kramt meine Frau die alte Schublade hervor. Sie hat sie umfunktioniert zu ihrer privaten Samenbank: Dutzende von Tütchen und Döschen, alle sorgfältig beschriftet; auf deutsch, nicht in Wissenschafts-Latein, wie es ich eigentlich in der Welt der Pflanzenkunde gehört. So kann ich mitlesen, dass es sich um eine Kollektion von Blumen- und Kräutern-Samen handelt, gesammelt in dem großen Garten hinterm Haus.
Tomaten, Erdbeeren, Himbeeren und anderes Essbares findet sich nicht in der Samen-Schublade. Da funktioniert stattdessen der nachbarschaftliche Tausch von Stecklingen, Ablegern und dergleichen.
In dem Jahrzehnt, das wir hier verlebt haben, haben Mini-Samenbank und dörfliche Pflanzentauschbörsen zur erfolgreichen Wiederansiedlung mancher heimatlichen, standortgerechten Gartenpflanze beigetragen. Gartenfreunde, die noch mit Samen umgehen können, leisten der erdrückenden Übermacht der Baumärkte mit ihren unbiologischen Pflegeleicht-Angeboten hartnäckigen Widerstand, wie weiland das Dorf von Asterix den Legionen Cäsars.
Ich weiß, die Samenbank im Holzkasten, ihre regelmäßige Pflege und Erneuerung, hat mit meiner Ernährungssicherheit nichts zu tun; nur mit meiner Seele, die sich an einem naturnahen Garten freuen kann. Von den Bienen und Hummeln wollen wir jetzt mal nicht reden. Obwohl, die wissen genau, wo es sich lohnt und wo nicht.
In Afrikas Dörfern geht es für viele Millionen Kleinbauernfamilien beim Stichwort Saatgut nicht um die Augenweide, sondern um die Existenz. Ihr Saatgut-Management ist ebenso ehrwürdig wie erfolgreich: von Ernte zu Ernte, Generation für Generation, haben die Leute ihr eigenes Saatgut beiseite getan, begutachtet, getauscht, weiter gezüchtet, vorsichtig damit experimentiert. Sie haben heraus gefunden, welche Sorten sich Klima, Bodenverhältnissen, Jahreszeiten am besten anpassen. Das alles ohne Markennamen, Patente, Lizenzen und dergleichen. Ganz nebenbei haben sie einen der kostbarsten Schätze der Menschheit geschaffen: die genetische Vielfalt der insgesamt erstaunlich wenigen Nahrungspflanzen, auf die es global gesehen ankommt.
So sind die Kleinbauern der Südkontinente geworden, was sie heute immer noch sind: aufs Ganze gesehen die erfolgreichsten und unentbehrlichsten Ernährer der Menschheit. Natürlich liegen ihre Hirse, ihr Mais, ihr Gemüse, ihr Maniok nicht in unseren Supermärkten. Diese Grundnahrungsmittel werden von ihren Erzeugern und deren Landsleuten gegessen. Und die bilden nun mal die eindeutige Mehrheit der Menschheitsfamilie.
Aber weil sie die Mehrheit sind, kreieren sie automatisch eine unwiderstehliche Geschäftsidee in den Köpfen des Top-Managements der Agrarmultis: Kleinvieh macht bekanntlich auch Mist, zumal, wenn es nach einigen Milliarden Mäulern zählt. Die Chemie- und Genetik-gestützte industrielle Landwirtschaft müsste den Laden nur von den Bauern mit ihren Hacken, ihrem Kuhdung und den anonymen Lokalsorten übernehmen. Essen müssen und sterben müssen sind die einzigen beiden Dinge im Leben, die wirklich feststehen. Der bis zur Jahrhundertmitte weiter anwachsende Nahrungsmittelbedarf der Menschen Afrikas als grandiose Marktchance! Patentiertes Einmal-Saatgut, alle Jahre wieder, dazu Kunstdünger und Insektenkiller mit verlässlichen Wachstumskurven – die nächste Resistenz kommt bestimmt – das wäre es!
Fehlt nur noch der rechtliche Flankenschutz. Um den geht es offensichtlich bei der „Neuen Allianz der G8-Staaten für Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung“. Was sich anhört, wie eine ehrenwerte Initiative der reichen Nationen für die Länder mit dem Hungerrisiko, macht den Welternährungs-Experten unserer Kirche allergrößte Sorgen. Denn da haben die Größten der Politik die Allergrößten der Saatgutbranche, inklusive Kunstdünger und Pestizide, an ihren Tisch gebeten, um zu erfahren, welche Kröten Afrikas Regierungen denn zu schlucken hätten, damit Monsanto, Unilever und deutsche Konkurrenten sich aufmachen, den Kontinent mit industriellem Saatgut zu versorgen.
Und ganz oben – kurz gesagt – stehen Forderungen nach marktwirtschaftlicher Ächtung traditionellen Saatgutes. Wann immer die Staaten als Käufer und Verteiler von Saatgut auftreten – und in den unsicheren Zeiten des Klimawandels wird das nicht selten der Fall sein,- sollen sie das traditionelle, bewährte Saatgut ihrer eigenen Bauern möglichst boykottieren. Knebelverträge sind in Planung, mit einem Rattenschwanz von menschlichem Leid im Gefolge.
Und die schöne neue Welt der Ernährungssicherheit durch Industriesaatgut ist natürlich eine Fata Morgana. Das hatten wir in der jüngeren Welthunger-Geschichte nun wirklich oft genug: der kapitalistische Profit-Markt produziert nie das, was hungernde Menschen brauchen, sondern das, was Menschen mit reichlich oder wenigstens etwas Geld gerade noch erschwingen können. Wenn etwas schief geht, können ja das Welternährungsprogramm der UNO oder die Katastrophenhilfe ran. Und die müssen am Ende auch einkaufen gehen!
Wir werden unseren taufrischen Gro-Ko-Entwicklungsminister schleunigst fragen müssen, ob diese Gerechtigkeits-beflissene neue Bundesregierung am Tisch der G8 tatsächlich zum Erfüllungsgehilfen derer werden will, die Afrikas Bauern ihr Saatgut zertreten.