Gutes Schnäppchen-Gefühl

 

Der weltenbummelnde Wissenschaftler fragt bei meiner Frau nach: ob er mir wohl einige einwandfreie, gut gepflegte Oberhemden überlassen könne? Hin und wieder unser Gast, hat der Mittvierziger einen leibhaftigen Eindruck von meinen Maßen und unserem Konsumverhalten. Fragen kostet nichts und meine Frau ist diskret. Beiläufig gibt sie die Frage an mich weiter, etwa in dieser Tonart: „Du hast doch sich nichts dagegen, wenn der A. dir ein paar prima Hemden schickt?“ Habe ich nicht. Ich zweifle nur daran, dass der Mann die Zeit finden wird, den Vorgang tatsächlich abzuwickeln. Aber keine Woche später kommt bei uns ein dickes Postpaket an, voll mit prima Oberhemden, jedes von einem Wäschereiservice gebügelt und einzeln verpackt.

 

Die Etiketten innen am Kragen erzählen kleine Geschichten: bei diesen beiden hier muss der Spender gerade zu einer Konferenz in die USA gehetzt sein. „Made in Indonesia“, so was liegt eigentlich nicht in deutschen Kaufhäusern. Wahrscheinlich hat er öfter mal in Chicago und anderswo in Eile nachgekauft, was in seinem Koffer gerade fehlte. So hat sich dann allmählich Verstopfung im heimischen Kleiderschrank eingestellt. Ich bin jetzt der Nutznießer. Alles im allem nenne ich nun beinahe ein Dutzend nicht verschlissener Oberhemden, von weiß bis zu einem vitalen Burgunderrot, dass angeblich meinen weißen Resthaaren schmeichelt, mein eigen. Das hatte ich noch nie! Ich muss nur aufpassen, dass ich meiner Frau jetzt nicht in einem Anfall von Eitelkeit den Wäschekorb mit kaum getragenen Oberhemden vollstopfe.

Ja, ein gewisses Schnäppchen-Gefühl macht sich da schon breit in meinem Bauch. Andere Männer holen sich das vielleicht bei den Super-Sonder-Rabatt-Aktionen im Kaufhaus. Aber die sind für mich eigentlich, nein tatsächlich, tabu. Auch noch als Umsatzbeschleuniger für einen von Ungerechtigkeit und Ausbeutung zum Himmel stinkenden Textil-Weltmarkt zu dienen, das verbietet sich für einen gut versorgten Rentner nun wirklich.

 

Aber das hier? Das nötige Maß an Vertrauen und Vertrautheit vorausgesetzt, ist das doch nur vernünftig. Weitergeben, weiter nutzen statt wegwerfen. Freiwillig, aus Vernunft und Einsicht tun, was unsere Eltern nach 1945 aus purer Not tun mussten: die Lebenszeit unserer Alltagsgüter wirklich ausschöpfen und Rohstoffreserven erhalten für die, die später das Ihre brauchen werden. Eine Heldentat habe ich wirklich nicht vollbracht, heute morgen, als ich ein lindgrünes Spendenhemd unter meinem schwarzen Pulli angezogen habe. Auf der Haut sehr angenehm, kann ich verraten. Und besser in Schuss als Vieles, womit ich mich seit Jahr und Tag unter die Leute wage, ohne dass jemand die Nase rümpft.

 

Der Spendendeal zwischen dem gehetzten Wissenschaftler und dem eigentlich gut versorgten Rentner liegt, so hoffe ich, im Trend. Wunsch und Bereitschaft zu einem vernünftigen, am wirklichen Bedarf ausgerichteten Konsum kommen langsam in den meinungsbildenden Gruppen unserer Gesellschaft an. Das ist auch bitter nötig, wenn Energiewende, Klimarettung, Weltsozialkompromiss, all das, eine vernünftige Basis im Lebensstil der besser gestellten zwei bis drei Milliarden Menschen finden sollen.

 

Weitergeben tut gut, in diesem Fall dem Empfänger. Mir hat aber auch gut getan, dass meine Frau letzte Woche meinen gelben Fahrradhelm mitgenommen hat zum Umsonstladen in der Stadt. Ich hab mir kürzlich einen schwarzen gekauft, der etwas besser auf meinen Schädel passt. Aber der alte war völlig okay, nur etwas zu weit und deshalb rutschig. Gute Fahrt dem dickschädeligen Nachnutzer!

 

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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