Allianz der Racheengel

Als die alte Bundesrepublik noch jung war, gehörte „Kopf ab-Jaeger“ zu ihrem innenpolitischen Bühnenbild. Ein Bayer, der wichtige Ämter innehatte. Unvergessen bleibt er den Zeitgenossen aber durch seine notorische Forderung nach Wiedereinführung der Todesstrafe – bei jeder sich halbwegs dafür anbietenden parlamentarischen Gelegenheit.

„Kopf ab-Jäger“ war der Herold einer Heerschar von Wahlberechtigten, denen der Artikel 102 des Grundgesetzes ein Ärgernis war: „Die Todesstrafe ist abgeschafft“. Nur vier Worte, aber entsetzlich teuer bezahlt mit den tausendfachen Morden der Nazi-Terrorgerichte, von Roland Freisler bis zu willfährigen nachgeordneten Kollegen, überall, wo das Hakenkreuz hing.

Als Richard Jaeger agitierte, lebten unter uns noch viele Millionen Landsleute, denen die Todesstrafe als Quittung für Mörder völlig geläufig war. Schon vor Hitler, in der Weimarer Republik, hatte der Scharfrichter seinen Arbeitsvertrag. Allerdings war er kaum beschäftigt. Im Propagandanebel des Regimes rückten dann immer mehr Gruppen von Gebrandmarkten in die Klasse der todeswürdigen Volksschädlinge ein. Nazi-geimpfte Deutsche werden meist gar nicht mehr fähig gewesen sein, die Lügen über hingerichtete Gegner des Regimes als solche zu erkennen. Bundestags-Vizepräsident Richard Jäger durfte in den 60er Jahren noch fest damit rechnen, dass all zu Viele seine Phantasie vom Rechtsfrieden durch die Todesstrafe als eine Art Rückkehr in bessere alte Zeiten geteilt haben.

Vor den Übertreibungen der Nazis, selbstverständlich!

Richard Jaeger ist sehr alt geworden. Aber diesen Fund im Fundus des Bayrischen Nationalmuseums konnte der Bayer nicht mehr zur Kenntnis nehmen: die gebrauchsfertige Guillotine, mit der mehr als tausend Naziopfern in München-Stadelheim der Kopf abgeschlagen wurde; wohl auch den Studierenden der heute zu Leitbildern erhobenen Gruppe „Weiße Rose“. Ihr Meister, der Henker Johann Reichhart, hat sich gerühmt, mit dieser Konstruktion unschlagbare Geschwindigkeitsrekorde beim Köpfen aufgestellt zu haben, zum besten der Delinquenten natürlich. Tötungstechnische Einzelheiten sind dieser Tage in unserer freien Presse nachzulesen.

Was tun mit der Fundsache? Als Exponat der besonderen Art hinüber schaffen ins Deutsche Museum, unter Dauerbewachung selbstverständlich? Oder einfach unten lassen und dem Vergessen anheim geben? Das eine wie das andere kann ich mir nicht vorstellen.

Weil wir mit dem Erbstück unserer Geschichte – das ist ja objektiv – werden umgehen müssen, sollten wir auf die Suche gehen nach einem Ort, der Ähnliches leistet, wie die Gedenkstätte „Neue Wache“ in Berlin. Einstmals heldisches Kriegerdenkmal mehrerer einander ablösender Regime. Heute der Ort, wo die Figur der um ihren Sohn trauernden Mutter von Käthe Kollwitz an alle Opfer von Krieg und Unrechtsherrschaft erinnert. Ob sich so ein Ort, ein Nicht-Museum, finden lässt, wo die Guillotine einfach für die Wahrheit zeugen kann?

Der Menschenrechts-Kampf um die weltweite Überwindung der Todesstrafe ist eine Generationen übergreifende Aufgabe. So wie der Aberglaube an ihren Sinn und ihre Notwendigkeit. Der flinke Henker Johann Reichart hat für drei unvereinbare Deutschlands geköpft: für die Weimarer Republik, für Hitler und zum Karriereende auch noch für die Siegermächte. Diesmal abgeurteilte Nazi-Verbrecher.

Seinen Standeskollegen in den USA des Jahres 2014 würde er womöglich mit professioneller Geringschätzung begegnen. Denen gelang es dieser Tage im Bundesstaat Ohio nur mit grauenhafter Verzögerung, einen Mörder per Giftspritze zu töten, nach bald einem Viertel Jahrhundert in der Todeszelle. Der bewährte Giftcocktail aus einem EU-Land war nicht mehr zu bekommen. Der Ersatz wirkte erst nach mehr als einer Viertelstunde.

Unsere deutsche Guillotine wird dadurch um keinen Deut erträglicher. Aber in mir regt sich ein starkes Gefühl der Dankbarkeit, nicht zum ersten mal. Dankbar bin ich all den Amerikanerinnen und Amerikanern, die sich unermüdlich und unter seelischen Schmerzen der Todesstrafen-Gläubigkeit ihrer Gesellschaft entgegen stemmen und Bundesstaat für Bundesstaat ihrer Landes aus dieser Allianz der irdischen Racheengel herausbrechen.

 

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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