Fastenaktion 2013
Wenn mich die Erinnerung nicht trügt, hatte ich zuletzt als Siebenjähriger eine Schusswaffe in der Hand; gefunden 1947 beim Spielen auf einem Trümmergrundstück im zerbombten Wattenscheid; eine Pistole, vermutlich weggeworfen von einem deutschen Soldaten während der chaotischen Endphase der Kämpfe um den sogenannten Ruhrkessel. Wie mein Vater abends mit dem Sachverstand des Ex-Soldaten feststellte, war das Ding ungeladen. Es folgte eine unmissverständliche Ansage. Die Pistole kam aufs Rathaus. Das war´s!
Zwölf Jahre später die Bundeswehr: sie wollte mich nicht und sie hätte mich auch nicht bekommen. Wieder nichts mit Schusswaffen!
Erst jetzt, jenseits der Siebzig, habe ich neuerdings eine Schusswaffe im Haus. Meine ziemlich friedfertige Kumpanin hat sie mit dem Ausdruck der Verzweiflung beschafft. Einen Waffenschein haben wir nicht. Obwohl: das Ding ist, unsachgemäß benutzt, nicht ungefährlich. Bevor Sie uns jetzt die Polizei ins Haus schicken: da gibt es keine Straftat aufzudecken. Mit dieser Waffe zielen wir im Ernstfall nicht auf Menschen, sondern – unterirdisch – auf Wühlmäuse. Mit einer Knallpatrone geladen und gespannt, steckt der Lauf des kleinen Spezialgerätes in einem der vielen Gänge, die sie mittlerweile in den historischen Pfarrgarten hinterm Haus gegraben
Wer da vor zwei Sommern nach und nach die Macht im giftfreien Garten übernommen hat, ob arvicola terrestris, die große Schermaus allein, oder im Verein mit microtus arvalis, der Feldmaus, weiß ich noch nicht zu sagen. Sagen muss ich, dass die Maulwurfsippe Grabowski, seit langem
ansässig und vom Menschengesetz geschützt, im Reich zwischen den alten Feldsteinmauern nicht mehr Alleinherrscher ist. Es kann ja nicht der Regenwurm-und Engerlings-Vertilger sein, der von unseren Möhren nur groteske Stümpfe übrig gelassen und die Petersilie komplett ruiniert hat.
Schlimmer: einige der Haufen mit den Wühlmaus-typischen Eingängen finden sich im Nahbereich der jungen Obstbäume, die meine Frau im letzten Jahrzehnt als Ersatz für Baumgreise gepflanzt hat. Nicht so ein Baumarkt-Zeugs, sondern ökologisch wertvolle alte Hochstamm-Sorten. Mindestens zwei kommende Generationen von Nachmietern sollen noch ihre Freude daran haben. Aber dann dürfen die noch jungen Wurzeln nicht als Delikatesse in Wühlmausmägen landen. Bioobst für Menschengenerationen oder Kraftfutter für Wühlmauseltern: eins von beiden geht nur.
Wenn es zum unlösbaren Konflikt mit uns Menschen kommt, dann riskieren die Wühlmäuse eine Menge. Typische „r-Strategen“ nennen sie die Biologen. Tiere also, die sich bei guten Lebensbedingungen in rascher Generationenfolge ohne all zu viel Brutpflege explosionsartig vermehren. Die Wühlmaus- Generationenfolge von weniger als drei Monaten spricht für sich. Werden die Zeiten schlechter, überleben sie als Art auch einen Beinahe-Zusammenbruch ihrer Population, bis jemand den nächsten Biogarten mit Baumwurzel-Delikatessen entdeckt.
Es hilft nichts: wir werden den Wühlmäusen im Pfarrgarten schlechtere Zeiten bereiten müssen. Aber ich spüre großen Respekt vor der Lebenstüchtigkeit unserer Mitgeschöpfe. Sie folgen dem von der Evolution für eine Gruppe von Arten in Kraft gesetzten Gesetz der maximalen Vermehrung in guten Tagen. Vorsorge kennen sie dabei nicht. Das Risiko des Beinahe-Zusammenbruchs ist, wie das völlig unbiologische Modewort sagt, „eingepreist“. Elefanten würden, klug wie sie sind, nie auf diese Idee kommen.
Und wir? Oberschlaumeier der Schöpfung. Aber nicht schlau genug, zu beherzigen, dass wir größtes Unheil für unsere Art riskieren, wenn die Lebensbedingungen unserer Artgenossen rund um den Erdball unerträglich auseinander klaffen.
Ob wir im Feldzug hinterm Haus auf die richtigen Waffen setzen, wissen wir aber immer noch nicht.