Meine Karriere als Krippenspiel-Regisseur währte alles in allem vielleicht zwanzig Jahre, in wechselnden Häusern, pardon, Kirchen. Die laienkünstlerische Aufgabe habe ich mir mit tausenden Kolleginnen und Kollegen aus den kirchen-typischen Berufen geteilt. Denn das Krippenspiel am Heiligabend muss sein, landauf, landab. Das klassische Drehbuch, zusammen gemixt aus den Überlieferungen der Autoren Lukas und Matthäus, ist bekanntermaßen aufgepeppt durch einige beigezogene Elemente aus dem Alten Testament – z.B. Ochs und Esel – und aus der mitfühlenden Volksfrömmigkeit. Und das ist gut so.
Nur deshalb gibt es in der klassischen Szene „Herbergssuche“ den polternden geldgeilen Wirt, der dem werdenden Elternpaar ein ordentliches Zimmer verwehrt und sie schließlich in den Verschlag für´s Vieh schickt. Ich war dankbar dafür, dass es diese Rolle gab. Denn in jeder Kinder- oder Konfirmandengruppe fand sich ein Junge, der diesen Poltergeist gut und gerne geben konnte, als Joseph aber fehl besetzt und als fünfter Hirte unterfordert gewesen wäre.
Ich bin mir ziemlich sicher: in der Vorweihnachtszeit 2014 ist an dieser volkstümlichen Krippenspielrolle vielerorts gründlicher gearbeitet worden als üblich.
Denn mindestens die erwachsenen Krippenspiel-Zuschauer-innen sitzen in den Heiligabend-Gottesdiensten im Bewusstsein, dass sich heute in Deutschland mehr arme Teufel auf Herbergssuche befinden denn je in diesem Jahrhundert. Kriegs- und Elendsflüchtlinge, hochschwangere Frauen inklusive, klopfen an die Türen dieses Gemeinwesens und bitten um Schutz und Brot.
Und unter denen, die Weihnachten 2014 mit ihren Demos gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ eingeläutet haben, sind womöglich ein paar tausend, die ganz gerne mal den Klartext redenden Wirt gegeben hätten. Das Absingen christlicher Weihnachtslieder bei der finalen Vorweihnachts-Demo in Dresden spricht nicht dagegen. Kirchenlieder sind geduldig, besonders, wenn sie auf deutsch gesungen werden. Unsere Kirchen- und Nationalgeschichte im 20. Jahrhundert liefert schlimmes Beweismaterial.
Der Wirt vom Erwachsenen-Krippenspiel 2014, insbesondere der, der scharf auf Rolle ist, wird ohne ein paar Regieanweisungen nicht zurecht kommen. Man wird ihm sagen müssen, dass er im Regelfall nicht auf Fremde, sondern immer öfter auf Landsleute eindrischt, wenn er Muslime auf dem Kieker hat. Selbst wenn da ein Mustafa straffällig wird, so wie Kevin im Nachbarhaus: der Junge ist in Gelsenkirchen geboren und so was von Deutscher, mehr geht nicht. Sein Pass macht alle Wegscheuchversuche des PEGIDA-Wirtes zur verlorenen Liebesmüh.
Und dann: der Wirt soll aufpassen, dass er nicht aus lauter Minderwertigkeitsgefühl ausrastet. Für das gedeihliche Miteinander mit Muslimen braucht es Christen. In Dresden sollte es eigentlich – und tatsächlich – bei 0,1 % Muslimen ein paar mehr aus der Botschaft Jesu schöpfende Christinnen und Christen geben. Die Weltkinder dürfen sich aus diesem Wettbewerb um die Herzen gerne etwas raushalten und ihre Bürgerrechte genießen. Auf jeden Fall sollen sie uns mit dem „christlich-jüdischen“ Abendland verschonen. Von dessen Lebensregeln verstehen sie offensichtlich nichts.
Bleibt die Sache mit der Unterbringung tatsächlicher Neuankömmlinge. Da hat es der PEGIDA-Wirt etwas schwerer als sein Kollege im traditionellen Krippenspiel. Der kann sein „Nein“ lautstark durch den Altarraum brüllen: kein Geld, kein Zimmer. Der deutsche Bürger als Wirt von 2014 hat es mit Menschen zu tun, die einen politischen Quartierschein in Händen halten – und seien sie noch so eingeschüchtert; ausgestellt vom Management der EU-Flüchtlingspolitik, wahrhaftig nicht zu Ungunsten Deutschlands. Der Wirt kann pöbeln, mosern – er wird sich bequemen müssen.
Auch 2014 wird der eine oder andere „Stall“ als Erstaufnahmeeinrichtung dabei herauskommen. Die Betroffenen werden nach allem, was war, auch damit zu leben wissen. Wenn es nicht die Endstation bleibt. Und wenn sie in diesem Stall Besuch bekommen, wie seinerzeit in Bethlehem.