Morgen ist wieder „Herrentag“. Und ich fühle mich immer noch ein wenig wie der dumme August, der sich ein X für ein U hat vormachen lassen. Vor mehr als zehn Jahren ins Zuckerrübenland rund um Magdeburg zugezogen, habe ich nach und zu kapieren versucht, wie die Leute hier ticken.
Ich weiß inzwischen, was eine Soljanka ist. Ich kann den Namen der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts halbwegs so aussprechen, wie es sich hier gehört. Vor allem habe ich mein Sprachempfinden mit einer so dicken Hornhaut versehen, dass ich in meinem Jahr 13 am Elbeufer sogar den landsmannschaftlichen Allzweckgruß „Tschüssi“ ohne Blutdruckanstieg entgegenzunehmen vermag. Aktiv anwenden klappt freilich nicht, – hoffnungslos!
Aber der Herrentag, bzw. mein gründliches Missverstehen, sagt mir, dass ich ganz gewiss noch am Anfang der Börde-Menschwerdung stehe. Hätte ich doch bloß mal gefragt, statt mich auf meine traditionsgesättigte Kirchenmentalität zu verlassen. „Herrentag“, das Wort war an der Ruhr nicht existent. Hier kommt es mir in jedem Mai entgegen, so wahr „Christi Himmelfahrt“ zehn Tage vor Pfingsten gefeiert wird. Da war es nur noch ein Stolperschritt zum Missverständnis. So wahr unsereiner schon im Kindergottesdienst tausendfach vom „Herrn Jesus“ hat reden hören, kann ein Herrentag nur landauf, landab die Himmelfahrt unseres Herrn verkünden. Klar, Volkskirchentum in Sachsen-Anhalt, das ist schon ein paar Generationen her. Aber einst tief gefühlte Namen und Anlässe pflegen sich lange zu halten, auch als leere Hüllen noch. Nur deshalb lässt sich aus Weihnachten und Ostern ja noch die große Sause und das Riesengeschäft machen.
Erst meine eher beiläufige Internet-Recherche für einen dieser zur Rarität mutierten Himmelfahrtsgottesdienste bringt es an den Tag: nichts ist es mit kirchlichen Regional-Dialekten. Der Herrentag ist und war nie etwas anderes als der feucht-fröhliche Vatertag. Vor 65 Jahren, als ich noch strengstem Alkoholverbot unterworfen war, sah ich schon zu, wie unsere münsterländer Bauern nach der Himmelfahrtsmesse den bekränzten und mit einer Batterie Bierfässer beladenen Leiterwagen zur Fahrt ins Grüne bestiegen. Angespannt waren erfahrene Rösser, die auch ohne Kutscher bei Sonnenuntergang den Weg nach Hause fanden.
Dieser Vatertag, den zu feiern ich mir das reproduktionsbiologische Recht erworben habe, – freilich ohne einen Funken der für eine kollektive Sauftour unerlässlichen Lust – dieser Vatertag heißt hier also Herrentag – ohne den geringsten Hautkontakt mit christlich-kirchlicher Tradition.
Aber warum so förmlich: Herren mit der Lizenz zum Vollrausch, passt das?
Wenn ich nicht mehr weiter weiß, frage ich manchmal meine Frau. Ihre Analyse hat mich auch diesmal überzeugt: „Die wollen sicher stellen, dass auch die Kinderlosen saufen dürfen.“ Immerhin wird diese Teilmenge unter unseren Mannsbildern ja immer größer!
Jetzt weiß ich Bescheid. Aber was habe ich gelernt – außer einer Prise Promille-haltiger Volkskunde? Dass das Brauchtum in dieser Gegend mitunter etwas förmlich daher kommt. Aber an dieser Macke leidet hier und da sogar der Kölner Karneval.
Gewisse Dankbarkeit empfinde ich für die Erfahrung mit der zusammengebrochenen Eselsbrücke
Herrentag – Christi Himmelfahrt. Beim gottgewollten Neuanfang unserer Kirchen und Gemeinden macht es wenig Sinn, auf vermeintliche oder tatsächliche Bruchstücke christlicher Tradition zu setzen. Jedes Wagnis der Liebe und der Gerechtigkeit zählt mehr.