1974: 10.000 DM Monatsumsatz…
Ob unser WELTMARKT, einer der ersten ehrenamtlich betriebenen „Dritte-Welt-Läden“ – so sagte man damals – jemals einen Monatsumsatz von 10.000 DM erreicht hat, weiß ich nicht mehr. Wenn überhaupt, dann in der heißen Startphase um 1974/75. Die Idee „Fairer/Gerechter Handel statt Almosen“ war in Deutsch-West damals so unverbraucht und gerade fernab der Universitäten so populär, dass auch der allererste Dritte-Welt-Laden in einer ausgesprochenen Arbeiterstadt, Herne im Ruhrgebiet, zum Erfolg verurteilt war.
Gestützt auf unser aller Kaffee, Grundbedarf, für die Älteren nach den Zeiten von Krieg und Schwarzmarkt noch umschwebt von einem Sammelsurium heftiger Gefühle;
zugleich Weltmarkt-Lehrstück für schreiende Ungerechtigkeit und eine funktionierende Alternative im globalen Handel;
angereichert mit etwas Tee und Gewürzen und auf Ladenformat aufgestockt mit einem ziemlich unsystematischen und wenig sprechenden kunstgewerblichen Sortiment. In der wilden Zeit reichte das, um mit sympathisierenden Medien und Kirchen im Rücken bis zum absoluten Sättigungsgrad auch nicht zukunftsfähigen Schnickschnack abfließen zu lassen. Lehrzeit für alle: für die produzierenden Gemeinschaften, für die importierenden Handelshäuser, die bis heute aktiv sind, und für uns Graswurzel-Leute. Da sind womöglich auch einmal 10.000.- DM Monatsumsatz zusammen gekommen. Nicht mehr erwähnenswert heute, sehr wohl nennenswert damals, als wir Dritte-Welt-Laden-Betreibenden bei Bundestreffen noch um einen größeren Tisch passten. Unser Umsatz fiel bei den Handelshäusern durchaus ins Gewicht und war eine wichtige Schätzgröße bei der Frage, wohin die Reise des erst sehr viel später so genannten Fairen Handels gehen würde.
Eine Milliarde Euro Jahresumsatz 2014…
lautet das jüngste geschäftliche Fazit des Fairen Handels, der damit auch ein exponentielles Wachstum von beinahe einem Drittel gegenüber dem Vorjahr und Verdoppelung während der letzten drei Jahre rühmt.
Fange ich jetzt an, Äpfel mit Birnen zu vergleichen? Eigentlich ja nicht, denn der faire, tendenziell der öko-faire Handel von heute wird seinen Ursprung in den Basaren und ersten Weltläden der 70er Jahre kaum verleugnen, auch wenn die Manager von heute hin und wieder ein kleiner Kicheranfall überkommen mag. Aber inzwischen ist der Umzug der kaum wiederzuerkennenden Sortimente aus der Inselwelt unserer streng an den wirtschaftlichen Gerechtigkeitsdebatten orientierten Läden in den Kontinent der Supermärkte vollzogen. Er wurde möglich durch das „Navi-System“ der tauglichen unter den Fairhandels-Siegeln. Dieser Umzug hat eine veränderte Wirklichkeit geschaffen.
Unseren möglichen monatlichen Spitzenumsatz von 10.000 DM kann ich zwar, den Wechsel zum Euro berücksichtigt, als einen Krümel ausgeben, der gerade ein/200.000stel des Fairhandels-Umsatzes von 2014 ausmacht. Toll, was aus dem Baby geworden ist! Aber die Sache stimmt hinten und vorne nicht. Die x-tausend Weltläden und gelegentlich verkaufenden Aktionsgruppen, die sich heute im vereinten Vaterland rühren, stehen ungefähr noch für 6-7% der Verkäufe. Das dürfte sehr viel weniger sein als vor der „Siegel-Wende“.
Vor allem, während manche von uns z.B. in Gremien kirchlicher Hilfswerke an der Entwicklung der ersten in der allgemeinen Konsumgesellschaft brauchbaren Fairhandels-Siegel mitarbeiteten, hatten viele unserer Freundinnen und Freunde in den Ladengruppen allergrößte Bedenken, ob der kapitalistische Markt nicht doch mit dem Fairhandels-Bonus Schindluder treiben werde. Das große Ladensterben schien vor der Tür zu stehen. Es ist bekanntlich ausgeblieben – ganz im Gegenteil. Obwohl der Öko-Faire-Handel sein Umsatzplus von mehr als 90% verglichen mit der Zeit vor den Navi-Siegeln ausschließlich dort erzielte, wo man nicht mit dem Kugelschreiber eine Kassenkladde führte, vielerorts auch noch führt, sondern dort, wo Spezialisten die EDV-Abteilungen managen.
(Un-) willkommene Aufgabenteilung?
Was auch am Öko-Fairen Handel Business ist, werden die Laden-Initiativen von heute wohl den Fair-Handelshäusern und den interessierten Handelsketten überlassen müssen. Nur sie können die Marktzugänge ermöglichen, erweitern und vertraglich absichern, die von produzierenden Gemeinschaften gewünscht werden. Die Verpflichtungen, die mit der Lizenzbeantragung für die verschiedenen verlässlichen Fairhandelssiegel verbunden sind, dürften von einem Management, das sich kritisch beobachtet weiß, im Regelfall ernst genommen werden.
Damit zeichnet sich für die Laden- und Aktionsgruppen aber eine Aufgabe ab, die uns Alten vertraut vorkommt. Auch die Heutigen werden 2015ff. weiter mit Waren umgehen. Kaffeetüte, Teepäckchen, Honigglas, ein Spielzeugauto aus Recycling-Blech, all das bleiben wunderbare Gesprächsöffner und Sympathieträger für die, die da gearbeitet haben und auf gerechten Erlös rechnen. Diese attraktive Aufgabe macht bereits eine Dritte Freiwilligen-Generation munter.
Aber die Kernaufgabe dieses weniger umsatzabhängigen Bestandteils der Initiative Öko-Fairer Handel muss es doch wohl sein, die grundsätzlichen Fragen zu stellen und den Kundinnen und Kunden mit auf den Weg zu geben. Etwa, dass der Faire Handel sich nie und nimmer für seine Preisschilder entschuldigen darf, muss mit engelsgleicher Geduld eins um das andere Mal begründet werden – gerade dann, wenn Kunden auf niedrigere Preise gesiegelter Supermarkt-Produkte verweisen, die offensichtlich quer subventioniert sind.
Aufklärung Vertrauensbildung und auch unerlässliche Skepsis im Dschungel von wirklich helfenden bis hin zu grob irreführenden Siegeln, das sollte eine Ladengruppe leisten können. Das kostet die Bereitschaft, ständig lernend am Ball zu bleiben. Das Unwesen der ausbeuterischen Weltmärkte für Spielzeug und Textilien, und was dagegen zu tun ist, sollten z.B. eine Herausforderung für Ladengruppen sein. Alles einst da gewesen! Aber heute braucht es die klaren Worte dringlicher denn je. Und den Mut der Whistleblower, wenn sich im Gebaren mächtiger Lizenznehmer Fragwürdigkeiten oder Schlimmeres auftun.
Mickrige 13 Euro für faire Einkäufe? Stimmt das?
Die vereinten Fair-Händler des Landes haben sich bestimmt nicht auf ihren Taschenrechnern vertippt, als die ihre Umsätze durch die Zahl der potentiellen Käufer geteilt haben. 13 Euro pro Bundesnase und Jahr, das entspricht einem preiswerten Mittagessen im Stammlokal oder einer Kinokarte. Richtig ist auch seit Jahr und Tag, dass diese Pro-Kopf-Umsätze vor allem in der Schweiz, aber auch in den Niederlanden um das Mehrfache höher ausfallen. Insider kennen die ehrenwerten Gründe, nachzulesen in der Pioniergeschichte des Fairen Handels.
Richtig und selbstverständlich bei einem statistischen Mittelwert ist auch, das meine Jahresrechnung, wie die anderer auf „biofair“ abonnierter Kaffeetrinker, allein um das Zehnfache höher ausfällt, als die peinlichen 13.-€. Meine sonstigen Einkäufe mit Fairhandelssiegel machen übers Jahr aber kaum mehr als noch einmal diesen überschaubaren Betrag aus.
Meine und vieler anderer Leute Einkäufe, die mit voller Absicht biofaire Produktionsverhältnisse stützen und fördern wollen, summieren sich aber schnell über das hinaus, was sich unter dem verhältnismäßig kleinen Dach des „Dritte-Welt“-bezogenen Bio-Fairen Handels sammelt.
Unsere Baumwolltextilien tragen Siegel, die mit ökofairen Marktbedingungen südlich der Sahara und in der Türkei zu tun haben.
Die energischen Versuche, auch dem Tourismus ein paar taugliche Orientierungshilfen an die Hand zu geben, haben elementare Bedeutung für die Betroffenen im Süden – egal, was man den bisherigen Zwischenergebnissen halten mag.
In meinem engsten Lebenskreis ist ein „Fairhandy“ aufgetaucht, ein strapaziöser, detailversessener, offensichtlich ernstgemeinter Versuch, das elektronische Lebensmittel Nr.1 auch mit seinen „Dritte-Welt“-bezogenen Fragestellungen beim Schopf zu packen. Die anstrengenden Versuche gehören zur Bilanz, muntern auf, sind ungeheuer wichtig, auch wenn sie noch lange auf Brief und „Siegel“ warten müssen.
Aber der Bogen spannt sich längst weiter
Zwangsläufig machen die bio-fairen Ansprüche und Widersprüche unserer Lebensmittelversorger im Bio-Großladen längst die Mehrzahl unserer Streitgespräche aus. Die billigere Biomilch vom Grossisten, die durch die halbe Republik gereist ist; oder die teurere aus dem gerühmtem Biodorf Brodowin vergleichsweise um die Ecke? Die Biobäcker sind uns längst in Fleisch und Blut übergegangen Beim Bio-Fleischer scheiden sich die Geister Welche Eierlieferanten verdienen die höchste Glaubwürdigkeit, jenseits der Tatsache, dass sie alle „bio“ sind? Na ja und am Obststand treffen wir dann die bio-fairen Bananen wieder, mit denen vor bald 50 Jahren in der Schweiz so ziemlich alles angefangen hat.
Tolpatschiger WELTMARKT-Aktivist der ersten Stunde, finde ich mich heute von vielen einladenden, herausfordernden, überzeugenden Ideen für ein entschlossenes bio-faires Konsumentenverhalten umgeben. Viele, die meisten, gehen über den altvertrauten „Dritte-Welt“- Handel von vor 40 Jahren hinaus. Sie machen die Sache aber rund, ehrlicher, lebbar. Obwohl ich an der natürlichen Grenze meines Kaffeekonsums angekommen bin, werden ich mich also darüber freuen, wenn wir Bundeskonsumenten demnächst 22.- € in den Kassen der traditionellen Bio-Fairhändler lassen.
Aber der Bogen der Möglichkeiten und Herausforderungen spannt sich für alle, die das wollen, längst weiter.