Was den gedankenlosen Gebrauch des Autos im kirchlichen Dienst angeht, habe ich bei meinem Schöpfer einiges gutzumachen. Das vorneweg, um Mißverständnissen vorzubeugen. Zum Radfahrer wurde ich vor einigen Monaten denn auch weniger durch das Streben nach der reinen Umweltweste. Die ist sowieso nicht zu haben. Mein Auto war einfach kaputt, und die Frage „Werkstatt oder Schrottplatz?“ habe ich erst einmal offengehalten.
Immerhin bin ich durch diesen Umstand zum De-Facto-Radfahrer geworden. Der setzt sich jeden Morgen, den Gott werden läßt, auf den Drahtesel und strampelt die reichlich sechs Kilometer zum Kirchenbüro. Denn den vielgepriesenen ÖPNV kannst du in meinem Stadtteil vergessen. Einmal in der Stunde geht ein Bus. Und der abendliche Lumpensammler rauscht um 18.45 an meiner Haustür vorbei.
Also rauf aufs Rad, solange die Herbstsonne lächelt und die Rinderherde des Vorstadtbauern im Morgennebel grast. Da fühle ich die Seelenverwandtschaft mit dem alten Cowboy Joe aus Laramie, ganz tief im Wilden Westen. Einsam wie er bewege ich mich unter meiner Büffelherde, all den Benzin statt Gras fressenden rollenden Untersätzen meiner Mitmenschen. Mitcowboys oder -cowgirls sind selten. Heute morgen habe ich zwei ganze entgegenkommend gesichtet und im Geiste gegrüßt. Eine halbe Stunde nach meinem Ritt zur Stadt haben die Drahtesel eine kurze Rushhour.: wenn die Kinder zur Schule müssen. Aber die werden unsere Zukunft auch nicht retten. Denn noch auf zwei Rädern träumen sie vom 18. Geburtstag, dem Führerschein und dem ersten Gebrauchswagen.
Heute habe ich die Sache etwa langsamer angehen lassen und meine Büffel im Vorbeifahren gezählt. Es waren alles in allem 187, nicht gerechnet die dicken Brummer, die kleinen und die großen Busse und die Motorräder. Das also erst mal fürs Protokoll: 187 PKWs gegen drei Fahrräder.
In 163 PKWs habe ich je einen einsamen Mitmenschen am Steuer erspäht. In 23 Autos saßen zwei Personen und in einem einzigen sage und schreibe drei. Was sonst immer Verkehrsstatistiker feststellen mögen: an diesem Morgen rollten sechs Siebtel aller Autos, um einen einzigen Menschen vom Start zum Ziel zu bringen. Und ich verwette mein letztes Hemd, daß viele meiner Mitmenschen zwischen Haustür und Arbeitsplatz keinen weiteren Weg zurückzulegen haben als ich. Schließlich habe ich diese Kurzstrecke selber hundert von Malen umweltbelastend hinter mich gebracht. Eine ganze Reihe der Ein-Mann- bzw. Ein-Frau-Autos verkörpern mit Sicherheit Sachzwänge. Die drei Kleinwagen mit den Werbeaufschriften ambulanter Pflegedienste, darunter Diakonie, die Leute, die wegen langer Wege oder schlechter öffentlicher Verkehrsverbindungen auf das Auto angewiesen sind, die denen es an Fitness fürs Rad fehlt usw. usw. Aber was ist mit den anderen? Z.B. der jungen Frau und den beiden Männern, die in Jogginganzügen vor verschiedenen Bäckereinen in eindeutiger Absicht hielten? Für mich liegt auf der Hand, wo die eigentlichen Widerstände für den fälligen Teil-Umstieg von privaten Autoverkehr auf umweltverträgliche Verkehrsmittel liegen: ganz tief im Gemenge unserer Gelüste und Ängste in Sachen Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Das Auto als Träger einer scheinbaren Fülle von Möglichkeiten, aus denen ich mir dann den Blumenstrauß meines Lebens zusammenstelle. Das meiste davon ist Illusion, Zukunftsgefährdung. Aber wir kleben doch an diesen Vorstellungen wie die Fliege am Fliegenfänger.
Und der einsame Joe auf seinen zwei Rädern, gerade einem rücksichtslosen rechts abbiegenden Benzinbüffel entkommen, fühlt Aggression in sich aufsteigen, die mit Sicherheit auch nichts zum besten kehrt. Einstweilen hat ein Prophet in der Wüste erheblich mehr Zulauf als die wenigen Bürgerinitiativen, die das Fahrrad als das propagieren, was es tatsächlich ist: das schöpfungsverträgliche, soziale, demokratische Verkehrsmittel für uns alle in den gesunden Tagen unseres Lebens.
(Unsere Kirche Lokalteil 29.9.1996)