Grüß Gott, liebe Christenmenschen,
Menschen und Mäuse
sind einander doch ähnlicher, als es auf den ersten Blick scheinen
mag. Da ist z.B. die seltsame Furcht der Christenmenschen vor
Pastoren im schwarzen Taler. Solange der Pastor in Normalkleidung
daherkommt, haben die Christenmenschen eine geringe Fluchtdistanz und
gehen sogar ihrerseits ohne Anzeichen von Angst auf ihn zu, ja
schütteln ihm sogar die Hand! Aber wenn derselbe Mann in bodenlangem
Schwarz und weißem Beffchen aus der Sakristei an den Altar tritt,
treten die allermeisten Christenmenschen augenblicklich den Rückzug
in die hinteren Regionen der Kirche an.
Genauer gesagt, sie bringen sich gleich nach Ankunft in Sicherheit und suchen sich einen Platz unter der Empore. Der Pastor braucht dann scharfe Augen und eine kräftige Stimme, um ein Dutzend leere Bänke zu überbrücken. Gelegentlich fängt er dann an zu schmeicheln, die Christenmenschen mögen doch näher an ihn herankommen. Das wäre doch eine viel schönere Gemeinschaft usw. Aber die Christenmenschen schenken der Stimme des Verführers kein Gehör. Das erinnert mich doch sehr an die lehrreiche Geschichte von dem Wolf und den sieben Geißlein. Allerdings achten die Christenmenschen darauf, daß der Pastor nicht ganz alleine da vorne stehen muß. Deshalb setzen sie ihm meistens ein halbes Dutzend Konfirmanden in die erste Reihe. Oder soll ich besser sagen, sie werfen ihm ein paar minderjährige Knaben und Mädchen zum Fraß vor, damit die anderen um so sicherer in Deckung bleiben können.
Kurz und gut, dies eigenartige Distanzverhalten der Christenmenschen gegenüber Pastoren in Amtstracht hat mich schon lange beschäftigt, ohne daß ich es wirklich zu ergründen vermochte. Jetzt endlich hat mir ein Traum die Lösung beschert. Mir träumte‚ ich erlebe den Gottesdienst bei uns in der Zionskirche. Und plötzlich verwandelt sich mein lieber Pastor Jochen in Cäsar, den gefürchteten Metzgerskater‚ der eine ganze Reihe meiner Vorfahren gefressen hat. Ich selber habe diesen Cäsar gottlob nicht mehr erleben müssen‚ weil meine Familie nun schon in der 19. Generation als Kirchenmäuse dient, aber die wahren Geschichten von dem schrecklichen Cäsar sind getreulich von einer Generation auf die nächste überliefert worden. Ich sehe ihn also lebhaft vor mir. Erschreckend groß, pechschwarz, mit mächtigen prallenbewehrten Franken und dem charakteristischen weißen Kehlfleck. Muß ich noch mehr sagen? Ich vermute, irgendwo in ihrer Vergangenheit oder in ihrer Seele haben die Christenmenschen auch so einen schrecklichen Kater Cäsar‚ und jeder schwarze Pastor mit weißem Kehlfleck erinnert sie daran. Ich habe mich deshalb ’ darangemacht, den schwarzen Kater Cäsar in der Kirchengeschichte zu suchen. Bisher ohne Erfolg. Aber irgendetwas Cäsarartiges muß es da geben. Mir ist sogar schon etwas ganz Verrücktes durch den Kopf gegangen. Sollte es am Ende Christenmenschen geben, die unseren Schöpfer selber für ein Ungeheuer halten, vor dem man sich in acht nehmen muß.
Wäre das wirklich so, dann hätten sie ganz gewiß nicht richtig zugehört, was der Kater, Verzeihung, der Pastor Jochen ihnen zu sagen hat. Der ist übrigens viel gerissener, als man so denkt. Er hat sich jetzt einen Trick einfallen lassen, wie er die Gemeinde garantiert zum Zusammenrücken bringt – wenigstens im Winter. Er läßt in die Zionskirche einfach eine neue Fußbodenheizung einbauen‚ die sich abschnittsweise einschalten läßt. Bei bescheidenem Gottesdienstbesuch wird eben nur vorn geheizt. Und wer die Nähe des Pastors so sehr fürchtet, muß eben frieren.
Ganz schön gerissen, findet Eure Kirchenmaus.