Na klar, mit über siebzig gehöre ich zur „Generation Sonntagsbraten“. Der gehörte zu den Sonntagen meiner Kindheit nach 1945 wie Kirchgang und saubere Hemden. Weder das Wirtschaftsgeld der Mutter noch das Angebot des Dorfmetzgers hätten Fleischgerichte als nahezu tagtäglichen Regelfall ermöglicht. Umso genießerischer, lustvoller waren die Duft-Vorspiele in der Küche am späten Sonntagvormittag, das feierliche Servieren, Aufschneiden durch das Familienoberhaupt persönlich, Luchs-Augen bei der Zuteilung an uns Geschwister, Portionierung der Bratenhappen in Balance mit Kartoffeln und Rotkohl – mit einem Bratenhäppchen zum guten Schluss.
Mein Elternhaus war wahrlich kein Kinderparadies. Aber der Sonntagsbraten gehörte zu den Attraktionen, die hängengeblieben sind. Mit etwas Erinnerungsarbeit kommen hinter dem sozial-kulinarischen Event „Sonntagsbraten“ eine ganze Reihe Alltagsgerichte zum Vorschein, die man heute vegetarisch, vielleicht sogar alternativ nennen würde. Damals waren sie einfach nur naheliegend und nötig.
Was danach kam, war seit Studententagen bis an die Grenze zum Rentenalter die sozialgeschichtlich ziemlich einmalige „Fleischfresser“-Karriere des deutschen Durchschnittsmannes; womöglich sogar um einiges über der statistischen Mittellinie, wenn ich mein Jahrzehnte durchgehaltenes Übergewicht ernst nehmen will.
Noch banaler, noch alltäglicher als bei Autokauf und Urlaubsbuchung hat sich der Anteil der kleinen Leute am Wirtschaftswachstum manifestiert im allezeit verfügbaren Kleingeld für den Umstieg des homo sapiens vom Omnivoren (Allesfresser) zum Carnivoren (Fleischfresser). Dabei waren wir beides: Nutznießer, – wenn es denn ein Nutzen war -, und nützliche Idioten für die Marketing-Strategen der Fleischindustrie.
Der Chor der Unheilsboten vereint heute viele: Ärzte, Tierschützerinnen, Menschenrechtler, Biologinnen, Ökologen, Friedensforscher, Klimaaktivistinnen, Gichtkranke, Christinnen, Vegetarier sowieso: die globale Fleischindustrie ist längst entlarvt als Irrweg, Unrecht, globale Gefahrenquelle, Menschheitsfalle. Ein Hochrisiko aus derselben Liga wie Verkehrsabgase, Weltwasserkrise, Waffenhandel, Ackerbodenraub und einige mehr.
Wer sollte auf dem Weg der Umkehr zu Vernunft und Tragbarkeit vorneweg gehen, wenn nicht wir, die Alten, die noch das Vergnügen des Sonntagsbratens kennengelernt haben; das Vergnügen, eben weil er der Sonntagsbraten war? Was ich da in den letzten, sagen wir fünfzehn, Jahren zurückgewonnen habe, als Konsument und Esser, es hat sich gelohnt. Die Biobauern haben einen zuverlässigen Stammkunden gewonnen.
Aber Fleischkonsum ist ja nicht allein Privatsache, ebenso wenig wenig wie Energie-Konsum. Darum sitzt mir eine aktuelle Meldung im Gedächtnis, wie die Klette an der Jogginghose. Eine schwedische Regierungsbehörde schlägt die EU-weite Einführung einer Klimasteuer auf industriell erzeugtes Fleisch vor. Das Ziel: Verbrauch senken durch spürbare Verteuerung. Das Ganze ist offensichtlich erst mal ein Versuchsballon. Wütende Proteste stehen ins Haus, von der Großindustrie bis zur Würstchenbuden-Kundschaft.
Aber unsere „Generation Sonntagsbraten“ kann sicher glaubwürdig dazu beitragen, dass ein scheinbares Schreckgespenst seinen Schrecken verliert – und wir alle am Ende Zukunft gewinnen.