Ankündigung einer Ordnungswidrigkeit

 

Leserbrief an die regionale Tageszeitung anlässlich der Verstümmelung einer Reihe hundertjähriger Linden

Sollte demnächst am amtlichen Namensschild der „Lindenstraße“ in Niederndodeleben ein alternativer Namensvorschlag zu lesen sein, dann wird die geschätzte Obrigkeit nicht lange nach dem Täter suchen müssen.

 

Ich werde es getan haben. Denn ich finde, die Lindenstraße sollte nicht länger Lindenstraße sondern wahrheitsgemäß „Krüppelbaumstraße“ heißen. Die Bürgerinnen und Bürger leben nicht länger „unter den Linden“, die diesen Namen verdienen. Sie durften mit angesehen, wie die Gemeinde acht von zehn starken, bis auf zwei auch gesunden Linden zu Bauminvaliden „abgesetzt“ hat. Abgesetzt, das soll wohl ein Fachausdruck für Baumverstümmelung sein. Jedenfalls wurde ich an Ort und Stelle belehrt, so hieße die Maßnahme, die hier von Mann und teurer Technik auf Weisung der Obrigkeit vonstatten ginge. Keine der Ex-Lindenstraßen-Linden wird je wieder eine Linde sein. Klar, da ist weiter Linden-DNA in Holz und Blättern. Aber das Erscheinungsbild eines unserer deutschen Märchen-Bäume ist für immer dahin. Keine Nottriebe künftiger Jahre werden daran etwas ändern. Und kein Baumdoktor wird die übelsten Amputationsstellen tragender Starkäste mit irgend einer Heile-Heile-Gänschen-Methode flicken können.

 

Dass die Sache teuer wird, ist mir im Moment eher egal. Aber bei Invaliden ist das eben so. Die brauchen einen ständigen Pflegeaufwand, der ins Geld reißt – bis sich dann unser nächster Bürgermeister irgendwann zur Baum-Sterbehilfe entschließen muss.

 

Die Motivforschung für den Überfall auf die Lindenstraße verspricht erschreckende Erkenntnisse – so oder so: Gutsherrenattitüde von Kommunalpolikern? Gefälligkeiten unter Umgehung kommunaler Gremien? Baumarbeiter, die nicht wissen, was sie tun? Allgemeine Sehschwäche unserer Generation im Blick auf das, was unsere Kinder und Enkel brauchen?

 

Krüppelbaumstraße, trotz der einen Linde, die noch wie eine Linde aussehen darf, nur weil ein Querkopf etwas lauter genörgelt hat.

 

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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