Grüß Gott, liebe Christenmenschen,
daß es überhaupt dazu kam, daran war das schöne Herbstwetter schuld. Die beiden hatten ihren Morgenspaziergang wohl etwas zu lange ausgedehnt. Und jetzt fehlte die Zeit, erst noch zu Hause vorbeizugehen. So sah ich die alte Erau samt ihrer Promenadenmischung auf die Kirche zukommen. Ihr müßt wissen, ich lasse es mir nicht nehmen, die Christenmenschen zusammen mit unserem Küster ah der Kirchentür zu begrüßen. Der Küster hat für alle Gottesdienstbesucher ein freundliches ‚Guten Morgen‘ und ein Gesangbuch bereit. Ich versuche derweilen‚ mir ein Bild von der seelischen Verfassung der Christenmenschen zu machen. Unsereinem entgeht da wenig. Und es gehört ja zu den Segnungen eines jeden Gottesdienstes, daß wir da verstanden werden mit all dem Kuddelmuddel, den wir im Herzen mit uns herumtragen.
Da ich die menschliche Körpersprache nun mal fließend beherrsche, blieb mir die Unsicherheit der Witwe nicht verborgen. Seit zwölf Jahren war der Vierbeiner Max wirklich ihr Partner, getreu seinem Schöpferauftrag (nachzulesen l. Moe, 2, 18-20). Sie sorgte für ihn, ohne ihn durch ihre Fürsorge krank zu machen. Sein Hundeimpfpaß war immer auf dem erforderlichen Stand, seine Hundesteuermarke immer up-to-date. Und Max hatte die Witwe Wolf, so heißt sie tatsächlich, dafür in unverfälschter Hundeart zu seiner Leitwölfin erkoren, ihr überall hin folgend, außer zum Metzger und in die Kirche. Na, und heute morgen sollte eines dieser beiden Tabus plötzlich durchbrochen werden.
Frau Wolf, die im Umgang mit Männern und Behörden durchaus gelernt hatte, daß man sich gelegentlich durchsetzen muß, ging einen Deut zu selbstverständlich mit ihrem Max auf unseren Küster zu. Meine Anwesenheit, drei Schritte entfernt im Gebüsch, muß auch eine Rolle gespielt haben. Für Menschen bin ich dort natürlich unsichtbar, Aber Max bekam meine Anwesenheit über Nase und Ohr zugleich mit und machte einen nervösen Satz auf mich zu. Nicht, daß mich dies in Gefahr gebracht hätte, denn eine kluge Kirchenmaus sichert sich immer den geordneten Rückzug. Aber unser Küster war jetzt endgültig alarmiert. „Das können wir so nicht machen, Frau Wolf“, sagte er mit gewissem Erstaunen in der Stimme. „Sie können den Hund doch nicht mit in die Kirche nehmen. Außerdem ist heute Abendmahl.“
Max hatte sein Interesse längst von mir ab- und dem Küster zugewandt. Nervös drängte er sich an die Beine seines Frauchens. Die versuchte, unserem Küster zu erklären, daß sie sich auf dem Morgenspaziergang verspätet hätten und daß Max deshalb mit in die Kirche müsse. Sie garantiere dafür, daß der Hund die ganze Zeit ruhig auf seinem Platz liegen würde. Hinter Frau Wolf stauten sich mittlerweile ein halbes Dutzend Neuankömmlinge. Unser Küster suchte verzweifelt nach einem Kompromiß zwischen Gottesdienstordnung und den Wünschen eines so treuen Gemeindegliedes, wie Frau Wolf es war. „Wissen Sie, geben Sie mir den Hund. Ich werde ihn im Pfarrgarten neben der Kirche anbinden.“ „Das klappt nicht“, erwiderte Frau Wolf mit Bestimmtheit. „Ich garantiere Ihnen, daß Max die ganze Zeit in höchsten Tönen jaulen wird. Lassen Sie ihn mit mir rein. Ich bin sicher, er wird sich gut benehmen.“ Tut mir leid, Frau Wolf, es geht wirklich nicht,“ blieb unser Küster bei seiner Haltung.
Was soll ich noch groß sagen? Frau Wolf hat sich wortlos umgedreht und ist mit Max davongegangen. Das war vor drei Wochen. Seitdem habe ich sie im Gottesdienst nicht wieder gesehen.
Herzlich Eure Kirchenmaus
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