Es muss nicht gerade Mekka sein, die heilige Stadt des Islam. Aber wie wäre es mit Riad, der politischen Hauptstadt des Königreichs Saudi-Arabien? Warum sollte die Gideon-Bruderschaft dort nicht in einem schicken Einkaufszentrum Bibeln verschenken, informationshalber?
Wir wissen: das wäre ein mutwilliger und schneller Weg ins Martyrium. Die Religionspolizei der Königreiches wäre in Windeseile zur Stelle. Kein Botschafter könnte diese Narren mit ein paar Telefongesprächen aus dem Gefängnis loseisen. Jeder Kommentator hierzulande würde außerdem die Torheit solcher Bibelverteiler schelten: da gehen Eiferer auf den frommen Ego-Trip, und andere dürfen dann das zerbrochene Porzellan aufsammeln!
Welch ein Kontrast, wenn Sprecher unserer Kirchen feststellen, dass salafistische Muslime selbstverständlich in unseren Fußgängerzonen in der Woche nach Ostern Ausgaben des Koran verschenken dürfen. Das Grundrecht der Religionsfreiheit ist, wie alle Grundrechte, unteilbar. Auch der besorgte Verfassungsschutz hat nicht bei Gericht angeklopft, um die Bücherkisten beschlagnahmen zu lassen. Die Antwort wäre absehbar gewesen.
So ist den Aktivisten dieser kleinen, leidenschaftlichen muslimischen Konfession gelungen, was Werbeleute vor Neid erblassen lässt: mit einer einfachen, durchschlagenden Idee tagelang auf alle Titelseiten und in die Top-News zu kommen. Wie grandios der Aufmerksamkeits-Bonus ist, macht ein banaler Vergleich deutlich: man stelle sich vor, unsere tüchtigen Bibelgesellschaften versuchten, mit einer solchen Verteilaktion auch nur auf die Lokalseiten der Zeitungen zu kommen. Und das, obwohl – meine muslimischen Mitbürger mögen verzeihen – der Spannungsgehalt biblischer Geschichten von Adam und Eva über Josef in Ägypten, Davids Aufstieg vom Hirtenjungen zum König, bis zur Weihnachtsgeschichte oder dem Einzug Jesu in Jerusalem den Koran blass aussehen lässt. Nein, Bibeln zum Nulltarif, das wäre die absolute Nicht-Nachricht.
Soviel zu Grundrechten und PR-Knüllern. Aber die Bedeutung der heiligen Bücher im Leben der Menschen, im Zusammenleben von Menschen und Völkern erschöpft sich nicht in Imagefragen nach der Art „In“ oder „Out“.
Egal welches heilige Buch mir ans Herz gewachsen ist, ob die jüdische Thora, die christliche Bibel, der Koran, die Überlieferungen der anderen Religionen und Weltanschauungen: am Ende sind wir – wie Jesus sagt – an unseren Früchten zu erkennen. Wieviel Menschlichkeit, Friedfertigkeit, Gerechtigkeitssinn, Respekt vor Schöpfung und Geschöpfen erlernen und praktizieren wir auf jenem Glaubensweg, der unserer geworden ist, sei es durch biografischen Zufall oder bewusste Entscheidung?
Es schüttelt mich vor einer Gesellschaft, wie sie die salafistischen Koranverteiler aus ihrem heiligen Buch herauslesen. Aber Gott-sei-Dank hat die Welt keinen Mangel an Muslimen, die ich gern als Nachbarn willkommen heißen würde, nicht anders als die Mehrheit der ungetauften Deutschen an meinem Wohnort.
Beklemmender als Koran-Missbrauch durch fanatische Muslime finde ich aber das Wissen, für welche Unmenschlichkeiten meine Bibel schon missbraucht worden ist, von Christen, die meinten, unserem Gott damit einen Dienst zu erweisen.
Im übrigen: für Koranverteiler in Magdeburg gilt derselbe Tipp wie für verhinderte Bibelverteiler in Riad: wenn es wirklich um die heiligen Texte geht: schau nach im Netz! Da steht alles drin, Schwarz auf Weiß.