Eher ertrinken als weichen: Menschen gegen Staudämme

Fastenaktion 2013, 14. März

Meine persönlichen Erlebnisse mit Staudämmen sind eher idyllisch: so erinnere ich mich dunkel an den Job als Reisebegleiter einer großen Gruppe älterer Damen zur Möhne-Talsperre am Rand des Ruhrgebietes. Spaziergang an den Ufern in der Frühlingssonne, Kaffee und Kuchen im Ausflugslokal, all diese bescheidenen Freuden von Anno dazumal.

Ob ich die Frauen im Bus oder vor Ort an die Nacht vom 16. auf den 17. Mai 1943 erinnert habe, weiß ich nicht mehr. Eher höchstens beiläufig. Denn damals lag der Bombenkrieg gerade 25 Jahre zurück. Man sprach ungern darüber. Und die Zerstörung der Möhnesee-Sperrmauer durch eine Spezialbombe mit der anschließenden Flutwelle bis nach Essen war den Menschen im Ruhrgebiet in schrecklicher Erinnerung. Die meisten der jämmerlich Ertrunkenen waren Kriegsgefangene gewesen. Das nahm den Ängsten vor dem Ersaufen – furchtbare Alternative zum Tod unter zerbombten Häusern – aber nichts von seinem Schrecken.

Die Zerstörung des Möhne-Staudamms ist im Luftkrieg gegen Deutschland ein Einzelfall geblieben. Auslöser und Schauplatz menschlichen Leids sind Staudämme, genauer gesagt geplante Großstaudämme heute aber mehr denn je. Ob in China, Indien, der Türkei, Brasilien oder x anderen Staaten: Mächtige in Regierung und Wirtschaft verfallen bei der Suche nach der Energie für ihre Wachstumsträume recht regelmäßig auf den einen Super-Milliardencoup, der ihre Gelüste ein für allemal befriedigt. Da gibt es diesen großen Fluss, dieses Flusssystem. Das ließe sich doch mit reichlich Beton zähmen und zum nationalen Stromlieferanten machen. Auch der Kleinste unter diesen geplanten Riesenseen lässt den Möhnesee mit seinen 10 qkm wie eine Pfütze aussehen.

Ganze Regionen, Provinzen verwandeln sich in den Planungsbüros in Wasserflächen. Einmal ist es altes Bauernland, ein anderes Mal droht Weltkulturerbe im Wasser zu verschwinden, dann wieder ein riesiges Waldgebiet mitsamt Tieren und Menschen. Oder auch eine Kette von Lebensräumen, die einem ganzen System von Staudämmen geopfert werden sollen. Die Menschen, die weichen müssen, zählen nach Millionen. Sie sind so gut wie nie Nutznießer der in Aussicht stehenden Energie. Sie werden so gut wie nie so entschädigt, wie wir das allenfalls gelten lassen würden. Weder, was die Rechtsstaatlichkeit der Verfahren, noch was Höhe und Art von Entschädigungen betrifft. Staudamm-Großbaustellen sind sichere Arbeitsplätze für bewaffnete Befehlsempfänger unterschiedlicher Couleur, vom Soldaten, Militär-Polizisten, Polizisten bis zum käuflichen Banditen. Ökologische Unbedenklichkeitsstudien bestehen – unvermeidlich – im wesentlichen aus Phrasen.

Sicher, die Mammutprojekte kosten! Aber Geldgeber finden sich, national, multinational oder auch in Zusammenarbeit mit Partnerländern, die industriefreundliche Großprojekte mögen. Deutschland hat bewiesen, dass es auf Großstaudämme abfährt. Kritische Fachleute versuchen immer wieder, verhängnisvolle Bewilligungen deutscher Steuergelder oder Bürgschaften zu verhindern.

Heute am internationalen Aktionstag gegen schädliche Großstaudamm-Projekte kommen mir manche Berichte von der verzweifelten Entschlossenheit der Staudamm-Opfer in Erinnerung. Mehr als eine Dorfgemeinschaft hat ihre Regierung schon wissen lassen, dass man eher in den Fluten ertrinken werde, als Existenzgrundlage und Heimat aufzugeben. So geschehen in Indien. Mehr kann mensch nicht riskieren!

Türkische Bauern reden seit Jahren speziell der deutschen Politik ins Gewissen. Deutsche Bürgschaften für einen Riesenstaudamm im Südosten des Landes könnten für sie das Aus bedeuten. Was das chinesische Mega-Staudammsystem, bei uns bekannt unter dem wild-romantischen Namen „Vier-Schluchten-Staudamm“ an Leid über die Anwohner bringt, hält die Zensur so total wie möglich unter Verschluss. „Belo Monte“ im brasilianischen Amazonien, mit einer Staufläche wie dem Bodensee oder 50 Möhneseen, wird kleinen Indianervölkern die Lebensgrundlage entziehen.

Die lebensfreundliche Alternative liegt auf der Hand. Sie ist längst viel tausendfach vorhanden. Kleinwasserkraftanlagen, die den Menschen ihrer Umgebung nützen und von ihnen unterhalten werden können. Technologie, die den Menschen dient, statt sie zu Millionen zu entwurzeln. Technologie, die sich in natürliche Lebensräume einfügt, statt sie zu fressen.

Wir dürfen nicht länger durch Wegschauen riskieren, dass unser Geld und unsere Politik Beihilfe leistet zu einem unmenschlichen Modell von Entwicklung und Fortschritt.

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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