Wann sind die dicksten, die gewinnträchtigsten Geschäfte der Wirtschaftsgeschichte eingefädelt worden? Als Bill Gates die Sache mit Microsoft ins Rollen brachte? Als Apple die Börse stürmte? Von Klitschen wie Siemens oder VW wollen wir, wenn es um die Frage nach dem Superprofit geht, gar nicht erst reden!
Ich fürchte, auch ein aktueller Börsenwert von 60 oder 100 Milliarden Euro garantiert noch nicht den Siegerpokal der Kapitalismus-Geschichte. Daran erinnert mich ein Jahrestag, der es kaum in die Mainstream-Medien geschafft hat: vor 130 Jahren, Ende Februar 1885, ging in Berlin die sog. Kongo-Konferenz zu Ende. Sie wurde seither für vier Generationen Afrikaner zum Schicksal, ohne dass sie überhaupt mit am Tisch gesessen hätten.
Reichskanzler Bismarck sammelte damals Good-Will-Punkte für sein neues Deutschland. Selbst wenig an kolonialen Erwerbungen interessiert, makelte er den Interessenausgleich zwischen einem Rudel europäischer Kolonialmächte, zuzüglich USA und des Sultans Türkei.
Viele der schnurgeraden und rechtwinkeligen Grenzen des afrikanischen Kontinents sind in Berlin in die Karten gezeichnet worden: ein unerschöpfliches Reservoir an Konfliktsaatgut zwischen den unabhängigen Staaten Afrikas im letzten halben Jahrhundert – auch wenn die Afrikaner zu Zeiten der Unabhängigkeitserklärungen eigentlich überein gekommen waren, die in ahnungsloser Arroganz gezogenen Grenzen der Kolonialmächte auf sich beruhen zu lassen.
Der dickste Fisch allerdings, der in Berlin zu verteilen war, machte dem Eisernen Kanzler und seinen Gästen Kopfzerbrechen: das riesige waldbedeckte Kongobecken. Mit kontinentalen Ausmaßen, noch so gut wie unerforscht, geschweige denn zur Ausbeutung erschlossen. Aber was man wusste, das reichte, um unermessliche Reichtümer zu vermuten.
Der perfekte Zankapfel für die Großen, um nur England und Frankreich zu nennen. Was tut man, damit die Großkopferten am Ende nicht mit den Säbeln rasseln? Dann bekommt eben keiner von ihnen die Beute! Man bedenkt einvernehmlich einen Kleinen, dessen machtpolitische Harmlosigkeit allerseits bekannt ist.
Leopold II, König der Belgier, hatte sich beharrlich in diesem Kostüm präsentiert. Sein Königreich war damals noch deutlich jünger als unsere Bundesrepublik Deutschland heute. Und es verdankte seine Existenz einem Interessenausgleich der größeren Mächte. Das Königshaus selbst war Importware aus Deutschland. Aber das war seinerzeit ein übliches Verfahren.
Zum Kandidaten für das profitabelste Geschäft aller Zeiten wurde Leopold II durch politische Abmachungen im Gefolge der Berliner Kongo-Konferenz. Sie machten das Kongobecken, de facto und einmalig in der Geschichte, zum Privatbesitz des Königs.
Die persönliche Verfügungsgewalt über Mensch und Natur in seinem privaten Riesenreich machte Leopold zu einem der Unholde der Wirtschafts-und Kolonialgeschichte zugleich. „Kongogreuel“ war das Schlüsselwort weltweiter Anklagen schon lange vor dem Ersten Weltkrieg. Denn die Ausbeutung von Leopolds Privat-Afrika gründete unerschütterlich auf Zwangsarbeit, Rechtlosigkeit, Willkür, Folter. Was heute die Horrorvideos von Terroristenbanden sind, das waren zu Zeiten unserer Urgroßeltern die schwarz-weiß Fotos der Armstümpfe von Kongoanwohnern. Sie hatten irgendwelche Ablieferquoten an begehrten Waldprodukten nicht erfüllt. Das kostete sie ihre Hände. Denn ihre Nachlässigkeit sollte nicht Schule machen.
Die pure Ausbeutungsökonomie von Leopolds Agenten hat sich am Ende nicht gerechnet, politisch nicht und auch nicht auf den Konten des Königshauses. Der belgische Staat musste die irre Firma am Ende übernehmen – bis zur Holterdipolter-Unabhängigkeit des Kongo 1960.
Microsoft und Apple haben da ihre Schäfchen bisher wohl erfolgreicher ins Trockene gebracht.
Aber die pure Vorstellung: ein weniger in Vorurteilen gefangener, im umfassenden Sinn an Soll und Haben interessierter „Eigentümer“, dem das unermessliche Kongobecken für ein halbes Jahrhundert als Betriebsvermögen zur Verfügung gestanden hätte: was für eine Bilanz hätte das werden können? Wer alles hätte von ihr profitieren können und müssen?
Müßig und unhistorisch! Stattdessen beschleicht mich angesichts der mit Kriegsverbrechen vollgestopften Kongo-Kriege der letzten 30 Jahre – zusammen gesehen unter dem Begriff „Afrikas Erster Weltkrieg“ – die andere Frage:
sind da noch Vergiftungen wirksam, enthemmte Bereitschaft zu Gräueltaten an Frauen und Mädchen, zu Massenmorden, Kindesmissbrauch durch Kriegsdienst, unbeschreibliche Folterpraktiken; Giftstoffe, die Leopolds Banditen in weißer Weste damals an die Ufer des Kongo gebracht haben; die nie wirklich betrauert, überwunden, bewältigt worden sind?
Nein, das ist keine Behauptung, aber eine Frage, die ich mir nach vielen Begegnungen und Geschichten einfach stellen muss.
Der gemäß Zeitzeugen wahrlich nicht unsensible Machtpolitiker Otto von Bismarck wird als Rentner in Friedrichsruh womöglich auf seinen Deal zugunsten des Verbrecherkönigs Leopold nicht mehr stolz gewesen sein.