Ich unterstelle mal, dass sich eine Mehrheit meiner Landsleute der Existenz einer Republik Niger gar nicht bewusst ist. Das bedeutende, volk- und konfliktreiche Nigeria steht wie eine gigantische Sichtblende vor dem Sahel- und Saharastaat Niger, benannt nach dem Fluss, gegen den sich Vater Rhein recht bescheiden ausnimmt.
Niger ist Hoflieferant der militärischen und energiepolitischen Atommacht Frankreich. Niger liefert das unentbehrliche Uran. Weltweit das Land mit der höchsten Geburtenrate pro Frau und aktuell mit der miserabelsten Kennzahl für menschenwürdige Entwicklung weltweit. So, das wäre das Niger-Telegramm, nicht zu vergessen die Selbstverständlichkeit, dass wie überall im Sahel die Ergebenheit und die Hoffnungen der meisten Menschen Allah und seinem Propheten gelten.
Und von hier, aus der Sandbüchse Afrikas, kommt die Nachricht, dass der Protest der muslimischen Jugend gegen die Mohammed-Karikatur auf dem Titel der ersten „Charlie Hebdo“- Ausgabe nach den terroristischen Morden Menschenleben gekostet hat, in der Hauptstadt Niamey und an anderen Orten. Große muslimische Mächte, wie der Iran oder Pakistan haben den Protest ebenfalls zugelassen, aber offensichtlich kanalisiert und ohne Blutvergießen durchgezogen. Die Regierung in Niamey behauptet, auch sie hätte das Ihre getan.
Aber dann war die wütende Jugend doch nicht aufzuhalten. Eine oder mehre französische Einrichtungen haben gebrannt – nicht verwunderlich, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass die kraftvollen Bilder aus Paris natürlich auch in den Teestuben und Hütten der Niger-Städte angekommen sind.
Doch das war den Wütenden nicht genug. Kirchen mussten brennen, gleichgültig welcher christlichen Konfession. Noch steht nicht fest, ob und wie viele der Toten in und um die Kirchen herum umgebracht worden sind. Eine Einzelheit der Gewaltbilanz, über die wir nicht eingeschüchtert hinweg sehen sollten, gerade wenn wir die Flamme eines globalen Religionskrieges sofort beim ersten Aufflackern auslöschen wollen.
Für uns Christenmenschen in Deutschland, Niger und überall unter dem Himmel ist die Sache nicht einfach. Religionsverächtern, auch den Mutigen unter ihnen, kann es egal sein, wenn Christen in einem afrikanischen Wüstenstaat die Suppe auslöffeln müssen, die sie ihnen in republikanischer Liberté einbrocken. So werden sie es sehen. Für die große Mehrheit von uns Deutschen sind Kirchen längst keine Orte innerer Beheimatung mehr; eher erhaltenswerte Museumsstücke, so wie raffiniertes Handwerkszeug aus dem 17. Jahrhundert im Zeitalter des Computerdesigns.
Ein paar abgefackelte Kirchen in Afrika, baulich eher an Großgaragen erinnernd denn an den Dom zu Trier, das ist ärgerlich. Aber wir wollen die Sache im Interesse der guten Nachbarschaft mit unseren Muslimen mal nicht zu hoch hängen! Unsere politischen Klassensprecher werden diese Gelassenheit erleichtert zur Kenntnis nehmen. Umso einfacher lässt sich energischer Protest gegen brennende Kirchen unter Pegida-Mentalität fakturieren.
Seit dieses Jahrhundert währt, fällt es mir immer wieder auf, dass horrende Bluttaten an Christinnen und Christen und Zerstörungswut gegenüber ihrem oft uralten kulturellen Erbe, z.B. in Ägypten, im Irak, in Nigeria, in Pakistan, in Syrien und sonstwo von unserem Wahlvolk mit gleichbleibender Abgeklärtheit zur Kenntnis genommen werden.
Daran gibt es nichts anzuklagen. Denn das Mitleid für Opfergruppen anderer Prägung hält sich in denselben engen Grenzen, solange nicht der Nerv unserer Lebensart getroffen ist. Nur von der Illusion, dass verfolgte Christen in der deutschen Öffentlichkeit auf erhöhte Solidaritäts-Reflexe rechnen könnten, müssen wir uns definitiv verabschieden. Das Christentum gehört in manchen Situationen des Zeitgeschehens, wie es scheint, kaum mehr zu Deutschland als der Islam.
Christenmenschen, die sich nicht einem Traditionsverein, sondern einer vorwärts gewandten Menschheitsinitiative zugehörig fühlen, müssen wissen, dass wir füreinander in Haftung genommen werden; dass vor allen anderen wir selbst füreinander einstehen müssen. Nur für uns selbst gilt die Maßgabe „Einer trage des anderen Last!“ Und nur wir selbst können die Mittel und Wege für diese arteigene Solidarität auswählen: die Mittel des Friedens, weil Christus unser Friede ist. Damit diese urchristliche Solidarität klappt, gehören Nachrichten wie die von den Rache-Brandstiftungen im Niger aber auch in unsere Gottesdienste und nicht nur in die Akten unserer Kirchenämter.
Was ich als Christ gern den jungen Brandstiftern in Niamey erzählen würde? Wie ich vor langen Jahren an Grundsatzdiskussionen teilgenommen habe, ob wir im muslimischen Niger einheimische Kleinbauern, Muslime natürlich, mit deutschem Kirchengeld unterstützen sollten. Kleinbäuerinnen und Handwerker sollten davon profitieren. „Brot für die Welt“ auch für Muslime, die Muslime bleiben wollen? Aber sicher doch. Ich hoffe, Niger bleibt ein Land, in dem dergleichen möglich ist.