Ich weiß, ich weiß, mit 55 bin ich im kritischen Alter. Bergbau, Stahl und etliche andere Krisenbranchen hätten mich längst für eines ihrer Frühverrentungsprogramme in die engste Wahl gezogen. Nur die Krisenbranche Kirche leistet sich den verschwenderischen Luxus, einen angejahrten Mitarbeiter durchzuschleppen, der nicht mehr imstande ist, seine Dienstpost ordnungsgemäß zu bearbeiten. Jawohl, so weit ist es mit mir gekommen, bekenne ich ebenso freimütig wie anonym.
Von dem vermutlich überwältigenden Hilfsangebot eines Religiosa-Verlages sollte ich Kenntnis nehmen. Alles für Kindergottesdienst, Konfis, Trost und Erbauung: alles, was dem verunsicherten Seelenhirten den geistlichen Köcher zu füllen vermag. Der Katalog auf Recyclingpapier enthält eher knappe schriftliche und optische Appetizer. Der eigentliche Reichtum geistlichen Rüstzeugs bleibt mir indes verschlossen. Denn er befindet sich auf der mitgesandten PC-Diskette „Der elektronische Katalog“. PC-kundige geistliche Herrschaften beiderlei Geschlechts erhalten – vermutlich korrekte – Anweisung, wie mit dem gehaltvollen Plastikquadrat umzugehen ist. Unsereins steht wie der Ochs vorm neuen Tor. Denn Mutter Kirche hat mir zwar einen PC auf den Schreibtisch gestellt. Aber mein Versagen vor dem Bildschirm erinnert mich fatal an meine jugendlichen Versuche, der Mathematik näherzutreten.
Doch der Zug der Zeit fährt auch ohne mich. Ich bleibe am Straßenrand der elektronischen Autobahnen hilflos zurück – eines Tages mit nichts in der Hand als einem zerfledderten Buch, das mit den Worten beginnt: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Aber vielleicht gibt es ja eines Tages doch noch ein Sonderpensionierungsprogramm für PC-untaugliche Pastoren. Da bin ich dann dabei.
Veröffentlicht in „Unsere Kirche“ unter dem Pseudonym Michael Walter (12. März 1995)