Mit dem Absender „Rom“ sind schon etliche wirkungsmächtige Signale in meinem Leben angekommen: die „Römischen Verträge“ von 1957 haben aus einem deutschen Kriegskind nach und nach einen kritisch-loyalen EU-Bürger gemacht. Das 2. Vatikanische Konzil ab 1962 war nicht nur für die Kirche Roms ein Ruf zur Erneuerung. Der „Club of Rome“ hat die „Grenzen des Wachstums“ 1972 für die Restlaufzeit der Menschheit zur Herausforderung gemacht.
Jetzt versuchen es 170 Regierungen von UN-Mitgliedsstaaten abermals mit der Magie der historischen abendländischen Metropole. Eine „Erklärung von Rom“ soll zum Fanal im Kampf gegen die Menschenrechtsverletzung schlechthin, den von Menschen gemachten Hunger, aufgeblasen werden. Ich fürchte, das politische Fluidum des Namens Rom ist selten für eine elendere Mogelpackung in Anspruch genommen worden. Europa-Verträge, Konzil und Club waren, allen Stolpereien zum Trotz, wirkliche Highlights mit einer beschreibbaren Wirkungsgeschichte, verglichen mit den Unverbindlichkeiten, die da am Buß- und Bettag 2014 aus der urbs (Stadt) in den orbis (Erdkreis) geblasen werden.
Klima-Roulette; neokolonialistischer Landraub; Nahrungsmittelspekulation, das beliebte Glücksspiel mit massenhafter Todesfolge; globale Fastfood-Mast des Homo sapiens; Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft in Weltmarkt-Industrien, bis zum Geht-nicht-mehr: keiner dieser Hungermacher wird von den 170 mit ihrer „Erklärung von Rom“ verbindlich und nachprüfbar an die Kandare genommen.
Nicht allein, weil die da oben nicht wollten, sondern mehr noch die da unten – diejenigen unter ihnen, die genau wissen, dass sie etwas zu verlieren haben, also wir. Uns droht beileibe nicht Verlust von Leib und Leben, aber sehr wohl der unseres Lebensstils, der immer von Neuem geboren wird, wenn „Geiz ist geil“ und „anything goes“ sich paaren.
Dabei wissen wir seit Jahrzehnten, dass wir nicht beides haben können: eine im 22. Jahrhundert mit Lebensfreude bewohnbare Erde und die Fortsetzung der angesagten Drei-Affen-Mentalität.
Nein, eine Erklärung, deren glitschige Unverbindlichkeit schon vor Konferenzbeginn festgezurrt war, kann mich nicht in die Pflicht nehmen – wenn ich nicht auf anderem Wege längst mobil gemacht worden wäre.
Also ab in den Schredder der Zeitgeschichte, wo schon die hilflosen Deklarationen einer ganzen Latte von Klimakonferenzen gelandet sind? Es wird wohl darauf hinaus laufen.
Vorher habe ich mir nur schnell noch ein paar Stichworte heraus gezupft, wie das Karnickel, das aus dem angewelkten Grünfutterklumpen die paar Blättchen Löwenzahn auswählt und den Rest liegen lässt. Heraus gezupft habe ich mir die Adresse des Papstes an die Konferenz. Sie gehört nicht zu der substanzarmen Erklärung. Aber Mitstreiter Franziskus leiht der Menschenrechts-Community ohne Wenn und Aber seinen Amtsbonus. So macht er auch für autoritätsgläubige Zeitgenossen zitierbar, was wir seit Jahr und Tag zum Menschenrecht auf Nahrung sagen und fordern.
Und dann finde ich da noch zwei weitere Löwenzahn-Blättchen: in Rom ist der Teufelskreis der Fastfood-Ökonomie vom Feindbild für Veggies zum Menschheitsproblem befördert worden; einstweilen nur verbal, aber immerhin! Und – einstweilen auch nur verbal – scheint ein wenig Bewegung in die Diagnose des Welthunger-Unrechts zu kommen: seit die Statistiker darauf bestehen, dass seit zwei Jahren weniger als eine Milliarde Menschen hoffnungslos hungern, taucht die neue Kategorie der Unter-, Mangel- und Fehlernährten in Statistiken, Pressemeldungen und UN-Dokumenten auf.
Die hat es immer schon gegeben, die Menschen, die mit der Sorge um Beschaffung und Finanzierung ihrer Mahlzeiten aufstehen und schlafen gehen; die Mütter und Väter, deren Rupies, Shillings oder Soles immer schon ziemlich restlos dafür drauf gingen. Alles, was mit weniger als zwei Euro Tagelohn nach Hause kommt, spielt zwangsläufig mit in dieser Ernährungslotterie. Da reden wir dann nicht mehr von 12 oder 15% längst Abgeschriebener, sondern von kaum weniger als der Hälfte unserer Zeitgenossinnen. Da braucht der Dörrofen des Klimawandels oder eine der anderen Stellschrauben der globalen Ernährungssicherheit nur wenig in die falsche Richtung gedreht werden, und unsere Insel der seligen Konsumenten war die längste Zeit eine solche.
Ja, wenn wir uns einigen könnten auf eine lebensnahe Betrachtung der Überlebenskämpfe von Menschen, die essen und trinken müssen; wenn wir mit in Blick nehmen, was vor dem nackten Hunger kommt; was Menschen in dieser Lage brauchen an Rechten und Ressourcen, dann hätte die unverbindliche Erklärung von Rom doch noch einen Erinnerungswert.