Der britische Humor ist die Wiedergutmachung für die britische Küche. Ich erinnere mich, dass seine Früchte Menschen, die meinem Herzen sehr nahe sind, mitunter als seelische Kraftnahrung gedient haben – auch wenn mir selbst z.B. für das legendäre „Leben des Brian“ eine Portion Lockerheit gefehlt hat. Manchmal, hege ich den Verdacht, wirkt der britische Humor dadurch, dass er nicht als ausgeflippter „Flying Circus“ daher kommt, sondern abgrundtief seriös, als wolle er sich förmlich dagegen verwahren, mit Humor irgend etwas zu tun zu haben. Anders als bei den Gags von der Stange hat dann jeder Zeuge die Chance zum ganz individuellen Kichererlebnis: auf der Stelle, mit kleiner Reaktionszeit – oder auch erst abends beim Einschlafen, wenn die Skurrilität made in Britain unerwartet noch mal in der ganz privaten Tagesschau wieder auftaucht.
So ist es mir ergangen mit dem anderthalb-Sekunden-Bild aus der TV-Berichterstattung über die Unterhauswahl vor zwei Tagen. Auf der Insel wählt man auch in Kirchen; vielleicht eine Gewohnheit, die dem dortigen anglikanischen Staatskirchentum entsprossen ist. Andererseits soll diese unsere Schwesterkirche heutigentags auch nur mit Wasser kochen. Der Zulauf ist überschaubar. Deshalb wohl der hilfreiche schmucklose Wegweiser, den der deutsche Kameramann passgenau ins Bild holte: ein schwarzer Pfeil mit zwei Spitzen, dazu rechts das Wort „Vote=Wählen“, links „Pray=Beten“. Da hat der britische Nachbar, die Nachbarin, alle Optionen auf einen Blick: Kombi 1: erst wählen, dann beten: Kombi 2: erst beten, dann wählen! Oder eben: nur wählen oder nur beten. Bei den Kombi-Lösungen bietet sich die erste vermutlich an, wenn man der gerade gewählten parteiunabhängigen höheren Beistand mit auf den Weg geben möchte. Kombi 2 dient vielleicht vorrangig der Überprüfung der eigenen Wahlentscheidung. Sogar eine Kombi 3 ist ja noch vorstellbar: vorher und hinterher beten, im Sinne von Kombi 1 und 2, und dazwischen wählen.
Nur wählen, das ist okay – und vermutlich im säkularen Vereinten Königreich die am häufigsten praktizierte Variante. Unsere worldwide identische Bibel gibt ja keinen Anlass zu der Vermutung, dass wir Juden oder Christenmenschen sein müssten, um uns sorgfältig um das Wohl unserer Gemeinwesen zu kümmern. Bloß die letzte Option „Pray only“, nichts als Beten, ist an Wahltagen in parlamentarischen Demokratien fragwürdig. Klar, es gibt gute politische Gründe, einmal gar keiner Partei den Rücken zu stärken. Aber dann sollten John und Mary, Hans und Grete imstande sein, in Worte zu fassen, warum sie das tun. Einfach so „kein Bock“ und sich dann an der himmlischen Klagemauer ausweinen: dagegen steht immer noch der großartige Satz des alten Jeremia: „Suchet der Stadt Bestes und betet für sie!“ Wer´s noch kürzer mag, kann sich an den Grundstein des abendländischen Mönchstums halten: „Ora et labora, bete und arbeite!“ Wählen gehen, in Rechtsstaaten ist das ein recht kleines Stückchen Gemeinwesenarbeit, aber das ist es auch. Wählen und beten, zwei ernsthafte und nützliche Tätigkeiten, die vorgestern beide auf diesem britischen Kirchengrundstück ihren Platz hatten. Was bevorzugt wo stattfinden sollte, darüber bedurfte es der Information. Und genau an diesem Punkt habe ich Ihrer Majestät Alltagshumoristen im Verdacht. War es der Pfarrer? Oder die Vorsitzende der lokalen Wahlkommission? Auf einem vergleichbarer Wegweiser bei uns im Dorf hätte gestanden: „Wahllokal links, Kirche rechts.“
Irgendeinem Briten, die oder den ich gern kennengelernt hätte, ist stattdessen diese raffinierte Verkürzung auf das Wesentliche eingefallen. Ich traue ihr oder ihm kreative, humorvolle Hintersinnigkeit zu, nein, ich möchte sie unterstellen. Finde deinen eigenen Weg mit oder zwischen pray and vote – und spüre dabei das Leben.