Unsere christlichen Vorfahren hatten es offensichtlich ganz dick hinter den Ohren! Verbindliche Fastenzeiten gab es ja reichlich, einschließlich aller Freitage. Da waren alle Jahre weit mehr als hundert Veggie-Days angesagt. Dem armen Volk wird das allerdings kaum aufgefallen sein. Die waren sowie so mehr oder weniger auf ihren Hirsebrei abonniert. Schmalhans war halt Küchenmeister.
Aber die etwas besser gestellten Damen und Herren, auch die des geistlichen Standes, die hatten kulinarisch schon etwas zu verlieren. Ein gut sortiertes Kunstmuseum zeigt uns noch heute die Bilder von den Tafelfreuden der gehobenen Stände.
Und dann kommt unweigerlich Aschermittwoch. Schluss mit Hasenbraten, Kapaun und Spanferkel!
Ab jetzt nur Kraut, Brei – und Fisch! Ob aus der klösterlichen Teichwirtschaft oder einem nicht zu fernen Fluss, in Reichweite der Küsten auch aus dem Meer: für jeden Geschmack und die vielfältigsten Zubereitungen war etwas dabei. Die Eiweißversorgung der christlichen Oberschicht in den Wochen vor Golgatha war sicher gestellt. Die Hanse, die EU ihrer Zeit, ist unter anderem durch den Salzhering zur wirtschaftlichen Großmacht geworden.
Und ich wüsste gern: hat es wirklich an damals noch mangelnder naturwissenschaftlicher Einsicht gelegen, dass unsere Vorfahren die grundsätzliche Gleichartigkeit des Muskelfleisches von Fischen und Landtieren nicht erkannt haben? Oder kamen ihnen die verschiedenen Lebensräume der Fleischlieferanten einfach gelegen, um sich ihre Filets, diesmal vom Edelfisch, auch zwischen Aschermittwoch und Karsamstag zu sichern?
Den Freitags- und den Karfreitagfisch als Demonstration christlichen Lebensstils umweht ein ganz leichtes Lüftchen der Heuchelei, angesichts dessen, was eine clevere Hausfrau sogar aus einem simplen Matjes heraus kitzeln kann.
Zusätzlich ruft mich vor Beginn der Passionszeit, alias Fastenzeit 2014 die Aktion BROT FÜR DIE WELT zur Ordnung. Grundsätzlich bin ich geneigt, auf diese Leute zu hören. Denn sie haben schließlich das Ohr an den Sorgen und Beschwerden der Zeitgenossen, die vom und für den Fisch leben: die handwerklichen, traditionellen Fischer an den Küsten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Die haben bisher sich selbst und Abermillionen bescheidener Landsleute mit Proteinen aus dem Meer versorgt; ohne die Bestände zu überfischen und den Nachwuchs zu ruinieren.
Seit mindestens zwanzig Jahren aber war BROT FÜR DIE WELT eine der Adressen, bei denen Fischerorganisationen Klage geführt haben über die ruinöse Konkurrenz der Großtrawler und Fabrikschiffe aus unserem Teil der Welt. Zugrunde liegen im Regelfall Verträge zwischen der Regierung in der fernen Hauptstadt und einer Industrienation, die ihre Fischmärkte nicht mehr aus den angestammten Meeren bedienen kann. Gefischt wird mit industriellen Brutalo-Methoden, die ungeheuren Wegwerf-Beifang produzieren und Fischgründe physisch zerstören. Ich weiß von Schleppnetzen, unter denen mühelos eine Großstadt Platz findet.
An westafrikanischen Küsten konnte ich dann auch vor wenigen Jahren ganze Flottillen hübscher, aber offensichtlich längere Zeit nicht mehr klar gemachter Fischerboote sehen. Ein Teil der jungen Besatzungen wird sich inzwischen auf den Weg nach Europa gemacht haben. Und wenn sie nicht ertrunken sind, dann kraxeln sie irgend wo zwischen Lampedusa und Leipzig.
Die räuberischen Fabrikschiffe haben ihre zwanzig Jahre gehabt. Vielleicht haben sie noch weitere zehn, bis die Meeresökologie definitiv kollabiert.
Aber dann steht ja schon die Aquakultur bereit. Immer mehr Speisefischarten folgen dem Lachs und dem Pangasius auf dem Weg vom frei lebenden Fisch zum absurden Haustier in Turbomast.
Egal ob es um eine Mangroven-Brackwasserküste, um mit riesigen Netzen abgesperrte Meerwasserbuchten oder um einen Fluss wie z.B. den Mekong in Vietnam handelt: am Ende kommen Abscheulichkeiten heraus, die fatal an Enthüllungsreportagen aus den Ställen der industriellen Tierproduktion erinnern. Fragile Ökosysteme brechen zusammen, Gewässer verpesten, Schulden explodieren; Mitarbeiter werden ausgebeutet und gefeuert.
Die industrielle Aquakultur kann nie und nimmer der Fischlieferant von morgen sein, lautet eine aktuelle Botschaft von BROT FÜR DIE WELT zur Fastenzeit 2014.
Was bleibt, außer dem Hinweis auf die Ware der traditionellen Fischzüchter zwischen Küste und Alpen, vergleichbar der bäuerlichen Landwirtschaft?
Wahrscheinlich ist es Zeit für ein Fischfasten ohne Fisch, aber mit ein paar Gesprächen über die Lebensrechte von Fischen und Fischern.